Irgendwann am frühen Morgen
Ich schreibe auf einem Blatt Papier. Es ist dünn, aber es reicht aus. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal genau, ob es wirklich der erste Tag ist oder nicht, aber irgendwo muss ich anfangen. Im Moment sitze ich auf einem Boden aus Stein und starre hinaus auf eine grüne Wiese, die zu meinem Gefängnis dazu gehört. Seit ich hier bin, geht es mir nicht schlecht und von den Erlebnissen davor, werde ich nicht schreiben, denn sie sind nicht wichtig. Zurück zu dem Rasen. Er ist umgeben von einer Kuppel aus Glas. Ich vermute, dass man von außen nicht hineingucken kann, weil sie getönt ist, aber ich kann hinaussehen und ich habe einen Blick über die ganze Stadt. Gerade habe ich ein Feuer beobachtet. Es war so riesig, dass ich fast gedacht habe, es würde seine Flammen bis zu mir ausstrecken. Anscheinend kam es vom Markt und ich glaube ich weiß auch, was dort gebrannt hat. Die Jäger machen weiter. Ich habe auch etwas in Erfahrung gebracht, was ich jedem von euch gerne mitteilen würde. König Krestor hat eine Tochter. Sie ist die einzige, die bisher nett zu mir war, weil sie ihren Vater genauso sehr hasst, wie wir ihn. Er erkennt sie weder als seine Tochter, noch als seine Nachfolgerin an, weil sie seit ihrer Geburt blind ist. Als sie mir das Papier gebracht hat, meinte sie, dass sie es vielleicht schaffen könnte, eine Botschaft an Amalie zu überliefern. Mündlich natürlich, aber das muss reichen. Ich vermisse jeden der Jäger. Besonders natürlich Lijah, Lui und Hannah, aber sogar der Streit mit Amalie kommt mir mittlerweile so lächerlich vor. Man muss einfach miteinander reden, um etwas zu klären, aber ich habe mich verhalten, wie ein kleines bockiges Kind. Sollte ich sie noch einmal sehen, werde ich mich bei ihr entschuldigen, auch wenn sie mir immer noch erklären muss, warum sie Hannah einfach nicht haben wollte.
Irgendwann etwas später
Ich sitze vor der Glasscheibe und beobachte die Leute, die vorbei gehen. Sie sehen mich ganz sicher nicht. Am besten betrachten, kann ich von hier natürlich die Oberschicht, aber auch in die Gassen habe ich eine ganz gute Sicht. Es ist faszinierend, wie krass die Unterschiede sind. Natürlich wusste ich schon, dass hier die Reichen wohnen und unten die Armen, aber dass der Abhang so steil sein würde, hätte ich niemals geahnt. Jeder hat ihr seinen eigenen Garten und eigene Wiesen. Sie lassen es künstlich regnen und fangen das Wasser auf, bevor es nach unten in die Gassen läuft. Wir bekommen nur das echte Regenwasser, das so gut wie nie vom Himmel fällt. Außerdem wagen sie es, jeden Tag neue Kleidung zu tragen. Es ist tatsächlich, als würde man in eine komplett neue Welt eintauchen, wenn man nach Oben kommt. Wir denken ja schon, dass das Militärviertel viel Luxus hat, aber wir irren uns gewaltig. Sie haben es nicht viel besser als wir. Wonach wird eigentlich festgelegt, wer hier oben wohnen darf und wer nicht? Man muss Glück haben. Mehr lässt sich dazu nicht sagen.
Irgendwann am Abend
Soeben hat Krestor seinen Palast verlassen. Rose hat mir erzählt, dass er eine Ansprache an das Volk halten will. Durch die Glasscheiben kann ich ihn hören, wie er seine Rede noch einmal vorbereitet und er starrt mich dabei direkt an. Natürlich kann er mich nicht sehen, aber trotzdem scheint er zu wissen, wo ich bin. Er verspricht allen eine hohe Belohnung, die ihm einen Jäger bringen. Tot oder lebendig ist ihm dabei total egal. Er will sie alle nach und nach auslöschen, aber das wird ihm nicht gelingen. Die Menschen müssen gesehen haben, dass er sich in die Enge getrieben fühlt. Das ist ein Kampf, den er nicht gewinnen wird, denn diesmal ist er derjenige, der gestürzt wird. Amalie hat einen Plan und die Jäger folgen ihr bedingungslos, denn sie wissen, dass Freiheit auf sie wartet, wenn sie erfolgreich sind. Selbst Lui hat sie akzeptiert und das schafft sie nur sehr schwer, wenn ich Lijahs Worte richtig zu deuten weiß. Wenn ich an die beiden denke, wie sie sich gegenseitig necken und aufziehen, muss ich schmunzeln. Krestor kann mich hier ruhig festhalten, aber den beiden wird es immer gut gehen, weil sie immer zusammen sind. Heute bin ich den ganzen Tag schon glücklich, denn ich habe keine Schmerzen mehr in meinem Bauch und das kann nur ein gutes Zeichen sein. Babys sind anscheinend ziemlich gut gepolstert. Alles wird schon irgendwie gut werden. Davon bin ich überzeugt und da kann der König vor meiner Scheibe noch so viel Grinsen, wie er will. Jetzt machte er eine Pause. Sieht er mich etwa doch? Dann werde ich nicht mehr lange schreiben könne. Nein. Jetzt spricht er weiter. Seine Rede habe ich nicht mit gehört, seit er bei dem Kopfgeld angekommen ist, aber etwas an seinem Tonfall lässt mich jetzt aufhorchen. Oh nein. Das darf nicht sein. Das muss er erfunden haben. Er sagt das nur, um mich zur Verzweiflung zu bringen. Es ist nur eines seiner dummen Spiele, die er so gerne hat. Niemals kann das wirklich passiert sein. Das würde alles ändern. Alles. Es würde die Jäger komplett zerstören. Sein Lächeln ist so abscheulich. Kann er das fälschen? Ist er ein dermaßen guter Schauspieler, dass ich Wahrheit nicht mehr von Lüge unterscheiden kann, wenn er sie vor mir auf dem Tisch ausbreitet? Es muss einfach eine Lüge sein. Amalie kann nicht einfach tot sein. Nicht so.
Irgendwann in der Nacht
Es ist wahr. Rose hat es mir bestätigt. Heute gegen acht Uhr ist Amalie kaltblütig ermordet worden. Erst wollte ich keine Details hören, doch ich hatte das Gefühl, es ihr schuldig zu sein. Es waren wohl mindesten fünfzig Stiche in den Bauch. Jemand muss schrecklich wütend auf sie gewesen sein und das Schlimmste ist, dass man Lui verhaftet hat. Sie sei die einzige gewesen, die Grund und Zeit hatte, sie umzubringen und sie soll für alles verantwortlich sein, was schief gelaufen ist, weil sie Informationen an den König weitergegeben hat. Das kann ich nicht glauben. Lui hat Amalie fast verehrt, weil sie eine so starke Frau war. Sie hat sie mir gegenüber sogar verteidigt, als sie ihren Schwächeanfall hatte. Irgendetwas stimmt da nicht. Außerdem frage ich mich, wie Krestor davon erfahren konnte, wenn sein Spion doch jetzt bei den Jägern inhaftiert ist. Irgendetwas läuft hier gewaltig schief.
Hope
DU LIEST GERADE
Hope.
Science FictionWas machst du, wenn alles, was du gekannt und geliebt hast, einfach zerstört wird? Wenn die Natur vernichtet wurde und nur das Leben in einer Stadt dich vor Krankheiten und Tod schützt? Wenn diese Stadt von einem Tyrannen regiert wird und du auf der...