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STELLA

Seitdem ich dem mysteriösen Unbekannten alles gebeichtet habe, ist eine weitere Woche vergangen. Inzwischen arbeite ich wieder für Mister Greenwich, der mir zu Beginn meines ersten Arbeitstages direkt einen dicken Stapel Rechnungen auf den Tisch gelegt hat, die ich abheften soll. Danach die Akten in den raumhohen Schränken entstauben, herausfinden wo was fehlt und diese dann neu alphabetisch ordnen. Am liebsten alles in dem Bruchteil einer Sekunde. Es war schrecklich viel Arbeit und hat mich ganze vier Tage gekostet, neben dem Zeug, was ich ohnehin schon tun musste. Ich glaube, es ist eine Form der Bestrafung, da ich so lange krank war. Dass ich nicht im Urlaub war und es mir die ganze Zeit hab gutgehen lassen, scheint er zu ignorieren. Für ihn habe ich das anscheinend.
Der Job bringt mich an meine Grenzen. Ich kann bis mittags nichts essen, da mir speiübel ist wenn ich aufstehe. Jeden Tag übergebe ich mich auf den Personaltoiletten zwischen der Arbeit. Kim kommt alle zwei Tage nach der Arbeit vorbei und kocht für mich. Wir verbringen die Abende zusammen und haben viel Spaß. Mädchenkrams wie Filme schauen, tratschen und sowas eben. Das lenkt mich etwas von meinem Alltag ab. Ich bin froh, sie zu haben.
Ich habe ihr davon erzählt, dass der Fremde im Wagen, beim Telefonieren eine Lillian erwähnt hat. Kim fand das komisch und bläute mir ein, vorsichtig zu sein. Natürlich war mir der Gedanke, dass auch er zur Mafia gehören könnte, in den Sinn gekommen. Aber es gibt viele Lillians in der Stadt. Mag sein, dass es ein Zufall war.
Ja, es muss einer gewesen sein.

Das ich seit vergangenen Freitag nichts mehr von ihm gehört habe, gibt mir zu denken. Wird er sich überhaupt je wieder melden? Oder es einfach gekonnt ignorieren und sein Leben fortsetzen wie zuvor? Nein, das glaube ich nicht. Er sagte, er würde sich melden. Kann ich dem auch Glauben schenken? Jeden Morgen erwische ich mich dabei, wie ich den Zettel in den Händen halte, den er mir letztens schrieb. Ich habe ihn auf meinem Nachttisch platziert und starre ihn abends an, bis ich einschlafe. Dabei schießen immer tausend Gedanken in meinem Kopf herum, die mich wachhalten.

Müde sitze ich an meinem Schreibtisch und hänge über meinem Terminkalender fest, in dem ich die nächsten Termine für Mister Greenwich eintrage. Er hat mir einige über sein Arbeitstelefon geschickt, den Rest habe ich mit Kunden und Geschäftspartner ausgemacht. Da er ein paar Tage die Woche auch in seinen anderen Firmen ist, muss ich alles so koordinieren, dass es passt.
Ein gähnen entwischt mir, gerade als mein Blick auf die Uhr auf meinem Tisch gleitet. Siebzehn Uhr. Ich bin schon seit halb sieben Uhr morgens hier sollte jetzt Feierabend machen. Manchmal gehe ich pünktlich, aber es gibt auch Tage, an denen ich bis spät abends hier sitze, und die Aufgaben abarbeite, die mein Chef mir aufgetragen hat. Heute aber hat er mich gebeten, pünktlich zu gehen. Also klappe ich meinen Kalender zusammen, schnappe mir meinen Mantel und die Tasche und lösche die Lichter beim Gehen. Die meisten der Angestellten befinden sich ebenfalls auf dem Weg nachhause. Gerade als ich zum Fahrstuhl abbiege, kommen mir die gruselig ausschauenden Männer wieder entgegen. Sie schweigen, mustern mich und gehen mit strammen Schritten auf das Büro von Mister Greenwich zu. Verwirrt schaue ich ihn nach. Wer sind diese Kerle? Ich habe sie bereits vor ein paar Wochen gesehen. In seinem Terminkalender ist nie etwas von diesen Besuchen notiert. Merkwürdig. Wären das Geschäftspartner, wüsste ich davon.

Mit dem Verlassen des hohen Wolkenkratzers beschließe ich, mir bis morgen nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich vertrete die Meinung, dass man die Arbeit auf Arbeit lassen sollte. Mit Verlassen des Gebäudes habe ich dies getan. Jetzt freue ich mich auf zuhause.
Der Weg zur U-Bahn zieht sich heute ungewöhnlich lang. Der Himmel ist wie üblich in letzter Zeit mit grauen Wolken verhangen und sperrt die Sonne aus. Die Stadt ist noch belebt, Menschen drängen sich auf den Gehwegen aneinander. Ich versuche mir den hohen Schuhen nicht in Pfützen zu treten, die sich beim letzten Regenschauer auf dem Bordstein gesammelt haben. Irgendwo spielt Musik, Autos hupen und Touris knipsen Fotos. In der U-Bahn ist es auch knacke voll und bei den vielen Gerüchen, die sich in den Tunneln mischen, steigt mir Galle auf.
Ich kann es mir gerade so verkneifen, stürme bei meiner Haltestelle aus dem Wagen und eile die Treppen hinauf an die frische Luft. Einatmend biege ich in meinen Block ab. Hier sieht es, im Vergleich zu den schicken Vierteln, deutlich kontrastreicher aus. Mülltonnen, Schmutz und kleine mit Graffiti besprühte Shops. Delis, auf dessen Stühlen Menschen rauchen und laut miteinander sprechen. Harlem ist anders als die schicke Gegend in der Kim lebt. Harlem ist bunter, lauter und heimischer als die strickt, monotonen Millionärs Wohnblöcke auf der Upper East Side und in Greenwich Village.
Downtown und Uptown kann man kaum vergleichen.
Hier werden die Straßen von typisch roten New Yorker Backsteinhäusern gesäumt. Wenige Bäume, dafür viele Autos und Mülltonnen. Angesprühte Fassaden, Maschendrahtzäune und in die Jahre gekommene Spielplätze. Hier ist der Beton rissig und mit flicken übersäht, leerstehende Läden werden beschmiert und kaputt gemacht. Doch hier fühlt es sich Straße für Straße an wie eine Gemeinschaft. Ich glaube, weil die Menschen die hier Leben wissen, wie es ist, nicht viel zu haben. Und sie sind glücklich, mit dem was sie haben. Gangs und Kleinkriminelle treiben oft ihr Unwesen in den Straßen, aber das gibt es auch in reicheren Gegenden. Ich fühle mich hier recht sicher. Zumindest bis jetzt.

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt