STELLA
Ich glaube, ich habe noch nie so gut geschlafen wie letzte Nacht. Mein Körper hat sich an die Matratze geschmiegt wie in eine Wolke. Die warme Federbettdecke, das kuschelweiche Kopfkissen und die umwerfende Aussicht von hier oben. Ich musste zwei Minuten auf die Skyline schauen, um zu realisieren, dass es kein Traum gewesen ist. Nachdem ich den ersten Anfall von Übelkeit besiegt habe, bin ich unter die großzügig Regenwalddusche gestiegen. Frisch getrocknet, nach Shampoo duftend, in einem mir viel zu großen Sweater und einer Leggings steckend, verlasse ich mein Zimmer. Bis jetzt habe ich mein Gepäck kaum angerührt und nur ein paar Kleidungsstücke hinausgenommen. Die paar Kisten mit meinem Hab und Gut, stehen noch unbeachtet in der Ecke. Vielleicht nehme ich mich dem nachher an. Die Übelkeit nimmt von Tag zu Tag mehr ab und hinterlässt ein großes Loch in meinem Magen, dass ich dringend stopfen muss. Die Treppe hinab gelange ich durch den Flur ins große Wohnzimmer. Ich biege an der Kochinsel vorbei in die Küche ab und suche nach dem Kühlschrank, der sich hinter einer der schwarzen Fronten verstecken muss. Leider habe ich mir nicht gemerkt, wo er war, da ich gestern Abend schon so müde war. Nach dem Essen lag ich eine gefühlte Ewigkeit wach im Bett und konnte dennoch nicht einschlafen.
Mein leerer Magen dankt es mir, dass ich ihn schnell finde und mich bediene. Mit einem Glas Orangensaft und einer Schüssel Müsli steuere ich auf das Sofa zu und schütte beides fast über mein Pullover, als ich eine Hand an der Sofalehne entdecke. Ein kleines Kreischen kann ich mir dennoch nicht verkneifen. Mein Herz rast verdammt schnell.
»Fuck, halt die Klappe«, brummt der, zu dem die Hand gehört, stöhnt auf dem Sofa liegend auf. Ich umrunde es, beäuge den dunkelhaarigen Italiener, der auf dem Bauch in den Polstern liegt. »Was tust du hier?«
»Das ist meine Wohnung!«, stellt er in die Kissen knurrend klar. Ich sinke mit meinem Frühstück in der Hand auf den Sessel ihm schräg gegenüber und schiebe den Orangensaft auf den gläsernen Beistelltisch. Mein Müsli löffelnd, mustere ich sein erscheinen. Er trägt noch das gleiche wie gestern Abend. Das schwarze Hemd, die schicke Hose, die Uhr. Nicht mal seine Schuhe hat er sich ausgezogen. »Ich meine, was du hier auf der Couch tust, wenn du ein Schlafzimmer hast«, korrigiere ich mich. Dario öffnet seine Augen minimal und starrt mich verkniffen aus ihnen an. »Wie spät ist es?«
»Zehn.«
Stöhnend rafft er sich auf und stützt die Ellenbogen auf die Knie. Sein Gesicht fällt ihm in die Hände, die Haare hängen ihm verwuschelt in der Stirn. Schluckend muss ich mir eingestehen, dass er so verdammt heiß ausschaut, selbst so. Wie kann ich diese Gedanken nur unterbinden? Es ist, als hätte ich meinen eigenen Kopf nicht mehr unter Kontrolle.
»Ich war Pokern und irgendwie ... fuck ich war erst vier Uhr wieder da.«
»Hast du wenigstens gewonnen?«
Blinzelnd schaut Dario mich an und reibt sich übers Gesicht. Er fällt rückwärts in die Kissen. »Ich glaub ich hab zu viel getrunken gestern. Hast du noch jemanden hier gesehen?« Er scannt seine Umgebung mit großen Augen ab. Kopfschüttelnd verneine ich seine Worte mit vollem Mund, spüle mit Orangensaft nach, bevor ich ihm antworte. »Nein, wen denn?«
»Ach nicht so wichtig«, winkt er ab Meine Stirn legt sich in filigrane Fältchen. »Eine Frau?«, bohre ich weiter nach. Er schnaubt. »Scheiße nein, ich rede von dem Vollpfosten, der für mich arbeitet.«
»Ist das der gleiche, der meine beste Freundin im Krankenhaus bewacht?«Seine Augenbrauen zucken überrascht in die Höhe. Wenn er denkt das ich nicht checke was hier passiert, muss er glauben ich wäre blöd.
»Hat deine kleine Freundin geplaudert?«
»Kim? Nein. Auf dem Display deines Telefons stand der Name, als ich mit ihr telefoniert habe. Dante glaube ich.«
»Mhm. Und der war wirklich nicht hier?«
»Nein.«
»Gut.« Seine Augen wandern zu meinem Müsli. »Gib mir auch was.«
»Nimm dir deine eigene Schüssel.«Ächzend erhebt Dario sich vom Sofa und macht vier Schritte auf mich zu. Mit den Händen stützt er sich auf den Armlehnen des Sessels ab, beugt sich über mich. Ein Schwung des Alkoholgeruchs, der an ihm haftet, löst sofort wieder das mulmige Gefühl in meinem Magen aus, dass ich nach dem Aufstehen hatte. »Du stinkst«, mache ich ihm mit gerümpfter Nase klar. Er grinst verschlafen auf mich hinab. »Gib mir was.« Seine Stimme klingt rauer als sonst, was das Prickeln in meinem Körper südlicher wandern lässt. Er hat mich eingekesselt, lässt mir keinen Platz mehr, um auszuweichen. Der Hals wird mir ganz trocken, bei seinem Anblick. Das Hemd knittrig und verrutscht, die Haare kreuz und quer auf der Stirn. Der starke Geruch nach Alkohol, lässt mich unverkennbar wissen, dass er eine heitere Nacht gehabt haben muss beim Pokern.
Darios dunkle Iriden graben sich so tief in meine, dass ich glatt vergesse zu atmen. Es fühlt sich an, als hätten sie die Fähigkeit mich zu kontrollieren. Ich lehne mich zurück, doch er verringert den eben noch großen Abstand zwischen uns wieder aufs minimale. Um seinen Hals baumelt eine Kette, dessen goldener Anhänger dicht vor meinem Gesicht schwebt. »Ich dachte, ihr seid alle gläubig«, gestehe ich das nach unten hängende Kreuz beobachtend. Darios Augen folgen den meinen hinab. »Das ist das Zeichen meiner Familie, micina«, erklärt er mir leise. Sein Gesicht kommt mir immer näher. Ich bin so perplex über die plötzliche Nähe, dass ich wie festgefroren dasitze. Ich spüre die Wärme seines Körpers, der so dicht vor dem meinen ist, wie lang nicht mehr. Auch wenn ich nicht stehe, werden mir die Knie weich.
Den Moment, als ich es endlich schaffe, mich zu rühren, und den Löffel mit Müsli zu füllen, nutzt er um sich herabzubeugen und ihn bevor er meinen Mund erreicht leer zu essen. »Hey!«
Er kommentiert meine Beschwerde mit einem Lachen, überwindet die letzten Zentimeter und drückt seine mit Milch benetzten Lippen auf meine Wange. »Danke für das Frühstück, micina«, raunt er mir ins Ohr. In der gleichen Sekunde stößt er sich vom Sessel ab und schlendert aus dem Zimmer. Mich lässt er baff zurück. Mit offenem Mund schaue ich ihm nach, nicht fähig etwas zu sagen. Das war unerhört. Er hat einfach mein Frühstück gegessen!Selbst einige Stunden später bin ich noch nicht darüber hinweg. Dario ist, nachdem das Geräusch der Dusche versiegt war, in einem Zimmer hier unten verschwunden. Seitdem habe ich ihn nicht wieder zu Gesicht bekommen. Ich will ihn nicht bei der Arbeit stören, auch wenn ich mich langweile. Mein Körper allerdings ist dankbar darüber, dass ich zurück in mein Zimmer gehe und mich mit einer der Kisten auf dem Bett niederlasse. Er ist noch immer angekratzt von dem Anschlag im Restaurant. Mein Rücken schmerzt noch so wie im Krankenhaus und auch mein Kopf ist noch nicht der alte. Auf der Küchentheke lagen Tabletten für mich, die mir der Arzt gestern verschrieben hat. Ich soll sie nehmen, wenn ich Kopfschmerzen bekomme. Höchstens drei pro Tag. Es ist jetzt das erste Mal, dass ich sie genommen habe.
In der Kiste wühlend, grüble ich darüber nach, was im Restaurant passiert ist. Seitdem ich im Krankenhaus aufgewacht bin, versuche ich mich daran zu erinnern, was kurz vor der Explosion passiert ist. Der Arzt hat es Amnesie oder Trauma Verdrängung genannt. Das letzte, was ich noch weiß ist das ein Kellner uns unsere Drinks gebracht hat. Das nächste, an das ich mich erinnern kann ist das Zimmer, in dem ich aufgewacht bin. Mein gebrochener Arm und die Schrammen werden mich noch einige Zeit daran erinnern, vermute ich. Es ist nicht einfach, sowas zu vergessen, gar die Narben davon. Bis sie verblasst sind, wird eine lange Zeit vergehen, wenn sie das je tun.In der Kiste voller Kleidung und Dingen, die auf meinem Nachttisch standen, fällt mir ein brauner Bilderrahmen in die Hände. Mit den Händen den Stoff eines Seidenschals fortstreifend, hebe ich ihn heraus. Mein Herz pocht wehmütig bei dem Anblick des Fotos in meiner Brust. Es bildet Kim und mich bei einer Geburtstagsparty ab. Wir stehen mit Drinks in den Händen dicht beieinander, stecken in schicken Cocktailkleidern. Das war etwa vor einem Jahr auf dem Wolkenkratzer, den ihre Familie hier besitzt. Hinter dem Rand der großen Dachterrasse zeichnet sich das Empire State Building beleuchtet ab, der Himmel schimmert in den tollsten orange und rot Tönen. Ich erinnere mich gern an den Abend zurück. Das Dario es eingepackt hat, rechne ich ihm hoch an. Mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen, platziere ich es auf meinem Nachttisch. Meine Finger streichen das Glas ein letztes Mal, dann entscheide ich mich dafür, wieder hinunterzugehen. Mir ist schrecklich Langweilig. Soll ich es wagen und Dario stören?
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King of New York | 18+
RomanceNach einer heißen Nacht mit einem Fremden auf einer Party in New York City, muss Stella feststellen, dass der Fremde ihr ein Geschenk hinterlassen hat, welches in neun Monaten das Licht der Welt erblicken wird. Als sie kurz darauf fast attackiert wi...