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JIMIN POV

Ich hatte Jungkook bereits bemerkt, als er zur Tür hineingekommen war und seine Taschen achtlos neben den Bänken fallen gelassen hatte, nur um sich an die Bande zu stellen. Seine großen Augen verfolgten jede noch so kleine Bewegung meinerseits mit absoluter Faszination, dass ich mir das kleine Lächeln, das sich folglich auf meinen vollen Lippen bildete, nicht verkneifen konnte. Mit Sicherheit, so wie er mich musterte, hatte er es gesehen, aber irgendwie war es mir egal. Es war fast schon so, als würde ich mich bewusst für ihn noch mehr anstrengen, meine Arme noch detaillierter ausstrecken und die Pirouetten noch eleganter drehen.

Doch alles schöne endete irgendwann und so holte mich auch meine Unsicherheit wieder ein, die ich liebend gerne weiter verdrängen wollte. Den Schwung, den ich gerade drauf hatte, war perfekt, um zu springen. Ich war mir so sicher, dass Jungkook regelrecht die Augen aus dem Kopf kugeln würden, wenn ich es tun würde, aber meine Füße waren schwer wie Bleiklötze und ich spürte das panische Zittern bis in meine Fingerspitzen. Scheiße, mann! Ich wollte mir meine Panik nicht so sehr anmerken lassen, weshalb mich ich nach einer mehrfachen Standdrehung auslief und hielt. Direkt musste ich mich schnaufend an meinen Knien abstützen, aber nicht nur weil ich echt außer Atem war, sondern auch, da ich das Gefühl hatte jeden Moment heulen zu müssen. Es war diese gefährliche Mischung aus Frustration und Panik, die mir die heißen Tränen  in die Augen trieb.

"Wow, Jimin, das war einfach der Wahnsinn!" Als ich etwas zögerlich den Kopf hob und mehrere tiefe Atemzüge tätigte, um einerseits meinen Lungen den Sauerstoff zu geben, den sie verlangten und anderseits die brennenden Tränen zu unterdrücken, sah ich Jungkook, der etwas ungeschickt über das Eis auf mich zu lief und kläglich versuchte sich nicht direkt vor mir aufs Maul zu legen. Das stellte sich in seinen Dr. Martens wohl als deutlich schwieriger heraus als er vorerst angenommen hatte. Es sah so lustig aus, wie er immer wieder wild mit seinen Armen herumfuchtelte, dass es mir tatsächlich ein winziges Schmunzeln auf die Lippen zauberte. "Ah shit", fluchte er leise zu sich selbst und kam dann unmittelbar vor mir zum Stehen. "Hier."

Überrascht hob ich die Brauen und musterte erst meine Wasserflasche, die er mir reichte und dann sein Gesicht. Seine rosigen Lippen hatten sich zu einem schiefen Grinsen verzogen und seine braunen Augen funkelten wie zwei helle Sterne am dunklen Nachthimmel. "Danke", erwiderte ich leise. Als ich zögerlich die Flasche entgegennahm, streiften sich unsere Finger. Erschrocken weitete ich die Augen und schreckte kaum merklich zurück. Ich war mir mehr als sicher, dass nicht nur ich diesen merkwürdigen Funken gerade gespürt hatte, denn Jungkook starrte mindestens genauso erschrocken auf seine Hand und schob sie blitzschnell in seine Jackentasche, ehe er sich auf die Lippe biss und an dem keinen Piercing nagte.

Die Atmosphäre hatte sich ganz schlagartig verändert und ich konnte beim besten Willen nicht sagen, ob ich das jetzt als etwas gutes oder doch etwas schlechtes deuten sollte. Es war komisch und irgendwie wusste ich nicht, wie ich mich jetzt verhalten sollte. "Ich-...", durchbrach ich etwas zögerlich die Stille und schluckte trocken, blickte überall hin nur nicht den Schwarzhaarigen direkt an. "Ich sollte gehen."

"Jimin, was ist dein Problem?", hörte ich Jungkook fragen und hielt sofort inne, blickte ihn überrascht an. Huh? "Ich hab kein Problem." Jungkook schüttelte ungläubig den Kopf und strich sich die langen, schwarzen Haarsträhnen aus den Augen. "Lass es mich anders formulieren, denn offensichtlich hast du ein ziemlich großes Problem. Erst letzte Woche kannst du mich nicht mal mit deinem Arsch ansehen, ignorierst meine Existenz komplett und bist genervt von mir. Und jetzt? Jetzt bist du schlagartig ganz anders, bist nett zu mir und kannst deine Augen kaum von mir nehmen. Hasst du mich jetzt, oder was ist das? Ich verstehe es nicht, Jimin."

Fast schon entsetzt öffnete ich den Mund, wollte etwas erwidern, seinen Worten widersprechen oder ihm sogar an den Kopf werfen, dass ich ihn ziemlich sicher verabscheute, aber ich brachte nichts über die Lippen. Die Worte blieben mir im Hals stecken und erreichten die Spitze meiner scharfen Zunge nicht. Stattdessen betrachtete ich ihn wie ein Fisch an Land, der kläglich nach Luft schnappte, und zog die Brauen zusammen. Provokant neigte Jungkook seinen Kopf etwas zur Seite und ein verspieltes, freches Glitzern blitzte in seinen dunkeln Augen auf, das mich endgültig die Fassung verlieren ließ. 

"Ach fick dich doch, Jungkook. Ich mag dich nicht", spuckte ich ihm beleidigt entgegen und verließ das Eis. "Aww, Jiminie, ich dich auch nicht", rief er mir zuckersüß hinterher und tief in mir drinnen ahnte ich, dass er seine Worte genauso wenig so meinte, wie ich ihm meine entgegengespuckt hatte. Die Luft zwischen uns hatte sich verändert. Wir merkten es gleichermaßen. Leider hatte Jungkook inzwischen wohl auch mich durchblickt und merkte, dass die Abneigung, die ich ihm gegenüber verspüren wollte, ihre Spannung verloren hatte und durch eine ganz andere ersetzt wurde. Als ich ein letztes Mal zu ihm zurückblickte, schenkte er mir ein viel zu niedliches Grinsen und winkte mir. 

Und mein Herz? Dieses verräterische Ding in meiner Brust wagte es tatsächlich gegen meinen Willen aufgeregte Hüpfer zu machen. Argh, ich hasste es! So fucking sehr! Die Lippen zu einer geraden Linie zusammengepresst, rollte ich mit den Augen und streckte Jungkook meinen Mittelfinger entgegen. Der Idiot verdiente es nicht besser, wenn er mir sogar noch hinterher kichern konnte. Der Klang war so sanft und süß zugleich gewesen, dass es in meinem Bauch sogleich zu kribbeln begann und ich nur noch schneller die Halle verlassen wollte.

Ich hasste Jungkook. Er war ein eingebildeter Idiot. Ein Badboy, mehr nicht. Er war heiß- WAS? Sogleich schreckte ich von der Matratze hoch und schlug mir mehrere Male fest gegen den Kopf. So etwas durfte ich nicht denken! Inzwischen war ich nun seit Stunden wieder zuhause und wiederholte diese Sätze seit bestimmt zehn Minuten in Gedanken immer und immer wieder, wie eine gesprungene Platte. Ich hasste Jungkook. Er war ein eingebildeter Idiot. Ein Badboy, mehr nicht. Die Mädchen standen auf ihn... und ich auch. 

Die Realisation traf mich härter als ein Schlag es jemals könnte. Verzweifelt warf ich mich zurück ins Bett, drehte mich auf den Bauch und fluchte in mein Kissen. "Fuck."

COLD AS ICE // 𝑗𝑖𝑘𝑜𝑜𝑘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt