3. Juli 3088

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Seit einem Jahr bin ich jetzt Soldat. Damals dachte ich noch, ich könnte einfach irgendwann abhauen und einfach nicht das machen, was man von mir will, aber heute weiß ich, wie sehr ich mich geirrt habe. Die Tür haben sie eingetreten und mich einfach aus meinem Bett gezerrt. In den Dienst werde ich gerufen, haben sie gesagt. Meine kleine Schwester hat geschrien und war unglaublich schwer von meinem Bein zu lösen. Ganz leise habe ich ihr versprochen, dass ich zurück kommen würde, aber das habe ich bis heute nicht getan. Das Training ist hart, aber schlimmer sind die echten Einsätze. Hinrichtungen, Festnahmen und Folter. Am schlimmsten ist der 31. März. Dieses Jahr musste ich zum Glück nicht dabei sein. Der König hat mich befördert zum ersten Offizier der Leibgarde. Ich muss ständig in seiner Nähe sein und darauf achten, dass niemand versucht ihn zu töten. Wie sicher er sich wohl fühlt, wenn sein Schicksal in den Händen von jemandem liegt, der ihn hasst? Viele von uns bleiben nur, weil man ihnen droht. Man wird registriert. Genauso wie seine Familie. Jeder hier weiß als, wen man entführen oder töten muss, um dich zu verletzten. Ich habe Angst um Lui. Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben und ich will meiner Schwester nicht noch mehr Kummer bereiten, indem ich riskiere, dass man sie entführt oder verängstigt. Nur deshalb bleibe ich.
Wir müssen unsere Tagesabläufe mit Tonbändern protokollieren. Das mag komisch klingen, weil es eigentlich keine Technik mehr gibt, aber Journalisten und Soldaten ist es noch gestattet, mit Tonbändern zu arbeiten. Man will uns kontrollieren, damit wir nichts tun, was sie nicht wollen.
Am schlimmsten ist die Zeit, in der man gerade erst zu lernen beginnt. Hier haben dumme Menschen Macht über schlauere Menschen. Sie denken, sie könnten alles tun, was sie wollen und behandeln jeden so. Wer ihnen frech kommt, wird verprügelt und wen sie nicht mögen, dem wird das Leben zur Hölle gemacht. Es hat lange gedauert, bis ich den Mut hatte zurück zu schlagen, aber danach wurde ich in Ruhe gelassen. Die meisten von ihnen sind in den letzten Kämpfen des Krieges gefallen. Ich musste nicht mit, weil ich immer noch in der Grundausbildung war. Vermutlich war das mein Glück. Die wenigen, die zurückgekommen sind, wurden aus dem Dienst entlassen, weil sie nicht einmal mehr eine Pistole halten konnten, ohne in unkontrollierte Angstzuständen zu verfallen. Ich hoffe, dass man sie wirklich entlassen hat, aber ich fürchte in Wahrheit hat man sie einfach erschossen und irgendwo entsorgt. Man wollte nicht riskieren, dass jemand sehen könnte, wie groß das Elend eigentlich ist. Seit dem muss die Armee wieder aufgestockt werden. Wer auf den Straßen gesehen wird und so wirkt, als könnte er sich als Soldat eigene, der wird mitgenommen und bisher hat niemand den Dienst lebend verlassen. Man kommt hierher, man bleibt oder man stirbt. Ich habe genug Männer und Jungen gesehen, die sich das Leben nahmen, weil sie mit dem Druck nicht mehr leben konnten oder mit dem, was sie getan oder gesehen haben. Wenn man Soldat ist, muss man akzeptieren, dass man mordet und Tote sehen muss, aber manche Menschen können sich niemals darauf einstellen. Das sind die mit dem größten Herz und dem wärmsten Lächeln. Sie sind am schnellsten gebrochen. Ihnen fehlt es nicht an Mut. Was sie brauchen ist Skrupellosigkeit und das haben sie nicht. Ich habe es und darum fürchte ich mich. Ich habe Angst vor mir selbst. Zu was wäre ich in der Lage? Was könnte ich tun, wenn man mir nur befiehlt, dass ich es tun soll? Die dümmsten hier prahlten damit, dass es schon unschuldige Kinder auf Befehle hin erstochen oder ertränkt haben. Manchmal kann ich mich nicht kontrollieren und schlage sie dann dafür. Meistens fehlen ihnen danach mehrere Zähne und die Fähigkeit normal zu sprechen. Mit fehlenden Schneidezähnen kann man einfach nicht mehr so gut prahlen. Man wird eher ausgelacht. Dann schweigen sie. Trotzdem gibt es immer wieder welche, die sich mit Dingen rühmen, die der normale Menschenverstand verurteilt. Im Moment rede ich mir noch ein, dass ich niemals so wäre. Ich würde keine Kinder töten, egal was man mir befiehlt, aber wenn ich in mich hinein höre, dann flüstert eine Stimme, dass ich es sehr wohl tun würde, wenn ich den Befehl erhalte. Bei Befehlsverweigerung droht der Tod von einem selbst und von der Familie. Ich fürchte mich nicht vor meinem Tod, aber meine Schwester soll leben. Sie macht eine Ausbildung zur Krankenschwester und ich wünsche ihr ein Leben. Man sollte ein Leben niemals gegen ein anderes aufwiegen, aber wenn ich entscheiden müsste, dann würde Lui leben und nicht jemand anderes, so sehr es mir. Auch Leid tun würde. Ich könnte mich selbst nie wieder ertragen, aber meine Schwester würde leben und das ist für mich das Einzige, was zählt. Manchmal frage ich mich, was passiert, wenn ich betrunken zum Dienst erscheinen würde oder vortäuschte, dass ich krank wäre. Könnte ich irgendwann lebend nach Hause gehen? Ich bezweifle es. Selbst die mit wirklichen Krankheiten dürfen nie wieder gehen. Was würde dann mit einem Lügner geschehen? Ich möchte ungern als lebende Zielscheibe für die neuen Soldaten dienen, so wie die, die zu spät zum Einsatz kommen. Es ist erstaunlich wie viel Glück auch Neulinge haben. Es gibt immer jemanden, der trifft. Dann gibt es jemanden, der zum ersten Mal getötet hat. So züchten sich die Generäle ihre menschlichen Maschinen. Ohne Gefühle und extrem gefährlich. Wenn man mit zwölf zum ersten Mal jemanden erschießt, dann zerbricht man daran. Man lebt weiter, aber man läuft wie ein Roboter. Stumm führt man Befehle aus und kämpft einen inneren Kamp um Leben und Tod. Irgendwann bringt sich jeder von ihnen um, aber bei dem einen dauert es länger und bei dem anderen nicht und trotzdem sind sie bis zu diesem Zeitpunkt X die besten Offiziere, die sich die Generäle wünschen können, denn sie fragen nicht. Niemals. Würde ich fragen? Sollte ich fragen? Ja, ich würde fragen. Nur die Antwort wäre mir nicht wichtig, denn tun würde ich es trotzdem. Egal, was man mir dann sagt, ich würde den Befehl ausführen, ob es ihr gefällt oder nicht. Nichts kann meine Meinung ändern. Deshalb hasse ich mich selbst.

Elijah

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