Prolog

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An dem Tag, der mein bisheriges Leben erschütterte, saß ich in der zweiten Reihe eines stickigen Klassenraums und notierte mir die Seiten, die Frau Meier uns als Hausaufgabe aufgebunden hatte.

Ich war 15 Jahre als, besuchte die 10te Klasse des städtischen Gymnasiums und saß neben meiner besten Freundin Katharina. Es war Juni und viel zu warm für fast 30 stinkende Teenies - dementsprechend gut war unsere Laune. Der einzige Hoffnungsschimmer waren die Sommerferien, die in wenigen Wochen auf uns warten würden.

Die zweite Reihe war ein Kompromiss, der sowohl mein Bedürfnis, vorne zu sitzen, als auch Katharinas Wunsch, Quatsch zu machen, ermöglichte. Das Mädchen, das ihre wasserstoffblond gefärbten Haare gerade ziemlich kurz trug, saß gelangweilt und in ihrem Stuhl ganz nach hinten gelehnt neben mir und kaute Kaugummi.

„Sag mal Kathi", setzte ich an, „Wie wäre es denn, wenn du...".

„Nein", würgte sie mich ab, „Ich habe keine Lust, bei der Neuen einen guten Eindruck zu schinden. Ich werde einfach so hier sitzen bleiben und warten, bis diese kack Geschichtsstunde vorbei ist". Wir warteten auf unsere neue Lehrerin im Fach Geschichte, denn unsere ehemalige Lehrerin Frau Kunze, die einen jahrelangen, leidenschaftlichen Hass auf Katharina und eine sehr zugewandte Beziehung zu mir gepflegt hatte, war schwanger.

Sie sah mich aus ihren braunen Augen feixend an, sie schien sich mal wieder einen Spaß aus meinem Pflichtbewusstsein machen zu wollen. Unter ihrem kritischen Blick auf meinen Block, der vor mir lag, schob ich sowohl mein Mäppchen, als auch meinen sorgfältig geführten Kalender ein Stück zur Seite, um mich nun doch meinem Pausenbrot zu widmen.

Den Rest der Mittagspause verbrachten Katharina und ich damit, die Kinder im Schulhof zu beobachten. Als es klingelte, gingen wir zügig (zumindest ich - Katharina schlurfte, wie immer, nicht aus der Ruhe zu bringen, hinter mir her) zurück in unseren Klassenraum, wo wir unser neuen Lehrerin, Frau Hansen, geradezu in die Arme liefen.

Frau Hansen war noch recht jung, vielleicht Ende Zwanzig, etwa so groß wie ich, und trug ein helles, sommerliches Kleid.

Als sie uns erblickte, lächelte sie uns freundlich an und winkte uns dann mit einem leichten Tadeln im Blick durch die Türe, die sie für uns aufhielt.

Der Rest der Klasse befand sich erstaunlicherweise schon auf ihren Plätzen und einer der Jungs in der hinteren Reihe pfiff, als Frau Hansen den Raum betrat.
Katharina begrüßte sie, nachdem sie auf ihren Platz neben mir geschlendert war, mit einem äußerst charmanten, „Na, dürfen sie denn überhaupt schon Schüler unterrichten?", welches mir sofort die Röte ins Gesicht trieb.

Frau Hansen bedachte sie jedoch nur mit einem freundlichen Nicken und zog die Augenbrauen hoch, was Katharina augenblicklich zum Schweigen brachte.

Meine Freundin drehte sich mit einem vielsagenden Blick zu mir um: „Irgendwie ist die heiß".

-

Von diesem Zeitpunkt an gehörten die Geschichtsstunden bei Frau Hansen zu den Liebsten in meiner Woche. Nach nur wenigen Stunden fand ich Gefallen an der blonden Frau, der über die Zuneigung zu einer freundlichen Lehrerin hinaus ging.

Bald schon musste ich mir eingestehen, dass ich den Geschichtsunterricht mehr dazu nutzte, sie anzusehen und mich in ihrem Anblick zu verlieren, als ihren Inhalten zu lauschen.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt