28. März 3091

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16.35 Uhr Liebes Tagebuch,

Heute ist wieder einmal so ein Tag, an dem ich mich frage, wie es überhaupt jemals möglich war, dass Menschen zusammen leben konnten, ohne Krieg zu führen. Mein täglich Brot konnte ich mir heute durch einen kleinen Botengang zum anderen Ende der Stadt verdienen. Das ist der Vorteil, wenn man noch jung und schnell zu Fuß ist. Autos und Motorräder gibt es schon lange nicht mehr. Vielleicht steht soetwas noch bei irgendwem in der Garage, aber die Rohstoffe, die es braucht um den Treibstoff herzustellen, sind schon lange aufgebraucht. Wie im Mittelalter fährt man mit Kutschen oder geht zu Fuß, denn von Pferden gezogene Fortbewegungsmittel sind teuer und daher nur für reiche Leute. Möchte man also jemandem am anderen Ende der Stadt eine Nachricht zukommen lassen, geht man entweder selbst oder man sucht sich jemanden, den man schicken kann. Heute wurde ich von einem Soldaten angesprochen. Er wollte, dass ich ein Päckchen zu einer Adresse im Militärsviertel bringe. Es gab nur eine Bedingung. Ich durfte das Paket nicht öffnen. Dafür hat er mir ein kleinen Beutel Taler versprochen. Schon vor Ewigkeiten hat man es aufgegeben irgendwelche anderen Währungen als Edelmetalle als Bezahlungsmittel nehmen zu wollen. Genug Menschen haben versucht sich zu bereichern, indem sie Geld druckten. Gold, Silber, Bronze und Messing lassen sich nicht so einfach fälschen. Wenn auch alle Rohstoffe von Kalina aufgebraucht sind, Edelmetalle existieren in Hülle und Fülle, wenn man die richtigen Mittel hat, um danach zu suchen. Hier in der Wüste von Andolia gibt es sehr viele Arbeiten, um an mehr Metalle zu kommen. Am wertvollsten ist natürlich Gold. Danach folgen Silber und Bronze. Das Metall mit dem wenigsten Wert, wobei viele nicht wissen, dass es eigentlich nur eine Legierung ist, ist Messing. Man muss schon zehn Taler auf den Tisch legen, um ein kleines Stück Brot zu bekommen. Für einen Botengang bekommt man meisten um die zehn Bronzetaler. Dafür bekommt man einen kleinen Leib Brot, etwas Käse und mit ein bisschen Glück auch noch eine kleine Flasche sauberes Wasser. Heute vermutete ich ungefähr das Gleiche. Mein Weg durch die Stadt brachte mich vorbei an reichen und armen Vierteln. Selbst, wenn ich blind gewesen wäre, hätte ich es erkannt. Viertel, die nicht für Reiche geschaffen sind, stinken bestialisch. Manche behaupten man könne sich daran gewöhnen, wenn man immer dort lebt, aber ich bezweifle es. Man kann es vielleicht versuchen zu ignorieren, aber sich daran zu gewöhnen ist unmöglich. Die Straßen der gehobenen Gesellschaft sind prunkvoll und überall riecht es nach frischen Blumen. Die Gebäude sind alle weiß gestrichen. Unschuld. Sie sind so riesig, dass sie einen Schatten auf die zwielichtigen Gassen werfen, in denen die normale Bevölkerung zu Hause ist. Wenn man in einer dieser Winkel wohnt, kommt man sich vor wie auf einer zweiten Etage. Der Keller. Die ganze Stadt ist so gebaut. "Oben" wohnen die Reichen und Berühmten und "unten" die normalen Menschen. Dort ist alles nass und kalt und dreckig. Wenn wir uns einen Platz zum schlafen suchen, freuen wir uns über alte Fässer oder Möbel. Auf dem Boden zu schlafen bedeutet vor allem für alte Menschen und für Kinder nach geraumer Zeit den Tod. Sie erfrieren einfach, wenn sie nicht vorher verhungern oder verdursten. Dieses Wimmern, das sie von sich geben kurz bevor sich ihre Augen schließen, brennt sich einem ins Gehirn ein und man wird immer wieder daran erinnert, dass diese Menschen nicht einen richtigen Glücksmoment im Leben hatten. Immer dann empfinde ich einen schrecklichen Hass auf die Menschen, die in den oberen Gebäuden wohnen. Für mich sind sie der Inbegriff von Abschaum. Sie trinken und essen und wagen es noch, übriges in den Müll zu werfen. Ich habe sie sich darüber beschweren hören, dass irgendein neues Produkt ja wohl total ekelhaft ist und dass man das doch gar nicht anbieten darf. Wenn sie so leiden würden wie wir, dann wäre ihnen egal, ob etwas schmeckt oder nicht. Sie würden es einfach essen, weil sie sonst verhungern würden. Wir essen alles, was auch nur im entferntesten nach Essen aussieht. Anders überleben wir nicht. Die Herren und Damen der weißen Häuser haben das ja gar nicht nötig. Sie können alles haben, was sie haben wollen und können sich daher auch mit ihren Problemen herumschlagen. Für diese Blindheit hasse ich sie. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass sie uns helfen könnten.
Das Militärsviertel ist ein Gebiet irgendwo zwischen oben und unten. Sie haben fließendes Wasser und ausreichend zu essen, aber ihre Häuser sind alt und meistens kaputt. Mein Auftrag lautete: "Bring das Päckchen ins Militärsviertel Nummer 23. Lege es davor und klopfe dreimal fest gegen die Tür. Danach drehst du dich um und gehst. Egal was du hörst, du drehst dich nicht um. Hast du mich verstanden?" Das tat ich. Genau wie befohlen drehte ich mich um und ging. Hinter mir hörte ich, wie jemand nach mir rief, aber ich schaute nicht zurück. Ich dachte nicht einmal daran. Selbst, wenn der Mann hinter mir erschossen worden wäre, hätte ich nicht nach hinten gesehen. Von den Soldaten halte ich genauso wenig, wie von den Reichen. Sie sind der Grund, warum Menschen erschossen werden und warum der König überhaupt noch regieren kann. Mit Gewehren und Messern gehen sie auf uns los und halten uns davon ab, das Scheusal auf dem Thron endlich zu töten. Deshalb sehe ich nicht zurück. Weil es mir egal ist. Zur Belohnung erhielt ich ein kleines Säckchen voller Taler. Ich öffnete es nicht sofort. Erst als ich weit genug von dem Soldaten entfernt war, wagte ich zu zählen. 20 Bronzetaler. Der Auftrag schien etwas wichtiger gewesen zu sein als normale Botengänge. Eigentlich würde es für zwei Tage reichen, aber ich bin kein Mensch, der alles für sich allein behält. Ich habe nur Brot und Wasser gekauft und es dann an die junge Familie im Holzhaus, an das Mädchen mit ihren Brüdern und an den alten Mann verteilt. Ein wenig behielt ich auch für mich selbst. Das dankbare Strahlen in den Augen des Mädchens überzeugte dann auch meinen hungrigen Magen davon, das Richtige getan zu haben.

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