8. Kapitel

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Der Geruch von verfaulendem Essen steigt mir unangenehm in die Nase. Er ist alt, abgestanden und muffig. Manchmal bilde ich mir ein ihn in grünlichen Schwaden aufsteigen zu sehen, so, wie es in Comics dargestellt wurde, die es vor dem Krieg gegeben hat. Es ist natürlich nur eine Illusion. Manche sagen sie hätten sich an diesen Gestank gewöhnt, aber das glaube ich ihnen nicht. Daran kann man sich und seine Nase gar nicht gewöhnen. Ich erschauere. Schnell versuche ich meine Gedanken auf ein anderes Thema zu konzentrieren um die üblen Düfte wenigstens ein wenig ignorieren zu können, doch da kommen mir wieder die Augen des Soldaten in den Kopf. Ich weiß nicht, was besser ist: Darüber nachzudenken, was in dieser Gasse gerade vor sich hin verrottet oder was mit diesem Jungen passiert ist. Schlussendlich bleiben meine Gedanken doch an dem Mann hängen. Ich mache mir einfach noch immer Sorgen und frage mich, ob er noch lebt. Vermutlich nicht, aber irgendein kleiner Teil von mir wehrt sich noch hartnäckig gegen diese Erkenntnis. Mein Verstand redet auf ihn ein und versucht ihm deutlich zu machen, dass ein Überleben bei Hochverrat eine Sache der absoluten Unmöglichkeit ist, aber er gibt nicht auf. Irgendwie glaube ich noch daran, dass er es vielleicht doch geschafft hat. Durch ein Wunder oder ganz viel Glück. Er hätte es verdient. Mut und Gerechtigkeit sollten nicht mit dem Tod bestraft werden. Mein Verstand sagt die ganze Zeit, dass er schon nicht mehr leben kann, weil der König Menschlichkeit zeigen würde, wenn er ihn begnadigt und der König und Menschlichkeit sind zwei Dinge die genauso gut zusammenpassen wie zwei Pole eines Magneten mit gleicher Ladung. Mit viel Kraftaufwand drückt man sie gegeneinander, aber sie halten niemals von allein. Trotzdem. Mein Gefühl schließt die Hoffnung nicht aus. Ich seufze und drücke mich von der Mauer ab an die ich mich gelehnt hatte. Ein stechender Schmerz zuckt durch mein Bein. Vor zwei Tagen hat sich bei einem Sturz auf eine zersplitterte Glasflasche eine Scherbe in mein Knie gebohrt. Seit dem hinke ich stark und brauche öfters eine Pause vom Laufen. Innerlich bete ich ständig, dass es sich nicht entzünden würde, aber meine Chancen stehen schlecht. Auch eine Blutvergiftung ist nicht auszuschließen, da ich nichts besitze mit dem ich die Wunde hätte reinigen können. Jetzt laufe ich mich immer an der Mauer neben mir abstützend am Rand des Marktplatzes entlang. In einer Tasche, die ich um meinen Bauch gebunden trage, damit sie niemand stehlen kann, habe ich Einkäufe für ein paar Tage. Ein Botengang, den ich vor einigen Stunden gemacht habe, hat mir das nötige Geld gebracht. Es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass man wenigstens in nächster Zeit nicht verhungern wird. In gewisser Weise ähnelt es einem warmen Mantel im Winter: Man weiß, dass man vorerst nicht friert, aber irgendwann dringt die Kälte auch durch den dicksten Stoff. Ich beschließe mir erst einmal nicht allzu viele Gedanken zu machen und sorge mich eher um die nächste Wegstrecke die vor mir liegt. Eine breitere Gasse an deren Wände man sich zu meinem Bedauern nicht abstützen kann, da davor überall Decken oder andere Gegenstände liegen, die das laufen unmöglich machen. Gezwungenermaßen muss ich also genau in der Mitte gehen. Vorsichtig versuche ich mein Bein zu belasten, doch kaum berührt es den Boden, da knickt es auch schon schmerzhaft ein. Ich ziehe scharf die Luft ein um einen Aufschrei zu unterdrücken, doch ich spüre, wie es mir dann doch die Tränen in die Augen treibt. Schnell blinzle ich sie weg und hüpfe langsam vorwärts. Ständig muss ich anhalten und so gut wie nur irgend möglich mein anderes Bein entlasten. Noch nicht einmal die Hälfte meines Heimweges habe ich geschafft. Leider weiß ich, dass es keine Aussicht auf einen besseren Weg gibt, schließlich wohne