22. Kapitel

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"Wo haben Sie denn das ganze Essen her?", fragt Lui ziemlich verdattert als man ihr ein Brot und Marmelade reicht. Amalie scheint diese Frage nicht zu überraschen: "Wir sind gut organisiert und verdienen das Geld das wir brauchen. Botengänge sind es hauptsächlich." Das scheint als Antwort zu genügen, denn Lui nimmt das Angebotene entgegen und schmiert sich die Konfitüre hauchdünn auf die frisch abgeschnittene Scheibe. "Du brauchst nicht so zu sparen Mädchen. Wir wollen nicht, dass geaßt wird, aber du musst schon schmecken, was du isst", ermuntert sie Jo, der sich zu uns gesellt hat. Alle fangen an zu lachen und Amalie muss die Stimme erheben, damit wir ihr zuhören. Erst will ich mich entschuldigen, doch sie schmunzelt: "Jetzt lasst mich euch die Antworten geben, die unser Freund Jo versprochen hat: Wie ihr ja schon mitbekommen habt, sind wir die Jäger und des Löwens Tod. Ich denke, ihr wisst, was wir damit meinen", wir nicken und sie fährt mit ruhiger, klarer Stimme fort, "Vorweg muss ich sagen, dass unser Ziel nicht ohne Gewalt erreicht werden kann. Dafür könnt ihr uns natürlich verurteilen." Wir tauschen alle Blicke und wissen, dass es uns immer klar gewesen ist. "Ich denke nicht, dass einer von uns euch dafür verurteilt. Gewalt ist nichts, auf das man stolz sein darf und kann, aber es ist ein Mittel zum Zweck", antwortet Lijah für uns, der mittlerweile nicht mehr so misstrauisch ist, wie heute Morgen. Amalie nickt ihm zu und fährt fort: "Wir haben noch keinen genauen Plan, wie wir unser Ziel erreichen sollen, was sehr bedauerlich ist. Zunächst werden wir uns formieren und dann werden wir überlegen, was wir tun können. Das ist auch der Grund, warum ich Patrouillen ausschicke, die potenzielle Mitstreiter ausfindig machen und hierher bringen sollen. Vielleicht ist es unklug jeden sofort hier herein zu lassen, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, um so schnell wie möglich auf eine hohe Zahl an Rebellen zu kommen. Man wird uns früher oder später sowieso entdecken und lieber habe ich zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Menschen, die hinter mir stehen, als dass ich alleine kämpfen muss." Das klingt logisch. "Ich habe ein Frage." Alle Augen richten sich auf Lui, die plötzlich errötet, doch Amalie nickt ihr zu: "Wie könnt ihr so organisiert sein, wenn ihr erst seit knapp einer Woche existiert?" Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Natürlich ist diese Frage total berechtigt. Mein Blick wandert zu Amalie: "Wir nennen uns erst seit kurzer Zeit 'Jäger' und richten uns offensiv aus, aber existiert haben wir schon davor. Wir waren eine Gruppe von Menschen..." "Wie viele?", wirft Lijah dazwischen. "Dreiundfünzig", antwortet Jo und wir wenden unsere Aufmerksamkeit wieder Amalie zu: "Wir waren eine Gruppe von Menschen mit dem Ziel zu überleben. Dann haben wir das Elend nicht mehr ertragen und seitdem wächst die Idee eines Aufstandes. Die Grundidee der Gruppe hat aber schon davor Zeit gehabt sich zu entwickeln. Wir funktionieren wie eine Einheit. Die Starken beschützen die Schwachen und jeder hat eine Aufgabe. Frauen, Kinder und Männer. Wir kümmern uns um Kranke und Verletzte. Es ist manchmal schwierig alle satt zu beenden und manchmal leichter. Das hängt davon ab, wieviel Glück wir haben und wie wichtig die Aufträge sind, die wir bekommen. Ihr werdet sehen, dass wir einige Mittel haben, um an Silber oder Gold zu kommen. Genug, um behaupten zu können, dass ich das nicht alles im Detail erklären kann. Solltet ihr das Wissen brauchen, werdet ihr es jedoch haben." Lijah wirkt sichtlich beeindruckt, denn er bringt kein Wort heraus. Auch Lui scheint begeistert zu sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir die Frage, die Amalie gleich stellen wird, alle mit "ja" beantworten werden: "Wollt ihr uns beitreten und uns helfen die Tyrannei zu beenden?" Lijah sieht mich an. Er legt seine Hand auf meinen Bauch, lächelt und nickt dann. Lui und ich nicken gleichzeitig. "Sehr gut. Wir können jede Hilfe brauchen."

"Gestern Abend haben wir noch zusammen an einer Wand gelehnt und jetzt sitzen wir hier im Trockenen und ich habe zum ersten Mal keinen schrecklichen Hunger mehr." Ich muss grinsen, als ich Lui so reden höre. Es stimmt schon. Lijah und ich wollte etwas zu Essen besorgen und jetzt sind wir hier bei den Jägern gelandet und sind Teil an einer Bewegung, die alles verändern kann. So schnell kann das Leben spielen. Morgen wird man uns zeigen, welche Aufgaben wir übernehmen können und Jo hat versprochen uns herumzuführen, um uns die besten Ort zu zeigen, an denen man auch mal seine Ruhe hat. Als er das so wie nebenbei gesagt hat, musste ich so sehr lachen, dass ich fast von dem kleinen Hocker gefallen wäre.
Luis Atemzüge werden gleichmäßig und ich weiß, dass sie eingeschlafen ist. Sie kann einmal beruhigt schlafen, deshalb will ich sie nicht wecken und schleiche mich leise aus dem kleinen Raum. Die Schlafräume, das habe ich schon mitbekommen, sind im Erdgeschoss. Vermutlich soll das eine schnelle Flucht ermöglichen. Ich lasse meinen Blick durch die nun leere 'Halle', so nennen sie den Raum zwischen den 'Mulden' (die kleinen Räume zum Schlafen, Waschen und Essen), gleiten. "Wer bist du?" Erschrocken zucke ich zusammen als hinter mir auf einmal eine Stimme erklingt. "Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken, aber dich kenne ich nicht." Jetzt eher verdutzt als erschrocken, drehe ich mich um und sehe mich einem kleinen Mädchen gegenüber. Sie hat putzige, goldbraune Löckchen, auffallend strahlende, blaue Augen, eine kleine Stubsnase und Sommersprossen auf den Wangen. "Kannst du sprechen?", fragt sie frech und mustert mich von oben bis unten. "Äh ja natürlich", antworte ich noch völlig verwirrt. "Würdest du dann meine Frage beantworten?" Ganz schön dreist die Kleine. "Ich heiße Hope. Verrätst du mir auch deinen Namen?" Irgendwie mag ich sie. Sie erinnert mich ein bisschen an mich selbst, als ich noch jünger war. "Hannah", kommt die knappe Antwort. Der Name passt. Eine Zeit lang bleiben wir stumm und sehen einander nur an, dann gibt sie mir etwas, das sie scheinbar schon die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, mir aber noch gar nicht aufgefallen war. Sie lässt ihr kleinen Hände kurz, wie ein Dach über meiner. Dann dreht sie sich um und verschwindet in einer der Mulden. Vielleicht ist es auch ein Tunnel. Ich sehe auf meine Hand hinab. Es ist ein kleiner Stein in der Form eines Käfers. Ein Skarabäus. So weit ich weiß ein Glückskäfer. Warum will Hannah, dass ich ihn habe? Mit meinen Fingern streiche ich über den Rücken des kleinen blauen Käfers. Er ist aus Holz, aber irgendwas an ihm lässt ihn wertvoll erscheinen, auch wenn ich nicht weiß, was es ist.

Hope.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt