18

1.8K 112 8
                                    

STELLA

Ich kann gar nicht beschreiben welch ein frohes Gefühl durch meinen Körper geschossen ist, nachdem der Arzt mir versichert hat, dass mit dem Baby alles in Ordnung ist. Wie man mir erklärt hat, lag ich auf dem Bauch als die Rettungskräfte mich fanden. Das hat wohl das gröbste abgefangen und war mein Glück im Unglück. Ich wüsste nicht, wie ich mich gefühlt hätte, wenn man mir nach dem Aufwachen gesagt hätte, ich sei nicht mehr schwanger. Gott, das hätte mir mein Herz rausgerissen. Wie kann man sowas verkraften? Ich könnte es nie, das spüre ich. Umso glücklicher bin ich, dass das kleine etwas noch immer wohl behütet in mir nistet. Dort wo es sicher ist.
Ich muss sagen, das Privatkrankenhaus in dem ich mich befinde ist überragend. Das Essen schmeckt wie im Hotel und es gibt sogar Zimmerservice. Als ich das das erste Mal gehört habe, dachte ich sie verarschen mich. Aber tatsächlich befindet sich auf meinem Nachttisch eine Karte, von der ich bestellen kann, wann ich will. Egal ob mitten in der Nacht oder am Tag. Die Schwestern hier kümmern sich herzlich um mich, als läge ihnen tatsächlich etwas daran, dass es mir besser geht. Ich bin kein Patient, den man schnell loswerden muss, damit das Bett frei wird. Stattdessen gibt es verschiedene Reha Möglichkeiten im Gebäude, wie man mir sagte. Täglich besucht mich eine Physiotherapeutin, die verschiedene Aufgaben mit mir macht, um meinen gebrochenen Unterarm zu stärken und die Muskeln zu trainieren. Außerdem hat man mir heute Morgen gesagt, mich zu einer entspannenden Behandlung zu bringen, noch vor dem Frühstück. Dass ich mich kurz darauf auf einer Liege wiederfinde und jemand mich massiert, um die Schmerzen meiner Gehirnerschütterung zu lindern, hätte ich nicht gedacht. Gott, ich will mir nicht ausmalen, was das hier kostet. Einmal habe ich versucht mit Dario darüber zu sprechen, aber er hat mir gleich klargemacht, dass es mich nichts kosten wird. Danach wurde er sauer und so habe ich es hingenommen. Mit ihm scheint man ohnehin nicht diskutieren zu können.

Während die Physiotherapeutin meinen Nacken massiert und meine Verspannungen löst, driften meine Gedanken zurück zu dem hübschen Italiener, der mir vorgestern endlich seinen Namen verraten hat. Dario. Er zergeht wie Butter auf meiner Zunge. Dario Gambino.
Er passt zu ihm. Wenn ich ihn ansehe, kann ich mir keinen anderen Namen für ihn vorstellen. Nein, er ist ein Dario. Inzwischen bin ich mir auch sicher, dass er eine wichtige Funktion bei dem Clan haben muss. Ich versuche mich krampfhaft an Details zu erinnern die ich beim Lesen von Kims Artikel hätte aufschnappen sollen, aber mir fällt partout nichts ein. Grübelnd ziehe ich meine Augenbrauen zusammen, nur damit sie Therapeuten zwischen ihnen mit ihrem Daumen streicht. »Entspannen sie sich, Miss Owen«, mahnt sie mich mit sanfter Stimme. Ausatmend versuche ich ihren Worten nachzukommen, aber es fällt mir schwer, Darios Gesicht vor meinem inneren Auge zu vertreiben. Ich muss immer zu an ihn und an das, was passiert ist denken. Pausenlos schwirrt er mir im Kopf herum und lässt mich nicht los. So wie ich nicht loslassen kann und es kaum schaffe, abzuschalten.

Nach zwanzig Minuten ist es dann vorüber und ich werde zurück auf mein Zimmer gebracht. Freudig stelle ich dort fest, dass man mir mein Frühstück bereits gebracht hat. Mit kleinen und langsamen Schritten gehe ich auf die Sitzgruppe an den Fenster zu und sinke mit dem Gesicht zu den Scheiben auf den Stuhl.
Auf dem Tablett vor mir befindet sich frisches Obst, Joghurt, Cornflakes und Gebäck. So gut esse ich sonst nie. Gerade als ich mir den Löffel schnappe und ihn in den Früchtejoghurt tauche, tritt jemand ins Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Kurze Zeit später sinkt Dario auf den Stuhl mir gegenüber und lehnt sich lässig zurück. »Morgen, wie war deine Behandlung?«, erkundig er sich. Mir ist ein Rätsel, woher er das weiß.
»Gut. Was tust du hier?«
»Darf ich das nicht?« Er stibitzt sich eine Weintraube von meinem Teller, wirft sie in die Luft und fängt sie geschickt mit seinem Mund auf.
»Doch«, nuschle ich und löffle noch ein bisschen mehr Joghurt. »Ich ... ach keine Ahnung.« Was ich da eigentlich sagen will, weiß ich nicht.
»Ich hab mit dem Arzt gesprochen und der sagte, dass du morgen entlassen wirst, nach einer abschließenden Untersuchung. Danach fahren wir direkt nach Little Italy.«
Verwundert hebe ich meinen Kopf und schaue ihm in die Augen. Damit hätte ich nicht gerechnet.
»Und meine Sachen?«
»Wegen des Sicherheitsrisikos kannst du vorerst nicht zurück in dein Apartment. Wenn du mir eine Liste gibst, sorge ich dafür, dass die Sachen alle in meine Wohnung gebracht werden.«
»Ich will nicht, dass jemand fremdes in meinem hab und gut wühlt«, stelle ich klar. Wie würde er sich denn da fühlen?

Der Italiener beugt sich nach vorn und ruht seine Unterarme auf dem Tisch. »Hör mal, ich verstehe das aber das Risiko ist zu hoch. Ich werde alles persönlich einsammeln und sicher zu mir bringen«, versichert er mir. Trotzdem bleibt das mulmige Gefühl in meinem Magen, dass nicht verschwinden will. Ich möchte nicht umziehen, auch wenn ich mich nach dem Erlebnis im Restaurant nicht sicher fühle, sondern so unglaublich angreifbar. Ich verstehe nicht, wieso man es auf mich abgesehen hat und wer von den Feinden, die die Gambinos haben, das gewesen sein soll. Ich weiß ja überhaupt nichts über die Mafia oder das ganze Zeugs. Gott, wenn ich mir so lange den Kopf darüber zerbreche, erleide ich noch ein erneutes Trauma.
»Ich arbeite fest daran, herauszufinden wer das war. Okay? Das braucht Zeit, was ich ungern zugebe. Aber ich finde die Wichser und dann-«
Er verstummt, als er meinen verstörten Blick sieht. Stattdessen schnappt er sich noch eine Weintraube. »Iss mal lieber dein Frühstück und dann rufe ich jemanden an, der dich mit deiner Freundin verbindet«, wechselt er das Thema und sorgt dafür, dass ich fast einen Herzinfarkt erleide. Von hier auf da bin ich völlig präsent und spüre, wie hibbelig ich werde.
»Kim? Wie geht's ihr? Was-«
»Das kannst du sie gleich alles selbst fragen, beruhig dich.« Er nickt fordernd auf das volle Tablett und ich esse brav weiter. Dabei kann ich einstig allein an meine beste Freundin denken. Ich habe mir seitdem ich hier aufgewacht bin, schreckliche Sorgen und Gedanken gemacht. Niemand wollte mir etwas sagen und das ich nun mit ihr sprechen kann bedeutet wohl, dass es ihr so weit gutgeht. Gott, ich wünschte ich könnte sie in den Arm nehmen. Gleichzeitig weiß ich, dass es vermutlich nicht möglich sein wird. Wo bin ich da nur reingeraten?

~

»Sag nichts über das, was passiert ist. Auch wenn wir regelmäßig sicherstellen, dass die Leitung sicher ist, kann ich nicht garantieren, dass die Cops sie nicht anzapfen. Ihr habt zehn Minuten. Ich warte so lange vor der Tür«, erklärt Dario mir und reicht mir sein schwarzes Telefon. Als er aus dem Zimmer verschwunden ist, lege ich mich auf dem Bett liegend auf die Seite, mit dem Gesicht zur Aussicht und hebe den Hörer an mein Ohr. »Hallo?«
»Stella?«, spricht die Stimme meiner besten Freundin erleichtert am anderen Ende. Auch ich sinke in mir zusammen. Es ist schön, ihre Stimme zu hören, nachdem ich praktisch nichts von ihr wusste. Obwohl der Italiener mir versichert hatte, dass sie lebt, ist es etwas anderes, sie persönlich zu hören. »Kim? Wie geht's dir?«
»Mir geht's gut. Ein gebrochenes Bein und ein paar Rippen, sonst bin ich okay. Was ist mit dir? Mit dem Baby?«
»Alles in Ordnung. Mein Unterarm ist bandagiert und ich habe eine Gehirnerschütterung. Sonst ist alles okay.«
Sie seufzt am anderen Ende der Leitung. Schritte sind im Hintergrund zu hören. Ist da jemand bei ihr?
»Bist du noch im Krankenhaus? Ich werde morgen entlassen, weißt du?«
»Ja Lennox Hill. Ich darf nächsten Montag gehen, da sie mir vorher noch so einen schicken neuen Gips verpassen wollen«, lacht sie leise. Ich steige ebenfalls ein, bevor ich wieder ernster werde. »Scheiße das... wir hatten echt glück«, wispere ich fassungslos. Das, was geschehen ist, ist schwer zu verdauen. Ich kann es immer noch nicht ganz begreifen.
»Stel das hatten wir echt. Wenn wieder alles okay ist, müssen wir uns treffen, ja?«
»Unbedingt. Ich vermisse dich, Kim.«
»Ich dich auch süße. Wir hatten verdammte Schutzengel. Ich wette mein Chef interviewt mich bald für eine neue Schlagzeile.« Erneut müssen wir lachen. »Sag ihm aber nichts über die andere Sache, okay? Mein Leben ist sowieso schon kompliziert genug und-«
»Natürlich, mach dir keine Sorgen. Kein sterbenswörtchen. Das musste ich auch dem Gorilla vor meinem Bett schwören, bevor er mich ans Telefon gelassen hat«, brummt sie. Jemand sagt etwas im Hintergrund, was ich nicht verstehe, dann kontert sie etwas, was von einem rascheln in der Leitung geschluckt wird, bevor ihre Stimme aufklart. »Er sagt ich muss jetzt auflegen. Melde dich, ja? Ich hoffe euch geht's gut.«
»Danke Kim, dir auch. Wir werden uns bald wiedersehen. Vielleicht gehen wir vorerst aber nicht mehr in Restaurants«, scherze ich. Leise lachend stimmt sie mir zu. »Ich muss jetzt auflegen, bis bald Stel.«
»Bis bald.«

Gerade als das Piepen in der Leitung beginnt taucht Dario wieder auf. Ich werfe ihm sein Telefon zu, dass er geschickt auffängt und sich gegen das Fußteil meines Bettes lehnt. »Alles geklärt?«
»Mhm. Wer war da bei ihr?«, möchte ich wissen.
Darios Augen huschen zu mir, anschließend zurück zum Fenster. »Einer meiner Männer. Keine Sorge, man kann ihm vertrauen. Er geht sicher, dass sie in Ruhe gelassen wird.«
Und dass sie nichts ausplaudert, denke ich mir. Desto länger ich ihn ansehe, desto deutlicher wird das Bild von ihm in meinem Kopf. Ich sollte jemanden wie ihn auf keinen Fall unterschätzen. Egal wie viel Honig er mir ums Maul schmieren mag. Denn im Grunde, weiß ich nichts über ihn. Wer sagt mir, dass es nicht nur ein Trick war, um mich dahin zu locken, wo er mich haben will?
Ich denke lang darüber nach. Je mehr, desto abwegiger wird diese Vorstellung. Nein, so wirkt er auf mich nicht. Wer war es also dann? Wer hätte etwas davon, mich aus dem Weg zu schaffen und Dario zu schaden?

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt