14. - Abwarten

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In den nächsten zwei Wochen tat ich das, was ich immer getan hatte, wenn es relevante Themen und Entscheidungen in meinem Leben gab. Ich wartete.

Anstatt Sara einfach zu schreiben oder sie anzurufen, wartete ich.

Innerlich zerrte es mich aus, ich sehnte mich jeden Tag mehr nach ihrer Stimme und ihrer Art.
Wollte zumindest ihre Nachrichten lesen und einen winzig kleinen Teil ihres Lebens einnehmen.

Katharina, mit der ich weiterhin in recht regelmäßigem Kontakt stand, wurde in Anbetracht meiner Untätigkeit fast verrückt. Jeden zweiten Tag erhielt ich kurze, wütende Nachrichten von ihr.
Zwei mal rief sie mich sogar wutentbrannt an.

Sie sagte mir, dass sie es nicht fassen könnte, wie dumm ich sei.
Obwohl ich über ihre aufbrausende Art schmunzelte, hallten ihre Worte in mir nach und ich fragte mich zunehmend, wie lange ich noch mit dieser Haltung durch mein Leben gehen würde.

„Wenn man beim Lotto-Spielen einen Millionengewinn macht, muss man ihn trotzdem verdammt nochmal abholen", sagte Katharina in einem der wütenden Telefonate zu mir, „Willst du nicht wenigstens wissen, ob sie dein Jackpot ist?"

Auf diese Frage wusste ich keine Antwort. Je länger ich darüber nachdachte, desto unsicherer wurde ich mir. Sara war stets mehr eine Figur meiner Fantasie gewesen, als eine tatsächliche Person.

Sie war so unerreichbar weit weg gewesen, dass es ein Leichtes für mich gewesen war, sie zu idealisieren. Alles, was sie tat, war perfekt gewesen.
Vielleicht wollte ich nicht, dass sich das änderte.

In der letzten Novemberwoche erhielt ich eine weitere Nachricht von ihr, die mich gleichermaßen traurig, als auch zuversichtlich zurückließ.

Ich weiß, unsere Situation ist mehr als ungünstig. Aber wenn du irgendwann mal bei deinen Eltern bist, melde dich gerne bei mir.
Ich würde mich sehr freuen, dich zu sehen.

Kurz spielte ich mit dem Gedanken, sie einfach anzurufen und ihr mitzuteilen, dass ich meinen Vater in wenigen Tagen zuhause besuchen würde.

Natürlich hatte ich schon darüber nachgedacht, mich bei ihr zu melden, schließlich dachte ich in diesen Tagen an wenig anderes, als an sie.

Ich kam zu dem Schluss, dass ihre Stimme am Telefon mich vermutlich zu einem sofortigen Liebesgeständnis bringen würde, was ich um jeden Preis vermeiden wollte.

Ich hasste es, dass sie einen so großen Teil meiner Gedanken einnahm und noch mehr, dass ich verzweifelt und traurig darüber war, sie nicht sehen zu können.

Anstatt sie anzurufen, tat ich also, was ich immer tat - ich wartete.

Mit einer tobenden Katharina im Rücken, die mittlerweile sogar damit drohte, sich Saras Email Adresse zu organisieren und ihr einen Liebesbrief zu schreiben, wenn ich es nicht bald täte.

Anfang Dezember flog ich schließlich nach Deutschland, mein Vater sammelte mich am Flughafen ein und schloss mich prompt fest in die Arme.

Wie immer stahlen sich kleine Tränen in seine Augen, die augenblicklich dazu führten, dass ich anfing zu weinen wie ein Schlosshund und mich von ihm festhalten ließ.

Ich konnte nicht anders, als zu bemerken, dass er schon wieder ein wenig älter aussah, als zuvor.

„Shh. Was ist denn los, Lili", versuchte er, mich zu beruhigen und strich ein wenig unbeholfen über meinen Hinterkopf.

Ich schüttelte mich kurz und zuckte mit den Schultern, bevor ich mich bemühte, wieder ein Lächeln aufzusetzen und ihm zum Auto folgte.

In seiner Wohnung, die seit er das Haus, in dem Lasse und ich aufgewachsen waren, verkauft hatte, in der Innenstadt lag, empfing mich ein vertrauter Geruch und eine Menge Essen.

Obwohl ich versucht hatte, ihn davon abzuhalten, hatte mein Vater es sich nicht nehmen lassen, um großen Stil für mich zu kochen.

Er teilte mir außerdem mit, dass Lasse heute Abend noch zu uns stoßen würde, worüber ich mich natürlich ungemein freute. Schon lange hatte ich meinen jüngeren Bruder nicht gesehen.

„Also, meine Große, was passiert so in deinem Leben?", fragte er mich schließlich, als wir gemeinsam am Küchentisch saßen. Ich lächelte, weil er mich schon in meiner frühsten Kindheit immer als „Seine Große" bezeichnet hatte.

„Ach. Studium passiert, würde ich sagen",
antwortete ich ihm. Ich war mir, wie immer, unsicher, was ich ihm alles erzählen sollte. Sicherlich wollte er nicht von meinem letzten One Night Stand berichtet bekommen.

„Meine Mitbewohnerin ist echt nett. Und ich habe wieder relativ viel Kontakt zu Katharina", bei deren Erwähnung leuchtete das Gesicht meines Vaters geradezu auf. Er hatte Katharina schon immer gerne gemocht.

„Wie geht es ihren Eltern?", fragte er interessiert nach. Ich schüttelte leicht mit dem Kopf, „Ihre Mama ist wieder krank. Deshalb haben wir auch ursprünglich wieder miteinander gesprochen".

Mein Vater sah traurig aus und nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
„Oh. Das tut mir leid", er zögerte für einen Moment, „Kannst du ihr sagen, dass sie sich bei mir immer willkommen fühlen darf? Auch, wenn du nicht da bist?".

Ich nickte und lächelte, mein Vater war einfach ein unfassbar lieber Mensch.

Für eine Weile unterhielten wir uns noch über Katharina und ihre Familie, bevor er scheinbar auf ein anderes Thema zu sprechen kommen wollte.

„Sag mal, Lili", tastete er sich vorsichtig vor, „Wäre es für dich sehr seltsam, wenn ich dir jemanden vorstellen wollen würde?".

Verwirrt und ein wenig amüsiert stellte ich fest, dass sich seine Wangen ein wenig rosa färbten. Es schien ihm ziemlich unangenehm zu sein, mit mir darüber zu sprechen.

Ich grinste, „Nein, garnicht Papa. Hast du jemanden kennengelernt, der so vorstellenswert ist?".

Ich zog ein wenig die Augenbrauen hoch, woraufhin mein Vater stumm nickte und mir vorschlug, morgen gemeinsam mit Lasse und ihr essen zu gehen.

Ich stimmte seinem Vorschlag gut gelaunt zu, was ihn sichtlich freute.

„Hoffentlich sieht dein Bruder das genau so", murmelte er leise, ich zuckte nur mit den Schultern.

„Lasse hat die nicht vorzuschreiben, wen du triffst. Und auch nicht, wen du gern hast", entgegnete ich und mein Vater nickte langsam.

„Ja", sagte er, „Aber deine Beziehung zu eurer Mutter war auch immer eine andere".

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt