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STELLA

Ich liege den ganzen Tag nur auf der faulen Haut. Das Wetter trübt meine Stimmung noch mehr und ich sehne mich, seit Dario die Wohnung verlassen hat, sekündlich mehr danach mich in seine Arme zu flüchten. Es fühlt sich an wie der sicherste Platz der Welt und genau da will, ich nichts als lieber sein. Bei ihm.
Wahnsinn, wie sehr ich mich zu ihm hingezogen fühle. Dabei ist er im Grunde immer noch ein Fremder für mich. Ich weiß wenig über ihn.
Grübelnd wälze ich mich auf dem Sofa hin und her. Der Wind peitscht den Regen gegen die Fensterscheiben. Die letzten Tage hat es nicht mehr aufgehört zu schütten und laut der Nachrichtensprecherin wird der Orkan, der sich vor dem Festland tummelt, die Stadt noch einige Tage in Atem halten. Es ist mir ein kleiner Trost, zu wissen, dass es draußen gerade so aussieht. Jetzt, wo ich in dieser Wohnung gefangen bin. Ich weiß, dass es nur zu meiner Sicherheit ist, aber es fällt mir so unglaublich schwer, den ganzen Tag hier allein zu sein. Meine Arbeit vermissen tue ich allerdings nicht. Mister Greenwich ist ein furchtbarer Chef gewesen. Ich bin froh, dass ich da weg bin. Wen er nun wohl quält?
»Gott«, brumme ich frustriert beim Flackern des Fernsehers. Ich schalte ihn ab, werfe die Fernbedienung neben mich in die Polster und raffe mich auf. Die Uhr auf dem Display neben der Tür zeigt kurz nach sechzehn Uhr an. Bis jetzt ist Dario nicht wieder aufgetaucht. Er hat nur merkwürdige Anspielungen gemacht, wohin er will. Uns beiden war doch klar, dass er nicht mit der Sprache rausrückt. Mir ist die Mappe nicht entgangen, die er versuchte vor mir zu verstecken. Ich sollte es wagen. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, aber ich musste einfach wissen, was er mir verheimlicht.
Die Mappe, die weise wie er sie geschlossen hatte, als ich auftauchte. Sein Verhalten heute Morgen war seltsam, und ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas nicht stimmt. Das er doch etwas gefunden hat, von dem er mir nichts erzählen will. Dass sie eine Spur haben und er mich nur nicht versucht damit zu belasten. Er hat mehrmals gesagt, dass er das klären will. Nur wie?

Humpelnd gehe ich durch den Flur auf die massive Holztür zu, die er stets verschlossen hält. Dabei klopft mein Herz so schnell wie kaum zuvor. Ich drücke die Klinke, öffne die Tür und schlüpfe durch den ersten spalt, der sich mir bietet. Erst danach, als sie wieder geschlossen ist, kann ich aufatmen.
Das Zimmer ist, wie der Rest der Wohnung, in dunklen Tönen gehalten. Hohe Schränke, in denen sich alte Ledereinbände befinden, schwarze Teppiche, eine Sitzecke und ein kolossaler Schreibtisch, an dem man mit dem Rücken zu den bodentiefen Fenstern sitzt. Je näher ich ihnen komme, desto mehr sehe ich von der Straße vor dem Haus. Einige Autos parken am Straßenrand, doch kaum ein Mensch ist zu sehen. Kein Wunder bei diesem Wetter. Wie auch vom Wohnzimmer aus, hat man einen umwerfenden Ausblick an den Dächern der anderen Gebäude vorbei auf die Stadt, dessen hohe Wolkenkratzer im dichten Nebel verschwinden. Es ist ein typischer kalter Herbsttag. Die Tage kurz und Nächte lang.
Auf wackligen Beinen mache ich kehrt und sinke in den Ledersessel, der hinter dem Tisch steht. Ein Computer befindet sich auf der Tischplatte stehend, ein zugeklappter Laptop liegt an der Seite. Meine Finger fahren ehrfürchtig über das glänzende Holz, über die goldenen Griffe.

Die oberste Schublade, ist nicht abgeschlossen. Ich öffne sie vorsichtig. Kontoauszüge, Geschäftsberichte, Notizen – nichts scheint auf den ersten Blick verdächtig. Bis mein Blick auf einen Umschlag fällt , der halb unter einem Stapel Papiere begraben liegt. Er ist braun und so groß wie ein Blatt Papier und mit einem Stück Klebeband verschlossen. Skeptisch drehe ich ihn in meinen Fingern umher und versuche, einen Absender oder einen Hinweis darauf zu finden, was sich darin verbirgt. Die Ecken des Klebebands rollen sich ein bisschen nach oben, was mir verrät, dass er schonmal geöffnet wurde. Ob Dario das war? Lippenbeißend lehne ich mich zurück und starre hinab. Sollte ich? Was, wenn sich kein Hinweis darin verbirgt?
Ich fühle mich schlecht, weil ich das mache. Gleichzeitig bringt der Gedanke, dass derjenige der dafür verantwortlich ist, immer noch da draußen rumläuft, mich fast um. Also entscheide ich mich dazu, es zu tun. Meine Finger lösen das Tape vorsichtig.

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt