7. November 3086

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Ich weiß nicht recht, was mit mir passiert. Eigentlich hatte ich mir immer gewünscht, dass mich jemand adoptiert, aber jetzt bin ich mir nicht ganz sicher,w als ich davon halten soll. Mich stört weniger, dass er der verhasste König ist, der mich aufnimmt, während der Krieg wütet und er sich eigentlich nur hinter den dicken Schlossmauern versteckt. Ich gebe jedem Menschen eine Chance. Um ehrlich zu sein, bin ich mir noch nicht darüber im Klaren, aus welchem Grund ich ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken habe, seine Tochter zu sein. Vielleicht ist es sein Alter. Er ist nur fünf Jahre älter als ich. Achtzehn ist er im August geworden, aber eigentlich hat mich das noch nie gestört. Vielleicht ist es auch, weil ich seine Blicke nicht sehen kann, mit denen er mich mustert. Ich kann nicht erahnen, wie nett er ist oder wie hinterhältig. Ich höre nur und was er nicht sagt, das werde ich niemals wissen. Trotzdem ist es etwas anderes. Das weiß ich einfach. Ich habe keine Angst vor ihm oder etwas derartiges. Es ist das Gegenteil. Ich mache mir Sorgen um ihn. Etwas stimmt an dem Bild, das man erzählt bekommt nicht. Bei weitem nicht.
Skrupellos und grausam ist er. Zum Denken ist er nicht in der Lage. Nichts davon stimmt. Seine Stimme ist warm und noch nie habe ich ihn in den letzten zwei Monaten schreien gehört. Ich spüre nur manchmal, dass ihn etwas beschäftigt. Dann liegt er nachts die ganze Zeit wach und ich höre nur, wie er hektisch und unregelmäßig atmet, ein typisches Zeichen für Stress und Angst. Irgendetwas sorgt dafür, dass er an manchen Tagen nicht mehr weiß, wer er eigentlich ist oder was er tut. Es wird besser. Meine Anwesenheit scheint ihm gut zu tun, aber es gibt diese Momente dennoch. Man bringt mich immer von ihm weg, wenn es soweit ist, aber ich weiß, dass dann vieles zu Bruch geht und er jeden schlägt oder mit Gegenständen bewirft, der ihm zu nahe kommt. Wie ein wahnsinniges Tier schreit oder lacht er. Es ist, als müsste er alle Wut, die er jemals verspürt hat, an solchen Tagen an irgendetwas auslassen.
Er wagt auch nicht, mit mir normal zu sprechen, wenn jemand anderes im Raum ist, als müsse er einen Schein wahren. Es ist, als würde ihn jemand kontrollieren und man kann niemals wissen, wo er seine Spione hat. Wenn wir allein sind, sagt er jedes Mal, dass ich niemals ernst nehmen soll, was er im Beisein von anderen zu mir sagt. Ich glaube ihm. Wenn mich jemand fragt, was ich von ihm halte, dann würde ich niemals antworten, dass ich in ihm einen Freund gefunden habe. Ich weiß nicht, warum er sich verstellt, aber ich werde sein Schauspiel nicht zunichte machen. Ihm zuliebe. Für mich ist er ein Freund, aber andere müssen das ja nicht erfahren. Zum ersten Mal fühle ich mich verstanden. Niemals wollte jemand ein blindes Mädchen adoptieren. Wenn man nichts sehen kann, dann ist man in den Augen von anderen Menschen auch dumm. Das stimmt nicht. Ich kann ja sogar schreiben. Natürlich ist meine Schrift niemals so sauber, wie die eines anderen, aber man kann sie lesen. Sogar lesen kann ich. Mit der Zeit habe ich mir angewöhnt, fester auf das Papier zu drücken, so dass Rillen im Papier entstehen, die zwar nicht sichtbar, aber für geübte Finger gut zu ertasten sind. Meine eigenen Briefe kann ich so lesen und die von jemandem, der ebenfalls so schreibt. Wenn man mir einen Zettel schreiben will, dann drückt man auf und ich kann es lesen. Ich weiß nicht, warum man mich niemals akzeptiert hat. Jetzt aber habe ich jemanden gefunden, der mich einfach so als Menschen sieht, wie ich bin und nicht als hilfloses, nichtsnutziges Kind. Dafür bin ich ihm unglaublich dankbar und er scheint auch mir zu vertrauen. Vielleicht bin ich die erste Person, die ihm einfach nur zuhört.
Manchmal erzählt er mir von seinem Tag. Er bespricht mit mir Taktiken, wie wir den Krieg weiterführen sollten, damit wir gewinnen. Ich hasse den Krieg, aber wenn wir verlieren, dann wird es uns nicht mehr geben und ich kenne zu viele Menschen in Kalina, die meine Freunde geworden sind über die Zeit. Sie würde sterben oder als Gefangene leben. Besser ist es, wenn die Kämpfe schnell vorbei sind und niemand mehr sterben muss.
Wie gerne würde ich den Menschen, die Krestor verabscheuen sagen, wie freundlich er eigentlich sein kann, wie sehr er eigentlich manipuliert wird. Sein Schreiber ist der Grund, warum es Hinrichtungen gibt und derart hohe Steuern, dass sie niemand bezahlen kann. Er hat seine Hände überall mit drin. In jeder Entscheidung, die gefällt wird. Er bastelt so lange an Gesetzten, bis sie ihm gefallen und er scheint das Leid von anderen zu lieben. Krestor benutzt er nur als Schutz vor der Wut und dem Hass, als Marionette. Er ist der Sündenbock und Mauritius kann schalten und walten, ohne dass ihn jemand stoppt. Wenn er einen Menschen töten will, dann lässt er ihn im Namen des Königs hinrichten. Ich hätte diesen Menschen schon längst erwürgt, aber Krestor scheint sich zu fürchten. Er hat Angst vor dem, was dann passiert. Irgendwie scheint er zu denken, dass er den Schreiber braucht, um nicht zu sterben und Kalina in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Wenn ihm nur bewusst wäre, wie falsch er liegt.
Egal was passiert, ich werde ihn immer unterstützen und wenigstens das scheint er zu spüren, denn in meiner Nähe entspannt er sich immer ein wenig. Irgendwann wird schon wieder alles gut werden. Davon bin ich überzeugt und wenn ich diesen Schreiber eigenhändig erdrosseln muss, damit alle wieder normal atmen können, wenn er in ihre Nähe kommt. Ich würde ihn von einer Klippe stoßen, ihn vergiften, ihm die Kehle durchschneiden oder ihn mit einem Kissen ersticken. Egal was nötig wäre, ich würde es tun, so lange ich dieses zischelnde Lachen nie wieder hören und diese hinterlistige Art nicht mehr ertragen muss. Sobald ich feststelle, dass man nur aus seinem Tod profitiert, stirbt er.
Das ist ein Versprechen.

Rose

Hope.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt