21. Kapitel

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"Soll ich dir Erdbeeren besorgen? Oder Äpfel? Ja bestimmt willst du einen Apfel. Oder nein! Blaubeeren sind doch besser - oder? Kirschen?" Lachend gebe ich Lijah einen Schlag auf die Schulter.
"Wenn du dich jetzt immer so aufführst, dann bist du noch anstrengender, als der kleine Mann in meinem Bauch", necke ich ihn liebevoll, "Und das halten meine Nerven dann ganz sicher nicht aus. Du willst doch nicht, dass ich anfange durchzudrehen und mir immer wieder gegen den Kopf schlage, weil ich denke die Stimmen kämen aus meinem Kopf."
Sein Blick ist so erschrocken, dass ich noch lauter lachen muss. Er nimmt alles so ernst, was ich sage, seit er weiß, dass ich schwanger bin. Das ist so unglaublich süß, aber manchmal auch ziemlich nervig. 'Er weiß es ja erst, seit zwei Tagen', rede ich mir jedes Mal ein, aber ein bisschen Sorgen macht es mir schon. Nicht, dass er es am Ende noch ist, der durchdreht.
"Hörst du wirklich Stimmen in deinem Kopf? Soll ich einen Arzt suchen? Außerdem könnte es auch eine kleine Frau sein."
Ich verdrehe die Augen und humpele zu der nächsten Ecke vor, um etwas Abstand zu bekommen, aber er hält mühelos mit. Mein Knie ist zwar abgeheilt, aber es wird nie wieder so belastbar sein wie früher. Ich kann gehen und rennen, aber alles etwas langsamer als andere und mit nachgezogenem Bein. Trotzdem ist es besser als gar nicht laufen zu können.
"Tut mir ja leid, dass ich der schlimmste Vater der Welt bin und überhaupt keine Ahnung habe vom Kinderkriegen. Ich gebe mir Mühe dich zu verstehen. Wirklich. Und ich versuche, nicht mehr so nervig zu sein und einfach darauf zu warten, dass du sagst, wenn du irgendetwas - egal, was es ist - brauchst. Ich schwöre, bei dem, was dich glauben lässt, dass ich es ernst meine", plappert er hinter mir und nimmt meine Hand, "Ehrlich." Ich kann einfach nicht anders als ihn zu küssen. Er benimmt sich, wie ein kleines Kind, dem man die Welt erklären muss, aber das ist einfach viel zu niedlich, um ihm ewig böse zu sein. Ich hätte ewig hier stehen können. Seine Hand in meiner und seine Lippen auf meinen, aber laute Stimmen erregen unsere Aufmerksamkeit. Ein kurzer Blickwechsel reicht und ich lasse mich hinter Lijahs Rücken schieben. Ich hasse es beschützt zu werden, aber jetzt geht es auch, um den kleinen Menschen, der in mir wächst.
Eine Gruppe von Männern und Frauen kommt direkt auf uns zu. Sie tragen alle dunkle, praktische Kleidung und diskutieren über etwas, das ich von hier nicht verstehen kann. Als sie näher kommen, erkenne ich, dass auf ihren Kleidern, meistens auf einer Jacke, ein Symbol aufgenäht ist. Ein Löwe auf rotem Grund, dessen Hals von einem Schwert durchbohrt ist.
"Des Löwen Tod", flüstere ich Lijah zu.
"Bitte was?", fragt er verwirrt.
"Sie nennen sich selbst "Die Jäger". Ihr Ziel ist es, den König zu stürzen und die Tyrannei und das daraus resultierende Elend zu beenden. Es gibt sie erst seit einigen Tagen, aber sie sammeln Mitglieder und wachsen stündlich", setze ich ihn schnell ins Bild, "Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sie gut oder schlecht für uns sind."
Er nickt, um mir zu verstehen zu geben, dass er begriffen hat. Vermutlich traut er sich nicht mehr, mir zu antworten. Ich sehe, wie sich sein ganzer Körper anspannt. Er ist bereit zu kämpfen, wenn er keine andere Wahl mehr hat.
"Guten Tag, die Herrschaften", begrüßt uns ein großer Mann, vielleicht Mitte der vierziger Jahre. Sein Arme machen jedem Dummkopf deutlich, dass mit ihm im Ernstfall nicht zu spaßen ist. Trotzdem wirkt er nicht beängstigend. Seine Augen strahlen Freundlichkeit und Güte aus und seine Haltung ist in kleinster Weise feindselig. Lijah bleibt dennoch angespannt. Er ist schlau genug, um sich nicht nur von der äußeren Erscheinung leiten zu lassen. Mit zusammengebissen Zähnen presst er einen knappen Gruß heraus. Sein Gegenüber mustert ihn sichtlich amüsiert: "Du brauchst nicht den kleffenden Hund zu spielen, der seine Hütte bewacht. Wir sind nicht deine Feinde." "Aber auch nicht meine Freunde", kontert Lijah ruhig, aber bestimmt. "In der Tat. Das sind wird nicht." Er betrachtet uns mit offensichtlicher Neugier und mit Respekt: "Vielleicht können wir das aber werden, denn ich denke, wir verfolgen ähnliche Interessen." "Und die wären?", blafft Lijah ihn an. Beruhigend lege ich ihm meine Hand auf die Schulter: "Ich denke nicht, dass sie uns umbringen werden, wenn wir nett zu ihnen sind. Hör ihm zu. Vielleicht hat er ja Recht." "Deine Frau ist schlau Junge. Lasst mich erklären, wer wir sind, was wir tun und wie ihr uns helfen könntet. Danach kannst du gerne wieder angriffslustig sein." Ich halte es für einen annehmbaren Vorschlag, aber Lijah scheint immernoch  nicht überzeugt. Kurz drücke ich seine Schulter und schenke ihm ein Lächeln. Seine Züge entspannen sich leicht: "Wir hören." Der Mann nickt, dann schüttelt er den Kopf: "Nicht hier. Kommt mit uns an einen etwas geschützten Ort, wo uns nicht jeder hören kann, der vorbeikommt." Wir tauschen einen Blick und schließen uns dann der Gruppe an, die sich auf macht in Richtung Labyrinth. "Wie heißen Sie eigentlich?", wage ich zu fragen und sehe dem Mann tief in die Augen, als er sich zu mir umdreht. "Mich nennen alle Jo. Ich denke, das solltet ihr auch tun, sonst weiß ich gar nicht, wen ihr meint", er zwinkert mir zu und richtet seinen Blick wieder nach vorn.

Als man uns die Augenbinden, die uns kurz vor dem Eingang in ihr 'Hauptquartier' angelegt wurden, wieder abnimmt, staunen wir beide nicht schlecht. Über uns wölbt sich eine Art Kuppel, durch die vereinzelt Licht hereinfällt. Der Raum ist rund und an den Wänden führen Treppen zu Türen die in drei Stockwerken in regelmäßigen Abständen in die Wände eingelassen sind. Ich könnte mir vermutlich gar nicht merken, wohin jede einzelne führt und zählen, will ich sie lieber auch nicht. Der Platz in der Mitte scheint eine Art Sammelort zu sein, denn hier sitzen Menschen an Tischen oder auf dem Boden. Sie reden, lesen, schreiben oder lassen einfach alles mit geschlossenen Augen auf sich wirken. Einige haben uns bemerkt und lächeln oder winken. Eine Frau kommt auf mich zu und reicht mir ein Glas Wasser: "Du siehst ganz erschöpft aus Kleines." Ich danke ihr und nehme einen kleinen Schluck. Dann will ich es ihr zurück geben, doch sie winkt ab: "Behalte es ruhig. Wir haben hier genug davon. Du siehst ja halb verdurstet aus." Dankbar trinke ich das Glas leer und betrachte die Frau dann genauer. Sie hat dünnes graues Haar, aber durch den Knoten, den sie sich daraus gebunden hat, wirkt es in keiner Weise kränklich. Ihre Züge sind voller Freundlichkeit und ihre Augen sind gefüllt mit Wärme. Noch einmal bedanke ich mich. Sie nickt und wendet sich dann an Jo: "Wo habt ihr die beiden denn aufgegabelt?" Der Angesprochene zuckt mit den Schultern: "In einer der Gassen. Ich glaube sie passen zu uns und könnten uns sicher helfen." Wieder nickt die Frau: "Ich bin übrigens Amalie. Anführerin der Jäger. Vielleicht habt ihr schon von uns gehört." "Es gibt Gerüchte und Geschichten", antworte ich ruhig. Sie lächelt: "Ich hoffe, es ist wenigstens etwas Wahres dabei." "Ich will nicht unhöflich sein", meldet sich Lijah zu Wort, "aber ich fürchte meine Schwester macht sich Sorgen, wenn wir nicht zurückkommen." Amalie winkt mit ihrer Hand. Sie hat erstaunlich lange schlanke Finger, die einen Eindruck von Eleganz ausstrahlen. Zwei Männer und eine jüngere Frau kommen angelaufen und erhalten knappe Befehle, die ich nicht verstehe, weil sie leise sprechen. Die drei nicken und Amalie richtet das Wort wieder an Lijah: "Sie werden mit dir gehen und ihr könnt deine Schwester holen. Ihr solltet nicht getrennt sein, wenn ihr unsere Gastfreundschaft bekommt. Sie gebührt ihr schließlich auch." In seinen Augen kann ich sehen, dass er protestieren will. "Ich werde schon nicht umkommen, wenn du weg bist", flüstere ich. Er lächelt mich, scheinbar dankbar dafür an, dass ich ihm die Entscheidung abgenommen habe.
Ich sehe der kleinen Gruppe nach, bis sie in der Dunkelheit irgend einer Art Tunnels verschwinden. "Komm Kleines. Wir gehen dir erst einmal ein Kleid besorgen, das noch nicht kaputt ist", meint Amalie und nimmt meine Hand. "Darf ich dich Kate nennen oder wirst du anders gerufen?" Verwirrt starre ich sie an: "Woher..." "Du wirst dich nicht an mich erinnern, aber ich war eine gute Freundin deiner Mutter. Leider haben wir uns eine lange Zeit nicht gesehen und als dann der Krieg ausbrach und ich hörte, dass sie und Peter  tot sein, hätte ich auch nicht damit gerechnet, dass du noch am Leben bist", unterbrach sie mich, "Du siehst jedoch genauso aus, wie sie. Nur deshalb konnte ich dich erkennen als du hier herein gekommen bist." Das muss erst einmal verarbeitet werden und sie lässt mir die Zeit, die ich brauche. Dann kann ich antworten. "Mich nennen alle Hope."

Hope.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt