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DARIO

Mir die Nasenwurzel massierend, beuge ich mit den Ellenbogen auf meinen Knien und halte die Augen geschlossen. »Hast du eine Idee?«, kommt es aus dem Telefon heraus, das neben mir auf dem Sofa liegt. Am anderen Ende des Hörers hängt Santino. Obwohl wir nur einige Straßen voneinander entfernt leben, telefonieren wir oft. Wir haben viele Dinge gemeinsam aber das entschiedenste wohl ist unsere Rolle in unseren Familien. Er ist ein Benelli, ich ein Gambino. Zusammen sind wir die Erben zwei der fünf einflussreichsten Mafiafamilien New York City. Nun ja, im Grunde nur noch vier. Seid die Benellis mithilfe des schottischen Duncan Clans die Vallians praktisch ausgelöscht haben, sind wir nur noch vier. Bis sich ein ebenwürdiger Clan auf ihren Platz am Tisch der Kommission setzen kann, wird es noch ein langer Weg sein.

Das Loch, dass die Vallians bei ihrem Untergang in der Stadt hinterlassen haben, muss gestopft werden. Ihr Gebiet muss aufgeteilt werden, die Geschäfte eingesackt, bevor jemand anderes es wagt, darüber herzufallen. Vor allem die Iren müssen wir im Auge behalten. »Wenn ich eine Idee hätte, würde ich nicht gerade auf meiner Couch sitzen und verzweifeln«, brumme ich. Santino stößt einen ratlosen Ton aus. »Der Rat trifft sich in den nächsten Tagen. Wir sollten unseren Vätern einen Plan vorschlagen, bevor wieder ein Streit unter den Familien ausbricht.« Santino hat recht, keine Frage. Jedoch löst sich das Problem nicht so einfach, wie er sich erhofft. »Und was schlägst du vor?«
»Das, von dem du kurz nach Vallians Tod gesagt hast«, erinnert er mich.
»Okay. Sprich mit deinem Vater, ich werde mit meinem reden. Halt mich, bis das Gremium zusammenkommt, auf dem Laufenden. Wir sollten uns gegenseitig unterstützen.«
»Natürlich. Das will niemand von uns«, versichert er mir. Ihm glaube ich das, niemandem sonst. Santino und ich besuchten die gleichen Privatschulen, verkehren in denselben Kreisen und vertreten recht häufig dieselbe Meinung. Wir sind zwar Gangster, aber auf unser Wort können wir einander immer verlassen.

Durch das Telefon höre ich Stimmen im Hintergrund, kurz darauf wird es unruhig in der Leitung. »Muss jetzt auflegen, meine Frau ist hier«, raunt er in den Hörer. Bevor ich etwas erwidern kann, ist er aus der Leitung gegangen. Frustriert lehne ich mich auf der Couch zurück und starre die kahle Decke an. Die Situation ist zum Verzweifeln. Von allen Seiten wird Druck auf uns ausgeübt. Mein Vater will meine Meinung, will wissen, was ich tun würde. Bei Santino genau das gleiche, und das nur, weil wir die Erben sind und den Schuppen eines Tages übernehmen müssen. Mein ganzes Leben wurde ich bereits darauf vorbereitet und bin nun in dem alter, in dem es langsam ernst wird. Ich bin die Nummer zwei der Gambino Familie, direkt hinter meinem Vater Carlo. Er wird nicht ewig Leben und dann liegt es an mir, was ich aus dieser Familie machen werde. Ich kann nur hoffen, dass mein Vater noch lang lebt. Ja, ich liebe diese Familie und stehe hinter ihnen, komme was wolle. Aber mit der Rolle des Bosses, geht viel mehr einher als so mancher denken würde. Es setzt mir eine noch größere Zielscheibe auf die Stirn als ohnehin schon. Und dieses letzte bisschen Freiheit das ich noch genießen darf, will ich noch nicht aufgeben.

Im Erdgeschoss des unscheinbaren Hauses, treffe ich meinen Vater in seinem Büro an. Er studiert mit grübelndem Gesicht geöffnete Dokumente auf dem Desktop seines Computers. Mich gegen seinen Stuhl lehnend, überfliege ich sie. »Worum geht es?«
»Den Spitzel der die Benellis verraten hat. Julians kleine Hure.«
Ich weiß sofort, von wem er spricht. Die kleine, die für die Vallians spioniert hat, hat nach Julians Tod dafür gesorgt, dass Santino und seine Freundin für mehr als zwei Jahre aus der Stadt verschwinden mussten. Seit kurzem Leben sie wieder hier, da alle Anklagen gegen sie fallen gelassen wurden. Das hat ein Staatsanwalt erwirkt, der jahrelang für unsere beiden Familien arbeitet.
»Hat Cedar dir das geschickt?«, erkundige ich mich und schnappe mir einen Zigarillo aus der geöffneten Schachtel neben der Tastatur. Ich drehe ihn zwischen meinen Fingern, rieche daran und sinke vor dem Tisch auf einen der zwei grünen Ledersessel. »Hat er. Er ist erleichtert, dass sein Sohn wieder in der Stadt ist, ohne verfolgt zu werden«, bestätigt Carlo mir und klickt sich durch die nächsten. Ich kann den Bildschirm vage in der Spiegelung des Fensters hinter ihm erkennen. »Ich habe vorhin mit Santino gesprochen«, eröffne ich ihm nachdenklich. Carlo hebt seinen Blick hinter seiner Lesebrille hervor und studiert mein Gesicht. Etwas darin zu lesen, schafft er nie. Niemand tut das. Ich bin ein Künstler der Selbstbeherrschung und darin, andere aus meinen Gedanken auszusperren. Kaum jemand weiß, wie es in mir vorgeht. »Über was habt ihr geredet?«
»Über eine Lösung für das Vallian Problem.«
Mein Vater nickt anerkennend und lehnt sich gemächlich im Stuhl zurück. Neben ihm steht eine Flasche Sambuca, aus der er sich einen Schluck in sein Glas schüttet. »Seid ihr beiden zu einer Einigung gekommen?«
»Wir sind der Meinung, dass wir einen Plan vorlegen müssen, bevor die Kommission sich trifft. Das Gebiet wird auf die restlichen vier Familien gleichmäßig aufgeteilt. Wir bekommen den Teil, der an uns grenzt, Santinos Familie den Teil an ihrem, die anderen auch. So sollte jeder zufrieden sein.«

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt