Ich weiß nicht, wer ich bin. Doch ich bin Elijah Dorn, aber wer sind meine Eltern? Mein Name war eingenäht in die Jacke, die ich trug, aber wo wohne ich? Wo gehöre ich hin? Heute Morgen bin ich im Krankenhaus aufgewacht. Die Ärzte haben mir ins Gesicht gesehen, als wäre ich völlig entstellt und würde versuchen zu lächeln, obwohl meine Zähne fehlen. Ihre Blicke waren so ungläubig und entsetzt zugleich, dass man hätte meinen können, dass sie jeden Moment nach hinten fallen und erstmal nur Sterne beobachten würden. Man hat mir gesagt, dass ich aus einem. Fenster gefallen sein muss, da alle meine Knochen gebrochen waren. Es sei ein Wunder, dass ich meine Augen wieder geöffnet habe und einfach aufstehen konnte. Nichts scheint mehr von dem Sturz geblieben zu sein, als Narbe, die sich über meinen ganzen Körper verteilen. Noch sind die meisten rot und wulstig, aber der Arzt meinte, dass sie irgendwann blasser und schmaler werden würden, auch wenn sie niemals ganz verschwinden könnten. Er lobte andauernd die Technik, die wir zur Verfügung haben. "Vor tausend Jahren wärst du gestorben! Oder stell dir einmal das Mittelalter vor. Deine Wunden wären nicht einmal gereinigt worden." Ich soll glücklich sein, dass wir uns im vierten Jahrtausend befinden und nicht im dritten. Dabei hat er nie bedacht, dass ich vielleicht gar nicht leben will. Ich habe keine Familie und auch keine Erinnerung mehr an das, was mal ein Teil von mir gewesen sein muss. Vielleicht hat man mich sogar aus dem Fenster geworfen, weil man mich nicht mehr haben wollte. Immer wieder wurde von einem Unfall gesprochen, aber woher sollen die das denn wissen? Sie waren nicht dabei!
Es ist schrecklich nichts mehr zu wissen. Ich kann mich noch erinnern, wie man läuft und ich weiß auch noch, was Weihnachten ist, aber mir fällt kein Name mehr ein und auch kein Gesicht, das sich irgendwie meinem vergangenen Leben zuordnen lassen würde. Es ist, als hätte es die letzten sieben Jahre nie gegeben. Ich glauben, dass mir jemand einfach alle Erinnerungen genommen hat. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich alle Fertigkeiten noch habe, dass ich weiß, wann ich Geburtstag habe, und dass ich immer noch ein Auto auseinander und wieder zusammenbauen kann, aber nichts mehr aus meinem Leben weiß? Gar nicht. Jemand hat nachgeholfen, da bin ich mir ganz sicher, aber ich habe keine Ahnung warum oder wer das getan haben könnte.
Ich hasse mich, so wie ich jetzt bin. Anscheinend habe ich im Koma gelegen, bis alle Verletzungen durch die Maschinen geheilt wurden, denn ich habe keine Schmerzen. Trotzdem hasse ich meine Situation. Wo soll ich denn hin, wenn ich keine Familie habe? Der Arzt erwähnte eine Frau, die gerade ein Kind bekommen hatte und mich ohne mit der Wimper zu zucken aufnehmen würde, aber ich werde immer ein Fremder bleiben. Ihr eigenes Kind wird sie so oder so bevorzugen. Nicht, dass mich das stören würde, aber sie könnte ein schlechtes Gewissen haben und das wäre meine Schuld. Vielleicht macht sie sich auch viel zu viele Sorgen um mich, weil ich nicht mehr weiß, wer ich eigentlich bin. Sie könnte sich zu viel Stress machen und das will ich auch nicht. Außerdem will ich kein Mitleid. Sie nimmt mich nicht auf, weil sie mich mag. Ich bezweifle, dass sie mich vorher gekannt hat. Sie handelt aus Mitleid. Einen kleinen Jungen, der solche Quälen erlebt hat, will sie nicht auf der Straße lebend wissen. Ehrenhaft, aber von mir ungewollt. Nicht, dass ich sie dafür nicht respektieren würde, dass sie genug Mut hätte einen völlig Fremden in ihr Leben und das ihrer Tochter zu lassen, aber Mitleid von jemandem, den ich eigentlich beschützten müsste, will ich nicht. Es war schon immer so. Männer beschützten die Frauen und nicht andersherum.
Andererseits klang der Arzt nicht so, als hätte ich unbedingt eine Wahl. Er hatte zwar gemurmelt, dass ich auch nein sagen könnte, aber etwas in seiner Stimme lässt mich stark daran zweifeln. Wenn ich also so oder so in eine Familie kommen, dann lieber auch in eine, die mich wirklich will und das scheint in dieser ja gegeben zu sein. Vielleicht kann ich mich auch ein bisschen nützlich machen, indem ich auf das Kind aufpasse oder ähnliche Dinge tue. Ich kann auch einkaufen gehen. Solange ich nicht das Gefühl habe, dass ich der Frau zur Last Fälle, werde ich wohl damit leben können, wenn sie mich mitleidig ansieht. Ich gebe ihr eine Chance, so ungern ich es eigentlich will, aber andere Alternativen wären vermutlich nicht besser.
Eine Sache lässt mich allerdings nicht los. Kurz bevor ich aufgewacht bin habe ich geträumt. An sich ist das wohl kaum ungewöhnlich, aber es ging die ganze Zeit nur um eine einzige Sache. Ich habe mich selbst gesehen. Mit der Nase an die Glasscheibe gepresst, stand ich vor einem Schaufenster und bewunderte ein kleines Auto aus Holz. Ich habe nicht gebettelt oder ähnliches. Trotzdem könnte man mir ansehen, wie gern ich es mitgenommen hätte. Viel zu teuer wird es gewesen sein, denn ich bin nicht in den Laden gegangen. Dann ertönte um mich herum eine kindliche Stimme. Ich wusste, dass ich sie kenne, aber bis jetzt fällt mir nicht ein, woher. "Ich habe schon ein Weihnachtsgeschenk für dich El", die Stimme klingt weinerlich und dünn. So als hätte die Person geweint oder wäre kurz davor: "Das Auto, was dir so gefallen hat. Ganz lange habe ich gespart und jetzt ist mein Geld leer, aber ich habe es für dich gekauft. Ich will es dir schenken, also komm bitte wieder her. Zu Weihnachten ja? Dann bekommst du es. Bitte El. Bitte." Wie gerne würde ich einfach losgehen und ihn in den Arm nehmen, wer auch immer er ist, aber ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen würde zu suchen. Vielleicht ist er mein Bruder oder ein Freund von mir, aber selbst wenn er mich einmal so geliebt hat. Ich lag über zwei Monate im Koma und niemand ist gekommen, um mich zu holen, um hier zu sein, wenn ich aufwache. Bestimmt bin ich längst vergessen. Wer weiß. Vielleicht hat man dem Jungen auch erzählt, ich wäre tot. Unwahrscheinlich ist es ja nicht einmal gewesen, schließlich waren sogar die Ärzte überrascht, als ich sie mit meinen blauen Augen angestarrt habe. Wer auch immer er ist und was auch immer er für mich bedeutet hat, ich kann mich nicht mehr erinnern und aus seinem Leben bin ich verschwunden, ob er mich nun vermisst oder nicht. Ich werde ihn niemals wieder in den Arm nehmen, so gern ich es tun würde.Elijah

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Hope.
Science FictionWas machst du, wenn alles, was du gekannt und geliebt hast, einfach zerstört wird? Wenn die Natur vernichtet wurde und nur das Leben in einer Stadt dich vor Krankheiten und Tod schützt? Wenn diese Stadt von einem Tyrannen regiert wird und du auf der...