ich in einem komplizierten Netz aus Gassen in denen auch alle anderen schlafen, die keine Unterkunft haben und das sind ziemlich viele. Frustriert bringe ich die nächsten Meter hinter mich. Pause. Hüpfen. Pause. Ich spüre schon, dass meine Kraft nachlässt, obwohl ich nicht unbedingt unsportlich bin, aber der Hunger erlaubt keine Stärke. Die nächsten Meter und wieder ein kurzer Halt. Gerade beschließe ich mich hinzusetzen und mein Bein so etwas länger auszuruhen, als ich hinter mir Schritte höre. Schnell drehe ich mich um und sehe drei Männer direkt auf mich zukommen. Sie tragen gepflegte, saubere Kleidung und haben kein Dreck auf der Haut; Merkmale, die auf die Oberschicht schließen lassen und das bedeutet nichts gutes schon gar nicht, da sie mich die ganze Zeit anstarren und voller Vorfreude grinsen. Es ist ein abscheulichen widerwärtiges Grinsen. So schnell ich kann, versuche ich einige Meter zwischen mich und die Männer zu legen, aber ich bin viel zu langsam. Meine Verfolger brauchen sich nicht einmal zu beeilen, da haben sie mich schon eingeholt. Grob packt mich einer der drei an den Haaren und reißt mich zurück. Er dreht mir die Arme schmerzhaft auf den Rücken und schiebt mich vorwärts in eine andere, verlassene Gasse. Die anderen beiden folgen uns und lachen hämisch. Schnell begreife ich, dass es sich bei dem schmalen Weg um eine Sackgasse handelt, denn vor mir erscheint ein Mauer. Hart werde ich dagegen gedrückt, zuerst mit meinem Bauch. "Was haben wir denn hier hübsches?", fragt einer der drei. Seine Stimme klingt wie das Zischen einer Schlange; giftig und hinterhältig. "Lass und doch mal sehen", brummt der Mann, der mir noch immer die Arme auf den Rücken drückt und reißt mich brutal herum. Jetzt stehe ich mit dem Rücken zur Wand wie ein in die Enge getriebenes Tier. Genau das bin ich für sie. Ein Tier; ein Spielzeug mit dem sie machen können, was sie wollen. Jetzt tritt der, der noch gar nichts gesagt hat auf mich zu. Mit einem abfälligen, aber doch lüsternen Blick betrachtet er mich. Er nimmt mein Kinn zwischen seine Finger und dreht meinen Kopf erst in die eine, dann in die andere Richtung. "Tatsächlich", flüsterte er dann mit einem ekligen Grinsen im Gesicht, "Du bist ziemlich hübsch. Sei brav." Die anderen beiden lachen. Der Mann vor mir streicht mir mit seinem Finger über mein Gesicht; meinen Hals herunter. Ich drehe den Kopf weg. Sein Blick ist amüsiert: "Kämpferisch ja?" Sein Lächeln ist so widerwärtig, dass ich nicht hinsehen kann, doch er reißt meinen Kopf herum: "Sie mich gefälligst an!" Seine Hand verharrt kurz auf meinen Schultern. Er macht einen Schritt auf mich zu. Sein Gesicht ist dem meinen so nah, dass ich seinen stinkenden Atem riechen kann. Mir wird schlecht und ich muss würgen. "Das ist aber sehr unhöflich", weist er mich zurecht. Eine seiner Hände lässt er über meinen Rücken gleiten und lässt sie auf meiner Taille ruhen. Er presst seine Lippen auf meine. Verzweifelt beiße ich ihn. Wütend schreit er auf und schlägt mir ins Gesicht. Ich stürze zu Boden und er tritt mir in den Bauch. Mein Atem stockt, da mir die gesamte Luft aus den Lungen gepresst wird, doch er hört nicht auf. Mir wird schwarz vor Augen und ich huste Blut. Da ertönt plötzlich ein lauter Knall, dann noch einer und ein dritter. Mit weit aufgerissen Augen sackt der Mann vor mir zusammen; tot. Die anderen beiden liegen ebenfalls erschossen auf dem Boden. Zitternd kauere ich mich an der Wand zusammen und beginne zu weinen. Eine warme Hand legt sich um meine Schultern. Ich zucke zusammen. "Entschuldige", flüstert eine ruhige Stimme, "Ich wollte dich nicht erschrecken. Außerdem verzeih mir, dass ich nicht schon viel früher hier war." Verwirrt sehe ich auf und erblicke durch meine von Tränen verschleierten Augen das mir durch meine Träume mittlerweile so vertraute Gesicht des jungen Soldaten.

Hope.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt