STELLA
Wie ich letzte Nacht in meinem Bett gelandet bin, ist mir ein Rätsel. Heute Morgen in meiner Wohnung aufzuwachen, hat mir kurz das Herz stehenbleiben lassen. Das zweite Mal dann, als ich den Zettel auf meinem Nachttisch entdeckte, mit einer fremden Handschrift darauf.
Pass auf dich auf, Stella
So perplex von diesen fünf Worten, brauchte ich eine gute Stunde, um zu verstehen, dass diese Worte von dem mysteriösen Fremden stammen mussten. Nur wie zum Teufel wusste der wo ich wohne, und wie ist er in meine Wohnung gekommen, ohne das Türschloss kaputt zu machen. Ich habe es gecheckt und keine Spuren entdeckt. Es ist, als hätte er sie aufgeschlossen, dabei liegen meine Schlüssel noch bei Kim in der Wohnung, so wie meine Tasche. Ich hatte nicht geplant, nachhause zu gehen letzte Nacht. Etwas gruselig finde ich das schon. Er hätte ja auch sonst was mit mir tun können. Mich ausrauben, vergewaltigen, ermorden. Nicht, dass ich ihm sowas zutraue, nur weil er stark tätowiert ist und diese angsteinflößende Gangsteraura besitzt. Es ist mehr das merkwürdige Gefühl, niemandem vertrauen zu können, dass mich seit dem letzten Jahr beschleicht. Zum ersten Mal verspürte ich es, seit die Blutfehde dieser Familien die Stadt schlafen schickte und die Menschen mit Angst und schrecken erfüllte, während sie die Straßen mit Blut tränkten. Seitdem ist die Stimmung in der Stadt angespannt. Wenn ich in die Gesichter der Passanten schaue, an denen ich auf meinem Weg zum Treffen mit Kim vorbeilaufe, sehe ich diesen Blick in ihren Augen, den ich kenne. Es ist dasselbe Gefühl, wie in mir. Nie sicher zu sein. Zu fürchten, dass man das Opfer einer hinterhältigen Schießerei werden würde, obwohl man nur schnell zum Supermarkt gehen wollte.
Die letzten Jahre haben das Denken der Menschen hier verändert. Ich sehe wieder mehr Polizeipräsenz, sogar das FBI auf den Straßen. So muss es hier auch in den Achtzigern gewesen sein, als das an der Tagesordnung stand. Erschreckend, wie viel Macht einzelne Personen über eine Millionenmetropole wie New York City haben können.Dem Regen entweichend, betrete ich das Restaurant auf der Upper West Side, nicht weit vom Central Park entfernt. Ein Kellner führt mich zum Tisch in der ersten Etage, direkt an den Fenstern, an dem sich Kim bereits befindet und auf mich wartet. »Hey, da bist du ja«, begrüßt sie mich, umarmt mich herzlich. Wie jeden Samstag, trägt sie eine Sonnenbrille, weil sie einen Kater hat. Üblich. Ich falle auf die Sitzbank, lege den Schirm, die Tasche und Jacke beiseite. »Sorry, bei dem Regen war ich etwas langsamer. Die U-Bahn stand unter Wasser und ich musste eine Station früher aussteigen«, entschuldige ich mich und lasse mir vom Kellner die Karte reichen. Ich bestelle mir gleich etwas zu trinken, bevor er verschwindet, bevor ich mich wieder Kim zuwende. Es ist nicht unüblich für New York, dass die U-Bahn-Stationen während starkem Regen mit Wasser volllaufen. Die ganze Stadt wird irgendwann versinken. Mittlerweile bin ich es gewohnt, Umwege nehmen zu müssen. Und Taxis hier zu finden? Fast unmöglich und dauert lang durch den Stadtverkehr. »Wann bist du gestern zuhause gewesen? Ich hab dich irgendwann aus den Augen verloren«, frage ich meine beste Freundin und rühre in dem Tee, den der freundliche Mitarbeiter vor mir abgestellt hat. Das ist das Beste bei diesem herbstlich nassem Wetter. »Gegen fünf, glaube ich«, gähnt sie und hält sich ihre manikürten Finger vor die Lippen. »Und wo warst du?«, möchte sie wissen. Schweigend rühre ich abermals meinen Tee. Kim schnappt wissend nach Luft und zieht sich die schwarze Sonnenbrille von der Nase. Aus müden Augen scannt sie mich wohlwissend ab. »Du hast den Typen wieder getroffen, oder?«
Ertappt nicke ich. Kim grinst. »Wart ihr bei ihm? Kennst du jetzt endlich seinen Namen?« Ich schüttle meinen Kopf ehrlich. Es bringt ja nichts, sie anzulügen. Nachdenklich krame ich den Zettel aus meiner Tasche und schiebe ihn über den Holztisch. »Nein. Ich bin heute Morgen in meiner Wohnung aufgewacht mit diesem Zettel neben mir. Ich weiß nicht mehr, wie ich nachhause gekommen bin«, erzähle ich ihr. Kim dreht das Stück Papier in ihren Händen, betrachtet es skeptisch. »Soll das eine Drohung sein? Wer ist dieser mysteriöse Typ?«
»Das wüsste ich auch gerne«, seufze ich verzweifelt. Ich kenne ja nicht mal seinen Namen. Geschweige denn weiß ich, woher er meinen Wohnort kennt.
Kim zuckt mit den Augenbrauen. »Sehr mysteriös. Aber du solltest echt aufpassen, Stel. Nicht, dass das ein Psycho ist«, rät sie mir. Kopfschüttelnd stecke ich mir eine Strähne meiner Haare hinters Ohr. »Das denke ich nicht. Er ist ... ach keine Ahnung.« Mein Gesicht zum Fenster abwendend, beobachte ich die Regentropfen, die an den Scheiben hinablaufen. Draußen ist es ungemütlich.~
»Also will dein Chef, dass du noch einen Artikel darüber verfasst?«
Kim nickt kauend und schiebt sich eine weitere Gabel Gnocchi in den Mund. »Mhm, sogar zwei. Er mag anscheinend, wie ich über sie geschrieben habe. Sowieso ist er total besessen von diesem Thema«, nuschelt sie frustriert. Ich kann das verstehen. Über ein Jahr lang, hat der Terror über diese Stadt geherrscht und es war alles, über das die Menschen gesprochen haben. Das ist jetzt schon einige Zeit her aber manche haben immer noch nicht genug davon. »Ich meine ja nur, dass ich es langsam Satt habe, verstehst du? Er hat eine Tafel in seinem Büro mit allen möglichen Personen, die dieser Familie angehören. Der tut fast so, als würde er ermitteln. Er wird schon völlig verrückt von diesem Thema.«
»Schreib ihm die Artikel doch einfach, damit ruhe ist.«
»Wird er nicht geben. Er wird immer mehr fordern. Vielleicht sollte ich mir einfach einen neuen Job suchen, bei einer der anderen Zeitungen.«
Kräftig den Kopf schüttelnd, stochere ich in meinem Gemüse herum. »Du hast so hart gearbeitet, Kim. Lass dir das nicht kaputt machen, nur wegen diesem Thema«, rate ich ihr. Auch wenn ich weiß, wie sehr sie das stresst. Aber sie ist eine großartige Journalistin. »Ich weiß Stel... ich weiß. Mal sehen, was ich mache. Du bist ja mit deinem Chef auch nicht besser dran«, scherzt sie. »Da hast du recht, er ist ein alter Griesgram.« Wir beide beginnen zu lachen. Zeit mit ihr zu verbringen, egal wie stressig mein Tag gewesen sein mag, schenkt mir neue Kraft. Kim ist eine tolle Person und ich bin froh, sie meine beste Freundin nennen zu dürfen.
»Was hältst du davon, shoppen zu gehen? Bei dem Regenwetter kann man kaum etwas anderes machen«, schlägt sie nach dem Essen vor. Obwohl mein Magen kurz vorm Platzen ist und ich auf der Stelle einschlafen könnte, stimme ich lächelnd zu, denn sie hat recht, es ist der perfekte Tag, um stundenlang in Geschäften abzuhängen.
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King of New York | 18+
RomanceNach einer heißen Nacht mit einem Fremden auf einer Party in New York City, muss Stella feststellen, dass der Fremde ihr ein Geschenk hinterlassen hat, welches in neun Monaten das Licht der Welt erblicken wird. Als sie kurz darauf fast attackiert wi...