3. April 3091

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7.38 Uhr  Liebes Tagebuch,

Heute habe ich ihn in meinen Träumen gesehen. Ich habe den Tag noch einmal erlebt. Die Menschen, die erschüttert und schockiert zu ihm aufschauten und die, die jubelten. Ich erinnere mich an den ungläubigen Blick des Mannes, der so unerwartet mit dem Leben davongekommen ist. Man konnte beobachten wie in seinem Augen die Furcht der Verwunderung wich und schlussendlich zur Erleichterung überging. Er konnte nicht glauben, so viel Glück gehabt zu haben. Als man ihn später von der Bühne jagte, stolperte er oft. In Gedanken hatte er entschieden, dass er seine Beine nie wieder brauchen würde und jetzt stützte er doch wieder sein Gewicht darauf und sie mussten ihn tragen. Das Lachen ging gar nicht mehr von seinen Lippen und die Freude seiner Familie ist unbeschreiblich. All das war nur möglich, weil es jemanden gegeben hat, der mutiger war als andere. Jemand, der gedacht hat, bevor er handelte. Ein junger Soldat, der sich entschieden hat, nicht mehr zu schießen. Seine Augen glänzten so voller Freude. Nicht, weil er jemanden erschießen sollte. Nein. Sie leuchteten, weil er sich getraut hatte es nicht zu tun. In ihnen spiegelte sich sein Mut wieder und nicht einmal ein Hauch von Angst verdunkelte sie. Dieser Blick hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Als er vor drei Tagen da auf dieser Bühne stand und sich vor aller Augen geweigert hatte einen Befehl auszuführen, wurde er verhaftet, aber er fürchtete sich nicht. Er hatte keine Todesangst und genauso hat er mich angesehen. Das Leuchten war echt. Nicht gespielt oder erzwungen. Man hatte ihn in eine ungewisse Zukunft geführt. Er konnte nicht wissen, wohin es für ihn gehen würde, aber er war stolz darauf, etwas getan zu haben, was nicht alltäglich ist, etwas, was zeigt, dass der König nicht alles kontrollieren kann. Die Tage darauf hat jeder über ihn gesprochen. Manche behaupteten ihn zu kennen, andere wollten sogar mit ihn verwandt sein und wieder andere gaben sich als angebliche beste Freunde zu erkennen. Es waren so viele Lügen dabei, doch ich habe über die Jahre gelernt, wem ich wirklich trauen kann und wem nicht. Seinen Namen konnte mir niemand dieser Personen sagen, aber ein wenig seiner Geschichte war bekannt. Nur ein Bruchteil
Aufgewachsen als adoptiertes Kind eines Bauern als der Krieg noch nicht über uns hergefallen ist, als noch alles schön war. Danach wurde er von den Soldaten ausgesucht. Schon als Kind soll er anders gewesen sein. Mutig, aber schlau. Manchmal übermütig, aber nicht töricht. Noch nie habe er sich etwas vorschreiben lassen, so sagte mir jemand vom Rand der Stadt, immer habe er das gemacht, was er für richtig und gut erachtet hatte. Sein Leben war wohl nicht immer nur von Glück gezeichnet und doch ist er immer fröhlich gewesen. Je mehr ich gehört habe, desto mehr wurde mir klar, dass ich diesem jungen Menschen einen großen Respek entgegenzubringen hatte. Man spricht auch heute noch nur gut von ihm. Lobt ihn und seinen Mut. Mir geht einfach nicht aus dem Kopf, wie er mich angesehen hat. Ich kann seinen Blick auch in diesem Moment noch nicht deuten und das ist es, was mir zu denken gibt. Schon immer bin ich eine Meisterin im Lesen von Gedanken und Gefühle allein aus Gesten und Blicken der Menschen gewesen, aber bei ihm ist das anders. Seine Augen strahlten so vieles aus, dass ich einfach nicht wage etwas herein zu interpretieren. Zu groß ist die Gefahr, falsch zu liegen. Trotzdem möchte ich wissen, was er gedacht hat als er da oben stand. Außerdem ist es mir wichtig zu erfahren, warum er ausgerechnet mich so angesehen hat. War es Zufall? Oder etwas anderes? Seit drei Tagen schon gehen mir diese Fragen nicht aus dem Kopf und ich habe noch so viel mehr. Ein buntes Bild aus vielen Fragen in verschiedenen Farben, doch mischt man alle Farben zusammen, dann erhält man eine Farbe: Grau. Das ist die wichtigste Frage, die ich mir stelle. Ich muss wissen, ob er überhaupt noch lebt. Man widersetzt sich nicht einfach dem Befehl des Königs ohne bestraft zu werden. Vermutlich wird seine Tat als Hochverrat angesehen und das bedeutet den Tod. Dieser Gedanke breitet sich von Minute zu Minute weiter in mir aus, wie ein Tropfen Öl auf einer Wasseroberfläche. Er ist so eiskalt; legt sich auf mich, wie ein Gewicht; schnürt mir manchmal den Atem ab; macht das Denken schwer. Ich kenne ihn nicht, aber er macht mir Sorgen. Der Grauton in meinem Kopf wird immer intensiver und alles dreht sich immer mehr um die Frage, ob ich jemals die Möglichkeit haben werde meine anderen Fragen beantworten zu lassen. Irgendwo spüre ich auch Angst. Ich kenne diesen Soldaten eigentlich nicht; habe noch nie seine Bekanntschaft gemacht, aber ich habe das Gefühl, dass uns irgendetwas verbindet, was wir gemeinsam haben. Vielleicht ist es der Wunsch nach Freiheit, vielleicht aber auch etwas ganz anderes. Eines weiß ich aber ganz sicher: Seine Botschaft, die er aussenden wollte, ist angekommen. Es ist ein kleiner Gedanke; winzig klein und noch nicht bereit zu Ende gedacht zu werden, aber ein freier Gedanke, den es für manche Menschen zu fangen gilt. Er kann gefährlich sein, wenn sie es nicht tun. Gefährlich für ihre Macht. Ein Gedanke, der alles verändern kann. Er ist zeitlos und dennoch wird er sich rasend schnell entwickeln. Vom Samen zum Keim und von dort zu einem kleinen Pflänzchen, dass irgendwann zu einem Baum heranwächst. Erst ist dieser klein, aber er wird immer größer, immer dicker werden. Kann er lange genug versteckt werden, wird es fast unmöglich sein ihn zu fällen. Ein Netz aus geschwungenen, verzweigten Wurzeln hält ihn dann fest im Boden. Weitere Gedanken, die dazu kommen und die Nährstoffe des Baumes sind. Ebenso auch Gefühle und Gedanken; vor allem Hoffnung, Liebe und Zuversicht. All das bildet eine stabile Panzerung aus Stahl. Undurchdringlich und schwer. Den Baum schützend. Und all das wurde vor drei Tagen in Bewegung gesetzt, ins Rollen gebracht wie eine Lawine durch einen Schneeball. Durch eine kleine Geste; ein kleiner, stummer Widerstand. Ein deutliches Wort: Freiheit.

Hope

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