21.08 Uhr
Man hat Amalie aus dem Krankenbett entlassen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wieder genesen ist. Auf mich wirkte sie heute Morgen noch immer neben sich, aber ich bin ja kein Arzt. Sie hat zu einem Treffen ihres "Rates" gerufen. Dazu gehören alle Gruppenleiter der Außenposten- und Erkundungstrupps, die Leiterinnen der Nahrungsversorgung, der Kampfausbildung und der Krankenversorgung und irgendwie scheine auch ich dazuzugehören als eine Art persönlicher Beraterin Amalies. Auf Wunsch von Hannah bin ich nicht wütend auf sie zugelaufen und sie unter alledem begraben, was ich aufgeschrieben habe. Es fällt mir unglaublich schwer so zu tun, als wäre alles normal und als würde ich sie immer noch für eine Freundin halten. Um ehrlich zu sein weiß ich gar nicht genau, was ich von ihr halten soll. Ich weiß nicht, ob sie es überhaupt wert ist, mit Gefühlen bedacht zu werden. Tatsächlich hat sie sich bei mir entschuldigt, dass sie meine Hand zerfleischt hat, obwohl sie sagt, dass sie sich daran nicht mehr erinnern kann. Den Verband konnte ich schon vor zwei Tagen endlich abnehmen, auch wenn ich sagen muss, dass es noch immer ziemlich unappetitlich aussieht. Vermutlich wird es einige hässliche Narben geben, aber das ist mir relativ egal. Das wollte ich auch eigentlich nicht schreiben. Die Versammlung begannen mit den Worten: "Wir müssen uns auf den Krieg vorbereiten." Zu meiner Erleichterung riefen alle wilde Protestrufe durcheinander und versuchten, sie davon abzubringen. Dieses Hochgefühl verflüchtigte sich jedoch wieder, als sie erneut zum Sprechen ansetzte: "Wer mir widerspricht, meine Handlungen sabotiert oder meine Leute gegen mich aufhetzt, wird unverzüglich hingerichtet!" In ihrer Stimme lag nichts, als Eis und ich fühlte mich, als würde mein ganzer Körper zittern und meine Lippen blau anlaufen vor Kälte. Die folgende Stille war erdrückend. Es war jedem förmlich anzusehen, wie er davor stand unter der immensen Last ihrer Worte zusammenzubrechen. Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass niemand so etwas erwartet hatte. In ihren Gesichtern war so vieles abzulesen. Die einen hatten alle möglichen Gesichtsmuskeln angespannt um die Wut, die in ihnen kochte nicht zum Ausdruck zu bringen und andere schienen sich komplett von der Welt losgekoppelt zu haben und nur noch als leere Hüllen vor sich hin zu starren, denn in ihren Mimiken war absolut gar nichts zu lesen. "Das ist Wahnsinn Amalie." In diesem Moment hatte ich so gehofft, dass die Stille einfach bleiben würde. Angespannt suchte ich denjenigen, der das gesagt hatte, bis ich merkte, dass alle, einschließlich Amalie mich anstarrten. Mein Mund plapperte einfach weiter während mein Kopf schrie, er solle die Klappe halten: "Du kannst keinen Krieg gegen die Soldaten des Königs gewinnen, wenn sie so dermaßen in der Überzahl sind. Jeder würde in den Tod geschickt werden, wenn du jetzt den Befehl zum Angriff gibst." Jetzt war die Stille noch unerträglicher als zuvor und jetzt hafteten auch noch alle Blicke auf mir. In manchen Augen konnte ich Anerkennung sehen dafür, dass ich dennoch etwas gesagt hatte und dass ich mutig genug gewesen war, meinen eigenen Tod und den meines ungeborenen Kindes in Kauf zu nehmen nur um die Wahrheit laut auszusprechen. Ich fühlte mich aber nicht gerade, wie eine Heldin und voller Mut war ich schon gar nicht. Eigentlich hielt ich mich selbst sogar für ziemlich dumm. "Hast du mir gerade widersprochen?", Amalies Stimme schnitt durch die Luft, wie ein gerade geschärftes Schwert und ich glaubte fast einen Schnitt in meinem Gesicht zu spüren. "Nein", meine Antwort hörte sich in meinen Ohren ziemlich selbstbewusst an dafür, dass ich innerlich vor Angst wie gelähmt war, "Ich habe dir gesagt, was alle hier denken. Niemals werde ich mit ansehen, wie du hunderte Unschuldige in den Tod schickst nur, weil du Rache für den Tod deines Sohnes üben willst!" Mein Kopf war von mir selbst überrascht. Kein Teil meines Körpers hätte wohl damit gerechnet, so viel Mut in sich zu haben. "Und glaubst du mich interessiert es, was alle hier denken?", zischte sie mir entgegen, wie eine Schlange, die einen Angreifer mit allen Mitteln vertreiben will, weil sie sich in eine Ecke gedrängt fühlt. Genau das war Amalie auch. Ein in einen Raum ohne Ausweg gezwängtes Tier, dass nur den Angriff als Verteidigung sieht, um noch lebend davon zu kommen. Sie hatte Angst. Todesangst. Nicht vor mir, aber vor dem König und dessen Soldaten. Sie wollte nicht sterben, wie ihr Sohn. "Ich denke du solltest dich dafür interessieren, wenn es dir wichtig ist, dass du diesen Kampf gewinnst." Meine Worte ernteten einige nickende Köpfe und manch zustimmendes Gemurmel. Mein Kopf und mein Mund arbeiteten tatsächlich einmal zusammen. "Und was schlägst du dann vor? Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie uns finden und dann...", sie brach ab, scheinbar nicht in der Lage diesen Gedanken in ihrem Kopf weiter zu verfolgen und auszusprechen. Ich musste nicht einmal eine Sekunde über eine Antwort nachdenken, denn ich hatte sie schon einmal erwähnt: "Wir müssen hinter den Stadtmauern nach weiteren Menschen suchen und wenn nötig die Soldaten durch versteckte Manöver aufhalten, bis diejenigen zurückkehren, die draußen waren." "Das könnte tatsächlich funktionieren", pflichtete mir unerwarteter Weise Jo bei, "Wir schicken einen Trupp nach draußen und alle anderen sabotieren die Handlungen der Soldaten so gut sie eben können." "Sie haben Recht", Bens Stimme war ebenfalls ziemlich unerwartet zu meiner Unterstützung da, "Einen direkten, offenen Angriff können wir niemals gewinnen, aber wir können und Zeit verschaffen." "Und sollten sie uns finden", ergänzte ich, nun völlig Feuer und Flamme für meine Idee, "Dann suchen wir uns ein neues Versteck. Wenn wir umziehen müssen, dann müssen wir es eben tun."Amalie sieht mich einfach nur an. In ihren Augen ist nichts als Leere: "Und was machen wir, wenn es draußen keine Menschen mehr gibt?" Darauf wusste ich keine Antwort. "Dann ziehen wir nach draußen und besiedeln die Wüste oder was auch immer uns dort draußen erwartet. Wenn wir einen Trupp aus der Stadt bekommen können, dann schaffen wir das auch mit mehreren. " Alles hatte sich zur Tür gedreht, um herauszubekommen, wer da spricht. Einzig Amalie und ich starrten uns an. Ich wütend und sie erschrocken. Wir wussten beide, wer das gesagt hatte. Ich spürte, wie sich eine kleine Hand in meine schob und schaute hinunter in Hannahs ernstes Gesicht. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Später am Abend hatte sie mir erklärt, dass sie eigentlich alles hatte mithören können, weil sie zufällig an dem Raum vorbei laufen wollte. "Eigentlich wollte ich schon herein kommen, als du dich das erste Mal zu Wort gemeldet hast, aber du schienst dann doch alles unter Kontrolle zu haben." Jetzt schläft sie mit ihrem Kopf an meine Schulter gelehnt neben mir. Sie hat mir beim Schreiben zugesehen und muss dann irgendwann weggedämmert sein. Wo ich sie jetzt so ansehe und weiß, dass es endlich einen Plan gibt, habe ich das erste Mal Hoffnung. Wir werden es schaffen zu überleben und wir werden endlich eine bessere Zukunft haben, auch wenn damit vielleicht noch viel Arbeit einhergeht.
Hope
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Hope.
Ciencia FicciónWas machst du, wenn alles, was du gekannt und geliebt hast, einfach zerstört wird? Wenn die Natur vernichtet wurde und nur das Leben in einer Stadt dich vor Krankheiten und Tod schützt? Wenn diese Stadt von einem Tyrannen regiert wird und du auf der...