STELLA
Bis zum Abend auf dem Sofa zu liegen, ist mir anfangs recht schwergefallen, auch bei der großen Auswahl an diversen Streaming Seiten und ihrem Programm. Irgendwann habe ich mich dann für einen Film entscheiden können und bin mittendrin eingeschlafen. Dario war es, der mich Stunden später geweckt hat. Die Sonne geht bereits unter und mein Magen knurrt höllisch laut. Ein amüsiertes schmunzeln huscht über sein Gesicht. Er lehnt auf den Unterarmen abgestützt auf der Lehne und schaut über das Sofa hinweg auf mich hinab. »Steh auf Schlafmütze, wir haben noch was vor«, verkündet er. Mit gespitzten Ohren weite ich meine Augen. Er verzieht die Lippen.
»Was? Dachtest du, ich bluffe?«
»Weiß nicht ... vielleicht«, gebe ich zu. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass es angesichts der Dinge, die passiert sind, schwer zu glauben ist, ich würde diese Wohnung gleich verlassen. Mit ihm. Wir beide gemeinsam. Das klingt wie ein Fiebertraum.
»Zieh dich um, micina, bevor dein Magen uns noch auffrisst.« Er scheucht mich vom Sofa hoch, ungeachtet dessen, dass mein Arm noch immer gebrochen ist und ich dadurch langsamer bin. »Schon gut«, meckere ich genervt und verschwinde aus dem Wohnzimmer.
Aus dem Koffer, den man mir gepackt hat, ziehe ich mir tauglichere Kleidung für die kalte Jahreszeit. Es regnet heute zwar nicht, aber der Wind, der durch die Baumkronen fegt, tut sein Übriges zu den niedrigen Temperaturen. Eine Jeans, den dicken schwarzen Pullover und einen Mantel später schlüpfe ich am Fuße der Treppe in meine Winterschuhe. Dario flippt lässig an der Tür lehnend sein Feuerzeug hin und her wie ein Profi. Er raucht?
»Wohin gehen wir eigentlich?«
»Wirst du schon sehen.«
»Ist es weit?«
Kopfschüttelnd hält er mir die Tür auf. »Wir gehen zu Fuß«, erklärt er vor mir die Treppen hinabsteigend. »Ach ja?«
»Ja. Sei nicht so neugierig, du siehst es ja gleich.«
Aber ich kann nicht anders.Absolut niemand kommt uns den ganzen Weg hinunter zur Haustür entgegen. Es ist noch stiller im Haus als gestern. Kein Teller klappern, keine Musik, nichts. Die Flure sind elegant eingerichtet und an den mit Stuck verzierten Wänden hängen Bilder in edlen Rahmen. Gepolsterte Ottomanen bezogen mit den teuersten Stoffen, schwere Vorhänge und exquisite Designer Dekoobjekte. Ich kann mich kaum satt sehen an der Liebe fürs Detail auf den alten Kommoden und Beistelltischen. Bilder die ins Holz geschnitzt wurden. Blumen, Ranken und Blätter. Wunderschön. Und das sind nur die Flure.
»Ist niemand zuhause?«, frage ich den Italiener einen Stock weiter unten. Er sieht zu mir hoch, biegt gerade auf die letzte Treppe ab. »Meine Mutter ist zum Yoga und mein Vater besucht jede Woche einen Herrenclub in Harlem. Vermutlich ist mein Onkel mit ihm gegangen.«
»Und hast du ... Geschwister?«
Ich umfasse den Handlauf der Treppe und schaue zu dem schweren Kristallkronleuchter, der goldenes Licht auf uns abwirft. So wie alles in diesem Gebäude ist er wunderschön. Der muss verdammt teuer gewesen sein. Aber was bedeutet schon teuer für jemanden, dem es an nichts fehlt?
»Nein, bin Einzelkind. Trödel nicht«, mahnt er.
»Bist du immer so höflich?« Ich schlüpfe durch den Türspalt, den er mir geöffnet hat, hinaus in die beißende Kälte. Sofort schlinge ich meinen Mantel vor der Brust enger zu und steige die letzten Stufen auf den Gehweg hinab. Dario holt schnell auf und deutet mir nach links zu laufen. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
Ich seufze frustriert. Tut er so? Oder hat er wirklich keinen blassen Schimmer? Ich werde es wohl nicht herausfinden. Er zündet sich eine Zigarette an, die er in aller Seelenruhe auf dem Weg raucht. Wir umrunden den Block einmal und biegen in die nächste Straße ein. Touristen tummeln sich an bestimmten Fleckchen, die wir geschickt umgehen und vor einer Pizzeria landen. Rote Wimpel wehen am Vordach im Wind, auf der Fassade steht der Name mit beleuchteter Neonschrift geschrieben.»Ein Restaurant?«, hake ich mit kratziger Stimme nach. Ich würde es ja auf den kalten Wind schieben, der meinen Hals ausgetrocknet hat, aber dann würde ich Lügen...
Mir wird ganz unwohl im Magen, wenn ich an das letzte Mal denke, in dem ich in einem Restaurant saß. Dario scheint das zu bemerken. Er schenkt mir diesen zuversichtlichen Blick, den ich bis jetzt nicht oft in seinen Augen gesehen habe. »Das Restaurant gehört den Benellis. Die kennst du doch, oder? Es ist das Sicherste in der gesamten Stadt. Hier kommen weder Wanzen noch Bombenträger rein, keine Sorge. Komm.« Er platziert seine Hand auf meinem unteren Rücken. Diese kleine Geste löst ein Kribbeln in mir aus. Selbst durch den dicken Stoff meine Kleidung spüre ich die Wärme seiner Handfläche. Er übt Druck darauf aus, schiebt mich sachte vor sich ins Restaurant. Ein Glöckchen klingelt beim Betätigen der Tür, warme Luft strömt uns ebenso wie die italienische Musik entgegen, die leise im Hintergrund spielt. Ein gewisser Charme füllt die vier Wände des Restaurants. Es schaut genau wie in den Filme aus. Viele Tische, alle besetzt. Tischdecken, Kerzen, die Wände voller Bilderrahmen. Es fühlt sich an, als würden in diesem Moment alle Augen auf mir liegen. Die Gäste starren uns an. Obwohl es nur einen Augenblick lang ist, kommt es mir wie ein Jahr vor. Dario drückt mich weiter, tiefer in das Restaurant, bis sich uns eine Frau in den Weg stellt und uns anstrahlt. »Willkommen, hier vorne ist ihr Tisch.« Sie führt uns in eine abgeschottete Ecke mit Sitzbank. Ich bin dankbar, dass wir nicht mitten auf dem Präsentierteller sitzen. Dario wechselt einige Worte mit ihr, bevor sie mit unseren Jacken in den Händen verschwindet. Zwei Karten hat sie dagelassen. Ich flippe mich durch sie hindurch. Alles steht auf Italienisch und in klein nochmal auf Englisch darunter. Nachdem wir Getränke bestellt haben, nehme ich mir Zeit, um mich umzusehen und die letzten Impressionen in mir aufzusaugen. Dunkle Wände, polierter schwarzer Boden und goldene Lichter, die das Restaurant diffus erhellen. »Es ist wunderschön hier«, gebe ich zu. Keine Touristen befinden sich im Restaurant, vermutlich werden die auch nicht reingelassen. Die leisen Klänge von Bocelli und anderen Klassikern.
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King of New York | 18+
RomanceNach einer heißen Nacht mit einem Fremden auf einer Party in New York City, muss Stella feststellen, dass der Fremde ihr ein Geschenk hinterlassen hat, welches in neun Monaten das Licht der Welt erblicken wird. Als sie kurz darauf fast attackiert wi...