46

1.4K 114 5
                                    

STELLA

Vorhin bin ich Dario fast um den Hals gefallen, als er mit Kim im Schlepptau vor dem Haus der Benellis gewartet hat und wir zusammen in unsere Wohnung gefahren sind. Den ganzen Weg über habe ich die regen Worte meiner besten Freundin genossen, mit denen sie mich besudelt hat. Das Lächeln ist mir nicht einmal von den Lippen gewichen.
Im Haus der Gambinos putzte gerade ein Trupp das Erdgeschoss, als wir ankamen. Ich habe niemanden von Darios Familie auf dem Weg gesehen. Weder sein Vater noch seine Mutter. Ob Marisa überhaupt etwas von dem Angriff mitbekommen hat?

»Habt ihr Knoblauch?«, reißt Kim mich aus meinen Gedanken. Mein Gesicht versinkt in meiner Handfläche. Mit dem Ellenbogen auf die Kochinsel gestützt, sitze ich gegenüber der Herdplatte und schaue zu, wie sie ihre heißgeliebte Shrimp Pasta für uns kocht. Dario reicht ihr ein Gewürzglas. Vorhin noch wollte er verschwinden und uns beide allein lassen aber wir haben darauf bestanden, dass er bleibt. Er versteht sich erstaunlich gut mit Kim, was ich zu Beginn nicht gedacht hätte. Natürlich freut mich das ungemein. Seit dem Tod seines Onkels, ist mir eine große Last von den Schultern gefallen und der Kloß in meinem Hals endlich etwas verdrängt. Ich hoffe, die Ruhe hält etwas an, auch wenn ich mich noch immer nicht hundert Prozent sicher fühle. Aber wer tut das schon?
»Wie läuft es auf der Arbeit?«, frage ich meine beste Freundin, die mir ein Brett mit Zitronen zuschiebt. Ich schiebe die Ärmel des mir viel zu großen Hoodies hinauf, um sie nicht nasszumachen und schnappe mir das Küchenmesser. Die Journalistin seufzt in der Pfanne stochernd. »Mein Chef ist noch immer versessen auf ... du weißt schon«, murmelt sie und nickt heimlich auf Dario, der sich in diesem Moment umdreht und uns fragende Blicke zuwirft. »Mich?«
Kim lacht etwas zu überschwänglich, als dass es glaubhaft rüberkommen würde. »Nein ... ich ... also ... ja«, gibt sie lippenbeißend zu. Dario lehnt sich mit der Hüfte gegen die Kochinsel und wirft ihr einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. »Dante hat mir ein paar deiner Artikel geschickt«, klärt er sie auf. Kims Augen weiten sich und ich muss leise in mich hineinlachen. Sie denkt vermutlich, er würde ihr gleich den Kopf abreißen.
»Da kann ich erklären!«, beteuert sie sofort. »Ach ja? Wie genau? Du nennst uns nicht einmal eine „Gefahr für die Stadt"«, wiederholt er seine Worte. Kim schluckt und hebt die Hände abwehrend. Bevor sie sich um Kopf und Kragen redet, mische ich mich ein. »Erzähl ihm doch einfach die Wahrheit, Kim.«

Ich schiebe meiner besten Freundin die aufgeschnittenen Zitronen zu, die sie sofort hektisch greift und versucht sich irgendwie abzulenken. Dabei ist sie schrecklich nervös. Dario wirft mir einen verwirrten Blick zu, weil sie nicht mit der Sprache rausrückt. Also hole ich Luft und stützte das Kinn wieder in die Hand. »Lillian war auch mal dort angestellt, das weißt du doch, oder?«, frage ich den Italiener. Er nickt und das Fragezeichen auf seiner Stirn wächst weiter. » Seit herausgekommen ist, dass sie mit Santino verkehrt und ihn geheiratet hat, ist Kims Chef ist total irre und zwingt sie diese Artikel zu verfassen.«
»Genau«, nuschelt die Journalistin verzweifelt. »Der hat so eine unheimliche Pinnwand in seinem Büro auf der ihre alle mit Fotos angepinnt seid. Jeder Artikel, einfach alles. Jedes noch so kleines Detail.«
Darios Augen verändern sich von verwirrt zu besorgt. Sie verdunkeln sich wie die Stadt unter der dicken Wolkendecke. Ich wünschte ich wüsste, was gerade in seinem Kopf vorgeht, doch das verwehrt er mir.
»Kannst du nicht mit Dante da mal auftauchen?«, schlage ich vor, auch wenn ich weiß, wie riskant und dumm es sein mag. Kim reißt sofort den Kopf hoch und nickt. »Ja!«, bringt sie begeistert hervor. »Der Job ist echt gut bezahlt und ich kann nicht kündigen. Wenn ihr ihn einfach ein bisschen einschüchtert damit er mich nicht mehr zwingt, darüber zu schreiben, wäre das toll. Echt, ich wäre euch so dankbar.«
Dario schnappt sich einen Shrimp aus der Pfanne und zuckt mit den Schultern. Genau in der gleichen Sekunde springt Kim wie ein aufgedrehtes Huhn auf und ab und fällt ihm überschwänglich um den Hals. Ich schlage mir die Hände vor den Mund, um nicht laut aufzulachen. Dario schaut alles andere als begeistert aus und versucht mit grimmigen Gesicht sie wegzuschieben. »Fuck. Schon gut, ich sehe mal was sich einrichten lässt«, knurrt er. Gott, er sieht aus, als würde er am liebsten jemanden umbringen. Kim drückt ihm einen Kuss auf die Wange und als er sich zu mir dreht und ich den roten Abdruck ihres Lippenstifts auf seiner Wange sehe, hält mich nichts mehr und das Lachen sprudelt einfach aus mir raus.
Ich strecke meinen Finger aus, reibe meinen Daumen über seine Wange und befreie ihn von dem roten Fleck, bevor er ebenso rot anläuft.
»Kocht ihr mal weiter«, murmelt er schließlich. »Ich werde noch kurz was erledigen. Dante bringt dich dann nachhause«, lässt er sie wissen. Nachdenklich schaue ich ihn an. Grün trifft braun. Seine Iriden werden sofort sanfter und tiefer, als er mich anschaut. »Mach dir keinen Kopf, micina«, raunt er mir zu und presst seine Lippen auf meine Haare. »Bis später.«
»Ja, bis später!«, ruft Kim ihm nach und er verschwindet aus der Tür. Ich sehe noch eine Weile zum Türrahmen, durch den er verschwunden ist. Erst als meine beste Freundin sich räuspert, richte ich meine Aufmerksamkeit zurück auf sie. »Was?«
Sie presst ihre Lippen schmunzelnd aufeinander und schüttelt schnell den Kopf. »Nichts«, beteuert sie, kann sich dennoch kein grinsen verkneifen. Ich werfe sie mit einer zerbrochenen Spagetti ab, die wir nicht gekocht haben. Kim beginnt laut zu lachen und ich steige mit ein.
Seit langem, ist der Abend mal wieder so wie es früher war. Unbeschwert, frei. Und ich genieße jede Sekunde davon.

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt