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DARIO

Anleitungen sind die reinste verarsche. Wieso stellt man ein Bett mit fünfzig Schritten her, wenn man nur zehn davon beschreibt. Soll ich mir selbst ausdenken, ob ich es hochkant oder waagerecht zusammenbauen soll? Soll mein Baby darin stehen, hängen oder liegen?
»Blödes Zeug«, brumme ich genervt und pfeffere das Stück Papier ungehalten in den lodernden Kamin. Es fängt sofort Feuer und löst sich in Luft auf. Besser so.
»Dario«, mahnt Stella mich amüsiert. Sie sitzt auf dem Sessel nicht weit hinter mir, beobachtet das Ganze und kichert immer wieder. Noch vor einer halben Stunde, saß ihre beste Freundin neben ihr. Die geackert wie ein Huhn. Auch wenn sie ganz nett ist, ist es anstrengend. Ich bin froh, dass Kim wieder weg ist. Seit wir ihrem Boss einen Besuch abgestattet und ihn mit rechtlichen und illegalen Konsequenzen gedroht haben, scheint sie besser drauf zu sein. Sie muss keine Artikel mehr über uns schreiben und würde befördert. Ich würde sagen, unser Besuch hat sich also ausgezahlt.
»Da fehlt eine Schraube. Die liegt neben dir auf dem Teppich«, merkt die Brünette an. Tatsächlich glänzt eine mir im Licht des Feuers entgegen. Ich drücke sie in das nächste Loch und ziehe sie mit ein paar Handgriffen fest. »Ich habe das im Griff.«
»Schaut ganz so aus«, nimmt sie mich auf den Arm aber schweigt, nachdem ich ihr einen warnenden Blick zugeworfen habe. Meine Zündschnur ist nicht sonderlich lang.
»Ich will es nur richtig machen«, brumme ich genervt. Fuck, Ich hab doch sowas noch nie gemacht.

»Das weiß ich doch, Baby.«
Hellhörig drehe ich mein Gesicht erneut zu ihr. Überrascht über den Spitznamen bin ich schon, ja. So hat sie mich noch nie genannt. »Nennst du mich ab jetzt etwa so?«
»Und wenn es so wäre? Du nennst mich immerhin auch micina.«
»Das bedeutet aber Kätzchen«, stelle ich klar. Stella seufzt und platziert ihre Hand auf ihrem runden Bauch. Von Tag zu Tag wird er präsenter und größer. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, ist er gefühlt gewachsen. Jedes Mal, wenn ich ihn berühre, spüre ich die Bewegungen meines Sohnes. Fuck. Fuck. Fuck. Ich kann kaum beschreiben, was dieses Gefühl mit mir macht. Ich hasse es, darüber zu quatschten. Über Gefühle versteht sich. Das passt einfach nicht zu mir.
»Nenn mich wie du willst«, erlaube ich. Mir ist es egal, solange sie Freude damit hat.
»Okay, Baby.«
Ich schüttle lediglich meinen Kopf über ihren neuen Spitznamen für mich und kehre ihr erneut den Rücken, um dieses verfickte Bett endlich fertigzustellen. Es ist nicht mehr lang bis Weihnachten und die restliche Zeit will ich nutzen, um ein paar der Möbel aufzubauen, die wir neulich bei Macys gekauft haben. Sie ziehen alle nach oben in das Gästezimmer, dass Dante und ich leergeräumt haben. Es ist gleich gegenüber von unserem Schlafzimmer und somit nicht weit.
Ich habe bereits eine Kommode und ein Beistellbett aufgebaut. Am Stubenwagen fummelt Stella rum, auch wenn ich ihr tausendmal gesagt habe, dass sie es lassen soll. Nun verzweifle ich seit mehr als drei Stunden an diesem Bettchen. So schwer kann das doch überhaupt nicht sein!

Ich will, dass alles perfekt ist. Meinem Sohn soll es an nichts fehlen. Das gleiche gilt für seine Mom. Ich muss zugeben das ich zu Anfang nicht begeistert davon war, Vater zu werden. Vor allem, weil ich ahnte, dass es Stella in Gefahr bringen würde. Sie war ein One-Night-Stand und nun ist sie die Mutter meines Kindes und meine zukünftige Frau. Komisch, wie das Leben manchmal spielt. Die letzten Monate über habe ich mich selbst dafür bestraft, dass sie wegen mir in Gefahr war. Nur weil mein Onkel meinte, er müsse Gott spielen und über Leben und Tod entscheiden. Ich weiß nicht, ob ich mir je verzeihen kann, dass er es fast geschafft hätte. Nicht nur einmal. Manchmal lag ich bis früh morgens wach und habe darüber nachgedacht. Stella ist mir in den letzten Monaten so verfickt doll ans Herz gewachsen. Sie hat etwas in mir geweckt, was lange Zeit geschlummert haben muss. Ja fuck, manches von dem ich nicht wusste, dass es in mir ist. Das ich einmal eine ganze Stadt für einen Menschen niederbrennen würde. Das ich mal jemanden so sehr beschützen wollen würde. Das ich einmal Suizid in Erwägung zog, weil alles besser ist, als ohne sie Leben zu müssen. Ich hätte nicht mehr atmen, nicht mehr Leben können, wäre sie gestorben.

Ich schlucke diese verfickt schwarzen Gedanken herunter, um das Bett meines Sohnes weiter aufzubauen. Zum Glück dauert es nicht lang und nach all den Stunden der Arbeit, steht es endlich. Erleichtert betrachte ich es. So unwirklich, dass bald schon etwas darin liegen wird. Etwas ganz Kleines, dass ich beschützen muss. Ich habe mir noch nie krampfhaft so stark Gedanken und Sorgen um etwas gemacht wie um diesen Menschen, den ich nicht kenne.

Ein Keuchen reißt mich aus meiner Blase. Den Kopf über die Schulter neigend, sehe ich wie Stella auf dem Sessel zuckt. Meine Alarmglocken schrillen sofort. »Was hast du?«
Ich rutsche über den Boden, Knie mich vor sie und platziere meine Hände neben ihren auf ihrem Bauch. »Sag schon!«
Stellas Iriden verhaken sich mit den meinen. Sie sind so grün wie die Nadeln des Tannenbaumes. Und so wunderschön tief wie der Amazonas.
Ihre Mundwinkel Zucken in die Höhe. »Tut mir leid, ich habe mich nur erschreckt. Er hat mich in die Rippen getreten«, erklärt sie mir. Ihre Bauchdecke zuckt wieder und diesmal spüre ich es ganz deutlich unter meiner Handfläche. Ausatmend lasse ich meine Stirn gegen sie sinken. Mein rasendes Herz beruhigt sich wieder etwas und das Adrenalin, dass ihr keuchen, alarmierend in mir auslöste, flacht ab.
Die Brünette legt ihre Hand schweigsam an meinen Hinterkopf. Als ihre Fingerkuppen beginnen kleine Linien zu fahren, schließe ich erleichtert die Augen. Mir macht es nichts aus, dass kleine Füße mein Gesicht treten. Fuck ich genieße jede Sekunde davon. Ich wollte noch nie in meinem Leben etwas so sehr wie das. Leider ist mir das erst viel später klargeworden.

»Du hast deine Mom erschreckt«, hauche ich. Mich auch, füge ich gedanklich an. Jeder der mich von meinen Männern so sehen würde, würde sich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, doch das könnte mir nicht egaler sein. Das hier ist meine Welt. Ich habe vergessen, wie es ist, ohne sie zu sein. Die letzten Monate haben mich verändert. Natürlich bin ich der, der ich sein muss und knalle Menschen trotzdem noch ab, wenn ich das muss. Ich poliere ihnen noch die Fressen, erpresse Schutzgeld von ihnen und regle Probleme. Doch privat haben die beiden mich mehr verändert als ich mir eingestehen kann. Mag sein, dass ich das irgendwann mal schaffe. Nur jetzt nicht.
»Ich glaube deinem Dad hast du mehr Angst eingejagt als mir«, flüstert Stella belustigt. »Bei mir war es mehr Schmerz als Sorge.«
»Mhm«, brumme ich und lehne meinen Kopf zur Seite. Nun treffen mich seine Füße an der Wange. Ich kann kaum erwarten, bis ich ebendiese Füße halten kann. »Dafür würde jeder andere jetzt Ärger bekommen, kleiner.«
Stellas Bauch erbebt als sie lacht. Das gefällt dem Baby nicht, denn es tritt nun umso kräftiger gegen mich. Einer gegen die Schläfe und ich hebe mit zusammengekniffenem Auge meinen Kopf an. »Fuck, entweder wird er Fußballer oder jede Schlägerei mit diesen Tritten gewinnen«, spekuliere ich. Blinzelnd verdränge ich die schwarzen Punkte vor meinen Augen. Für meine Worte bekomme ich prompt einen gegen die Schulter geboxt. »Hey! Dein Sohn wird kein Schläger!«
»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, micina. Freunde dich früher oder später mit dem Gedanken an, dass er so wird wie ich.«
Sie bläst die Wangen auf, weiß aber auch nichts darauf zu erwidern als das übliche »Spinner.«
»Wirst schon sehen, Kätzchen. Solange er seine Mom damit beschützt, bekommt er dafür auch keinen Ärger.« Ich küsse meinen Sohn lange, zumindest dort wo ich ihn vermute. Tatsächlich tritt er erneut zu. Diesmal ganz sanft, genau dort wo meine Lippen Stellas Pullover treffen. Schließlich erhebe ich mich, stütze mich mit den Händen auf die Armlehnen des Sessels. Über ihr beugend, küsse ich auch sie. Intensiv, lange, tief. Ich sehe die Liebe in ihren Pupillen, als wir uns lösen. Jede Faser ihres Körpers liebt mich. Und mein Körper, bringt ihr die gleichen Gefühle entgegen. Ich würde mein Leben für sie geben. Komisch, wenn man bedenkt das sie vor einem halben Jahr noch eine Fremde für mich war. Jetzt ist sie mein ein und alles. Ich kann nun nachvollziehen, wie Santino sich fühlen muss, wenn er bei Lillian und ihrer Tochter ist. Als würde die ganze Welt stehenbleiben.

»Kommst du mit hoch in sein Zimmer?«
Stella nickt und streckt ihre Hände nach mir aus. Ich ziehe sie vom Sessel hoch, schnappe mir das Bett und trage es in den Aufzug, der uns eine Etage weiter oben wieder ausspuckt. Im Kinderzimmer angekommen, stelle ich es ab.
»Ich glaube neben den Fenstern an der Wand?«, schlägt sie vor. Ich schiebe es hin, wie sie es möchte und entlocke ihrer Kehle damit ein glückliches seufzen. In ihren Händen ein Teddybär, den sie auf die frisch bezogene Matratze setzt und sich anschließend an mich lehnt. Zusammen starren wir eine ungeraume Zeit auf das Bettchen. Dabei kann ich kaum in Worte fassen, was ich in mir fühle. Stolz ist sicher eines davon.

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt