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STELLA

Ein paar Wochen später ist die vorweihnachtliche Stimmung in der Stadt angekommen. Die Straßen und Schaufenster geschmückt, die Parks voller Menschen. New York erstrahlt bei Nacht einstig von Lichterketten und das ist traumhaft schön.
Im Penthouse hat sich der Geruch von Tannennadeln breitgemacht. In einem Fuß steht zwischen Sofa und Esstisch ein Baum vor den großen Glasfenstern. Hinter ihm spiegeln sich die Lichter der Stadt. Obwohl er noch nicht geschmückt ist, schaut es bereits wunderschön aus. Auf der Dachterrasse stehen leuchtende Sterne neben dem Kamin, Lichterketten schmücken die Brüstung. Und im ganzen Haus riecht es seit Tagen nach Lebkuchen, Orangen, Zimt und Granatäpfeln.
»Micina?« ruft eine dunkle Stimme mich durch das Apartment. Ich mache auf dem Absatz kehrt und betrete den Flur. Dario schnappt sich den Schlüssel seines Wagens gerade als ich ihn neben der Haustür ausmache. »Bist du fertig?«
Nickend werfe ich mir meinen Mantel über, dazu einen dicken Schal. In die Stiefel bin ich schon lang geschlüpft. »Klar.«
Dario nähert sich mir, lässt den Schlüssel seiner G Klasse im Futter seiner Anzughose verschwinden und hält vor mir inne. Seine Augen wandern meinen Körper hinab. Bevor ich den Mund öffnen und fragen kann was ihn stört, hat er das Ende meines Pullovers aus meinem Mantel gelöst, welches sich darin verfangen hatte. Er streicht es über meinem Bauch glatt und lässt es sich nicht nehmen, einen Kuss auf die Stelle zu drücken. Ein warmes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Das tut er jetzt öfters, ist mir aufgefallen. Genaugenommen seit dem ersten Mal, an dem er es spürte. Es passierte abends im Badezimmer. Ich wollte mich gerade auf den Weg ins Bett machen und war frisch geduscht und umgezogen. Dario betrat das Zimmer und genau als seine Finger mich berührten, trat das Baby zu. Seitdem hat er sich verändert. Natürlich hat er das schon weit vorher getan, damals als ich bei ihm einzog nach dem Anschlag. Trotzdem ist es jetzt irgendwie anderes. Es ist, als würde er sich freuen und genießen, wenn er es spürt.
Nach dem Tod seines Onkels kam es zu keinerlei Zwischenfällen mehr. Ich habe mich bei Dario nicht mehr darüber erkundigt also weiß ich nicht, was wirklich geschehen ist, oder was ihn angetrieben hat. Wir schweigen darüber. Vielleicht offenbart er es mir irgendwann?
Den Ring, der an meinem Finger sitzt, habe ich seit den Tag an dem er ihn mir an den Finger gesteckt hat, nur noch zum Schlafen und Duschen abgenommen. Ich glaube das ist eine Art Bestätigung dafür, dass er will, dass ich seinen Namen trage. Meine Art ja zu sagen, quasi. Natürlich gibt es noch so viel, dass ich nicht über Dario weiß, aber das wird die Zeit zeigen und verraten. Umgekehrt genauso. Wir haben gelernt was es bedeutet einander zu haben, und das ist etwas ganz Besonderes.

Schneeflocken rieseln mir beim Verlassen des Townhouses auf die Haare. Mit einem Lächeln auf den Lippen halte ich einen Moment inne und Recke das Kinn zum Himmel, bevor der Italiener mich sanft über den gestreuten Bordstein weiterzieht und mir die Tür seines Autos öffnet. »Wohin fahren wir eigentlich?«, möchte ich zwischen ihm und der geöffneten Tür stehend wissen. Ich muss mein Kopf in den Nacken legen, um ihn anschauen zu können, wenn ich so nah vor ihm stehe. »Macys.«
Meine Augen weiten sich sofort begeistert. Ich stelle mich auf Zehenspitzen, ziehe ihn am Nacken das letzte Stück zu mir herunter und vereine unsere Lippen. »Danke«, hauche ich. Er weiß, wie viel mir dieses bisschen Normalität fehlt, seit ich hier lebe. Ich weiß, dass im geparkten Auto hinter uns, mehrere Personenschützer hinter den getönten Scheiben befinden, die uns folgen werden. Damit komme ich mittlerweile klar. Wenn es heißt, dass ich dadurch ein bisschen mehr Freiheit gewinne, dann soll es so sein. Und Dario gibt sich große Mühe es mir so leicht wie möglich zu machen. Er schlingt seinen Arm um meinen Rücken, um den Kuss einen Moment zu vertiefen, bevor er von mir ablässt und mich auf den Beifahrersitz scheucht. Ich tue, was er sagt, und drehe die Sitzheizung auf, nachdem er den Wagen gestartet hat. Dann muss ich mich einfach nur zurücklehnen und die Fahrt durch die verschneite Metropole genießen.

Es ist nicht weit bis zu Macys. Wir steigen an einem der Nebeneingänge aus und jemand von Darios Sicherheitsteam parkt den Wagen weiter weg. Der Rest folgt uns ins Innere. Sie halten Abstand und sind dennoch präsent. Ich laufe zwischen Dario und den Schaufenstern. Durch ihn fühle ich mich trotz der vielen Menschen im Einkaufszentrum sicher.
»Wo möchtest du als erstes hin, micina?«, erkundigt er sich nach kurzer Zeit, sein Arm um meine Schultern geschlungen. Ich deute auf den Aufzug, neben dem sich eine Übersichtstafel befindet. Die Menge an Läden haut mich fast um. »Ich würde gern zuerst in den Babyladen, wenn das okay ist? Danach finden wir Geschenke für deine Eltern«, lächle ich. Denn das ist der eigentliche Grund, wieso er her wollte. Glaube ich zumindest.
Wir nehmen den Aufzug in eines der obersten Stockwerke und ein gigantischer Store voller Babykleidung präsentiert sich uns. Auch wenn die Hälfte meiner Schwangerschaft fast um ist, haben wir noch immer nichts für das Baby. Dario lässt mich seinen und den wachsamen Augen der Männer, die uns begleiten, allein durch die Gänge streifen. Ich sammle mir ein paar süße Stücke zusammen und treffe ihn vor einer der Tische wieder.
Er hält eine kuscheligen Strampler in der Hand. In seinen Augen liegt etwas Nachdenkliches. Ich reiße ihn nur ungern aus seinem Kopf heraus, doch die Sachen, die ich trage, fallen mir aus den Händen in den Korb, den er mit sich geschleppt hat. Sein Kopf schnippt sofort zu mir. »Du hast schon was?«
»Ja, was schaust du dir da an?« Ich nehme ihm das kleine Kleidungsstück aus den Fingern und drehe es in meinen. Der Stoff ist unglaublich weich und kuschelig. Perfekt für unser Baby, wenn es da ist.
»Das ist süß. Ist das das Erste, was du für ihn aussuchst?«, frage ich und platziere es im Korb. Dario nickt, die anderen Kleiderreihen durchstöbernd. »Ich will das er alles hat«, meint er. Natürlich verstehe ich ihn, aber Babys brauchen zu Anfang nicht viel, habe ich gelesen. Trotzdem finde ich es süß, wie nachdenklich er die Stücke betrachtet und das ein oder andere Mal länger davor stehenbleibt. Ich genieße das hier wirklich. Seit ich weiß, dass es ein Junge wird, habe ich die stetige Hoffnung, dass er das Ebenbild seines Vaters werden wird. Ich hoffe es sehr, denn Dario ist ein umwerfend schöner Mann. Nicht umsonst habe ich ihn im Club so heiß gefunden. Bei der Erinnerung an damals, muss ich mir auf die Unterlippe beißen, um nicht zu grinsen.
Wir ziehen eine Zeit durch den Laden, finden allerlei schöne Dinge und sogar einige Möbel und einen Kinderwagen. Wir vergessen hier drin völlig die Zeit.
Während unsere Einkäufe zum Wagen gebracht werden, machen wir uns auf den Weg, um ein Geschenk für seine Eltern zu finden. Für seine Mutter gehen wir zu einem Juwelier. Dario übernimmt das Reden Großteils und ich stehe nur daneben, halte seine Hand und schaue mich, an seinen Oberarm geschmiegt um. Die Unsicherheit in der Öffentlichkeit, verschwindet hoffentlich bald. Marisa hat mir über die letzten Wochen gut zugeredet und mich etwas an ihrem früheren Leben teilnehmen lassen. Sie erklärte mir wie es für sie war, Carlo zu heiraten und Dario zu bekommen. Da sie allerdings aus dem Milieu der Mafia kommt, ist es für sie anders und doch nicht viel anders gewesen. Ich bin froh, dass sie mich so gut aufgenommen hat. Die Stadtvilla im Herzen Little Italys ist mein Zuhause geworden.
»Wie findest du dieses Armband?«, möchte Dario irgendwann wissen. Da ich die ganze Zeit über in Gedanken war, weiß ich nicht, wie lang wir uns schon hier im Laden aufhalten. Eine Menge hübscher Schmuckstücke befinden sich vor uns auf der gläsernen Theke. Die Dame dahinter deutet mit ihren behandschuhten Fingern auf das besagte Armband aus Aquamarin.
»Wunderschön. So eine Farbe habe ich noch nie an deiner Mutter gesehen«, gestehe ich. Die Steine sind atemberaubend schön. Sie funkeln in den Lichtern des Geschäftes und rauben einem fast den Atem.
»Gut, können sie das als Geschenk einpacken?«, erkundigt Dario sich bei der Verkäuferin. Diese nickt und platziert das teure Stück in einer Schatulle, bevor sie sich daran macht es sorgfältig in blutrotes Papier zu packen und mit goldenem Geschenkband zu versehen. Als mir auffällt, das wir die einzigen im Laden sind und vor der Tür ein Bodyguard steht, löse ich mich von Dario Seite und stöbere durch die Schaukästen. Ein Stück ist hübscher als das andere.

Nachdenklich drehe ich den Ring an meinem Finger und bekomme gar nicht mit, dass der Italiener hinter mich tritt. Erst, als er seine Arme um meine Schultern schließt und seinen Mund an mein Ohr führt, fühle ich seine Präsenz. Das wir hier in aller Öffentlichkeit sind, scheint ihn nicht zu stören.
»Was hast du?«
Solch eine simple Frage, bewirkt dass mein Herz nervös zu pochen beginnt. Ich lehne meinen Rücken gegen seinen Brustkorb, starre auf die Wand voller Juwelen, ohne die Augen abzuwenden.
»Ich habe mich nur gefragt, was der Ring an meinem Finger bedeutet«, gebe ich zu. Die Frage liegt mir schon seit Tagen wie Steine im Magen, auch wenn ich glaube zu wissen, was es bedeutet. Der Gedanke ist mir vor ein paar Stunden schon gekommen und anscheinend nicht so abwegig.
»Er bedeutet, dass du zu mir gehörst. Du genießt meinen Schutz. Niemand in der Organisation wird dich anfassen... Es bedeutet, dass du mich heiraten willst.« Seine warme Stimme raspelt Süßholz in mein Ohr und entlockt mir ein Lächeln, dass meine Augen erreicht. »Das will ich auch. Ich will nur dir gehören«, gestehe ich. Meine Gefühle so ehrlich zu äußern, fällt mir manchmal nicht so leicht. Dario versteht das, denn ihm geht es genauso. Er küsst meine Wange, vergräbt seine Nase einen Moment in meinen Haaren. »Ich möchte, dass du dir was Schönes aussuchst.« Es klingt wie eine Bitte, was für ihn nicht üblich ist. Normalerweise ist er besser darin, Befehle zu geben, anstatt zu bitten. Doch gerade jetzt tut er es.

Ich schlucke meine Widerworte also herunter, drehe mich in seinen Armen herum, küsse ihn, wie schon draußen am Auto. »Ich liebe dich auch ohne, dass du mir Geschenke machst«, nuschle ich. Ein Teil von mir fühlt sich nämlich trotzdem schlecht. Dario winkt ab, greift in meinen Nacken und kitzelt meine Kopfhaut. »Das weiß ich, micina. Du hast so viel erlebt die letzten Monate. Ich will dir nur zeigen, wie es ist, richtig zu leben.« Etwas, dass ich nicht deuten kann, blitzt in seinen Augen auf. Ich kann es deutlich sehen. Wären wir jetzt nicht mitten in einem Einkaufszentrum, würde ich vermutlich anfangen zu weinen, denn meine Hormone fahren Achterbahn. Stattdessen küsse ich ihn ein letztes Mal, schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und wende mich wieder den Schmuckstücken zu. Ich brauche nicht lang, um mir etwas auszusuchen, denn eine Kette fällt mir unter die Augen. Sie ist mit blutroten Rubinen besetzt und filigran gehalten. Genau das richtige für jemanden wie mich. Dario kauft sie mir, ohne dass ich den Preis erfahre.
Und bevor wir Macys verlassen, fällt mir noch ein Weihnachtsgeschenk für ihn ins Auge, dass ich heimlich kaufe, während er eins für seinen Vater kauft. Ich glaube, dieses Weihnachten wird unglaublich schön werden. Das spüre ich.

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt