20.21 Uhr An den, der das hier gerade liest,
Hunger hört auf zu brennen, wenn man nicht mehr richtig denken kann. Es ist einfach nur noch ein hohles Gefühl, das sich in dem ganzen Körper ausbreitet. Eine Art Kissen. Es stopft dem ganzen Bauch aus und vernebelt die Gedanken. Ich wäre mir schon längst nicht mehr sicher, ob ich nicht schon tot bin, wenn da nicht noch der schreckliche Schmerz in meinem Knie pochen würde. Jede noch so winzige Bewegung jagt einen Blitz aus Flammen mein Bein hinauf. Solange diese Qualen noch da sind, weiß ich, dass ich noch lebe und dass das Blut noch durch meine Adern fließt. Seit fünf Tagen habe ich nicht mehr gegessen als ein paar Käfer und eine tote Ratte, die auf der staubigen Straße lag. Sie war frisch. Normalerweise hätte ich einen Bogen um sie gemacht, aber wenn man kurz vor dem Hungertod steht, zögert man nicht. Vermutlich würde ich sogar einen Menschen essen, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte. Natürlich bestünde die Wahl, etwas von meinem eigenen Körper zu essen, aber ich erschieße mich lieber vorher. Mit diesem Gedanken spiele ich schon seit heute Morgen. Die schwarze Pistole scheint immer schwerer zu werden. Ich spüre das kalte Metall an meinem Bein. Immer wieder rede ich mir dann aber ein, dass ich dann aufgeben würde und das will ich schließlich nicht. Tatsächlich schweifen meine Gedanken immer wieder ab zu dem jungen Soldaten, dem ich diese Pistole überhaupt erst verdanke. Ob er mich sucht? Vermutlich nicht. Ich bin nichts weiter als eine schmutzige, ausgehungerte Frau, die auf der Straße lebt und der er aus Anstand das Leben gerettet hat. Er empfindet nichts für mich. Warum sollte er auch?
23.17 Uhr
Drei Stunden (Vielleicht sind es auch nur ein paar Minuten. Ich weiß es nicht. Es fühlt sich an, wie Jahre.) später. Vor mir liegt ein Mann. Er ist tot. Sein Blut tränkt mein Kleid. Seine Hand ist um meinen Knöchel geschlungen. Mir laufen Tränen über die Wangen und tropfen auf das Papier. Ich erkenne kaum, was ich schreibe, aber ich weiß nicht, wohin sonst mit meinen Gedanken. Die Augen des Toten starren mich an. In ihnen ist noch das Lüsterne und die Wut auszumachen, aber sie sind auch getrübt von einem Schleier aus den Schatten des Todes. Meine Hand zittert beim Schreiben. Die Finger meiner linken Hand schmerzen, so fest krallen sie sich um die Waffe. Weiß sind meine Fingerknöchel angelaufen und die Haut ist so blass, dass sich die blauen Adern deutlich abzeichnen. Er ist meinetwegen gestorben. Ich habe ihn erschossen. Noch immer piept es in meinen Ohren von dem Knall, der von den Wänden der Gasse mehrfach zurückgeworfen wurde. Jeder muss es gehört haben. Doch niemand ist gekommen. Sie verstecken sich. Sie haben Angst. Ich auch. Der Mann wollte mich vergewaltigen. Genau, wie die drei anderen, die der unbekannte Soldat erschossen hat. Wie in Trance habe ich die Pistole genommen, sie auf ihn gerichtet und ihn aufgefordert zu verschwinden. Er hat einfach nur dreckig gelacht und ein Messer aus seinem Mantel gezogen. Mit meinem gesunden Bein habe ich ihm gegen sein Knie getreten, so dass er stürzte. Das hat ihn wütend gemacht und noch aufgeregter zugleich. Rasend schnell griff er nach meinem Knöchel und hielt mir die lange Klinge an die Kehle. Er murmelte etwas unverständliches und drückte leicht zu. Als ich spürte, wie warmes Blut meinen Hals hinunterfloss, verlor ich die Kontrolle über mich selbst und die Angst übernahm die Oberhand. Der Schuss löste sich so schnell, das ich nicht mehr reagieren und die Waffe wegreißen konnte. Wie eine Puppe sackte der Mann in sich zusammen. Sein Kopf fiel auf meinen Schoß und das Messer landete klirrend auf dem steinigen Boden. Instinktiv habe ich ihn von mir gestoßen. Seit dem habe ich mich nicht bewegt. Ich traue mich nicht, da ich fürchte er könnte nur schlafen. Mein Verstand sagt mir, dass das Schwachsinn ist, aber ich gewinne den Kampf gegen die eiskalte Furcht nicht, die meinen Körper erstarren lässt. In meinem Kopf pocht ein stetiger Schmerz und ich möchte einfach nur schlafen. Vielleicht ist es das, was ich tun sollte. Danach geht es mir bestimmt besser. Ich kann nicht mehr weinen. Meine Tränen sind aufgebraucht. Was macht man mit einer Leiche? Und was macht man mit Schuldgefühlen?
Hope
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Hope.
Science FictionWas machst du, wenn alles, was du gekannt und geliebt hast, einfach zerstört wird? Wenn die Natur vernichtet wurde und nur das Leben in einer Stadt dich vor Krankheiten und Tod schützt? Wenn diese Stadt von einem Tyrannen regiert wird und du auf der...