DARIO
Luciano sitzt wie ein König in der Villa seines verstorbenen Vaters. Auf dessen Stuhl, mit dessen Whisky, mit ähnlichen Gesichtszügen.
»Was führt euch in mein bescheidenes Reich?«
Mit Bescheidenheit ist dieser Palast sicher nicht übersäht. Überall Stuck, goldene Knaufe und Handgriffe, teure Gemälde und langen Teppiche, die den frisch gewachsten Parkettboden schützen. Eigentlich sollte es so ausschauen, meine ich. Denn überall verdecken Plastikplanen und Malerflies die Böden und Möbel. »Du lässt renovieren?«
»Instandhaltung oder Kernsanierung, wie man es nennen mag. Der Geist meines Vaters befindet sich noch in diesen Räumen und den muss ich loswerden. Nächste Woche räuchert mir eine dieser mexikanischen Hexen die Bude aus, damit er sich in die Hölle verpisst und mich nicht heimsucht.« Er kräuselt die Nase, blickt sich angewidert um, bevor seine Augen wieder neutral auf mich fallen. »Und du? Hast du deinen Hund mitgebracht?«, hakt er gespielt unschuldig nach. Dante macht einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu. Ich kann ihm gerade noch so den Arm vor den Oberkörper schlagen, damit er gefälligst stehenbleibt. Ich lasse ihm einen Blick zukommen, der ihn auf der Stelle verharren lässt. Er brummt etwas leise auf Italienisch, was ich durch die Bauarbeiten in der Villa nicht verstehe. Überall bohrt und hämmert jemand. Fuck, wie hält der das hier nur aus?»Ich dachte nicht, dass deine erste Amtshandlung als neues Oberhaupt der Vallians die Sanierung auf Kosten des Familienvermögens ist«, gebe ich zu. Der blondhaarige lacht kalt und schüttelt den Kopf. Er schwenkt sein Whiskyglas in der Luft herum, bevor er es an seine Lippen führt und daran nippt. »War es auch nicht, Dario. Zuerst habe ich sichergestellt, dass unser Gebiet unter unserer Aufsicht ist und sich nicht die anderen Familien darin rumtreiben.«
»Wir haben es gegen die Iren verteidigt und haben uns nicht darin rumgetrieben«, wendet Santino auf dem Sessel neben mir ein. Luciano verdreht die Augen. Der Boden seines Glases kommt laut auf dem kleinen Beistelltisch auf. »Wir wissen alle genau, dass ihr dabei wart, mein Gebiet unter euch aufzuteilen. Auch du, Santino. Ehrlich, vermutlich hätte ich an deiner Stelle nichts zu mir gesagt.«
»Wir sind keine Feinde, Luciano. Ich habe dir damals geholfen dein Leben zu schonen und dabei das meiner Frau riskiert. Etwas Dankbarkeit wäre angebracht«, erinnert er ihn zornig. Ich kann es ihm nicht übelnehmen. Seine Gefühle in Bezug auf Lillian, sind gerechtfertigt. Er hätte sie fast durch Julian Vallian verloren. Vielleicht wäre das nicht passiert, wäre Luciano nie gegangen und hätte sein Vater nie Santinos Onkel umgebracht.
»Das bin ich auch, Kumpel. Ihr müsst nur verstehen, wie das aussah, als ich dazustieß. Die Bosse hatten das schon beschlossen. Wäre ich nicht noch aufgetaucht, hätte ich jetzt nichts mehr, was mein Vater besaß.«
Daran habe ich nichts auszusetzen. In der Tat wäre es so gewesen. Könnte es jetzt immer noch sein, hätte Luciano sich nicht bewiesen. Die, die ihn die letzten Wochen über im Blick hatten, haben uns bestätigt, dass er das Zeug zum Anführer hat. Jetzt darf er sich das nur nicht vermasseln lassen. Der schwerste Part dieses Jobs ist, seine Männer in Schach zu halten. Nicht alle werden ihm folgen und die muss er beseitigen. Wenn er es schafft sich vor ihnen zu beweisen und ihnen zeigen, dass sie ihm vertrauen können, so wie sie es bei seinem Vater taten, wird er es schaffen, seine Familie wieder aufzubauen.
»Verratet ihr mir endlich wieso ihr wirklich hier seid? Kaufe euch nicht ab, dass ihr nur nach mir sehen wolltet. Das will keiner.«
Mein Mundwinkel zuckt bei seinen spöttischen Worten. Er macht keinen Hehl aus dem, was er denkt. Ich mag diese Ehrlichkeit, auch wenn ich ihm am liebsten immer noch die Fresse polieren würde, dafür, dass er uns die letzten Jahre im Glauben hat lassen, dass er tot ist. Mistkerl.Ich straffe meine Schultern, neige mich nach vorn, um mir eines der Schnapsgläser zu greifen, die er uns angeboten hat. Mit einem großzügigen Schluck leere ich es und setze es wieder auf den Beistelltisch. »Dein Vater hat mit einem gewissen Greenwich Geschäfte gemacht. Sagt der Name dir etwas?«, frage ich ihn. Einen Moment denkt er sichtlich nach. Die tiefen furchen auf seiner Stirn werden nicht glatter. Schließlich schüttelt er den Kopf. »Nein, wieso?«
Santino wirft mir einen Blick zu, den ich erwidere. Luciano hat also keine Ahnung?
»Sicher?«, vergewissert Benelli sich bei ihm. Vallian nickt erneut. »Ich habe keinen blassen Schimmer von den Geschäften meines Vaters. Er hat mir nie Einblicke gewährt oder ein Detail mit mir geteilt. Aber wenn das euch so wichtig ist, werde ich einen der Männer Fragen, die jahrelang mit ihm gearbeitet haben«, versichert er uns. Er scheint über diese Entwicklung nicht gerade erfreut. Sein Kiefer zuckt und er atmet angestrengt aus. Er versucht uns zu verheimlichen, wie sehr ihm das missfällt. Aber es scheint nicht wegen unserer Frage zu sein, sondern wegen der Person, die er im Kopf haben muss. Ich hake nicht weiter nach und bin einfach froh, dass er keine Probleme macht. Vielleicht finden wir so heraus, woher mein Onkel diesen Greenwich kannte. Mag sein, dass Julian da seine Finger mit im Spiel hatte. Mal sehen, was Luciano herausfinden kann. Hoffentlich irgendwas, was uns hilft.
Auch wenn diese Frage noch immer nicht geklärt ist, klingt die Unruhe in mir ab. Zu wissen, dass der Hauptakteur nun tot ist und niemand sonst Anstalten gemacht hat, Stella zu schaden, zeigt mir, dass es erstmal vorüber sein muss. Natürlich schwingt da immer noch diese gewisse Unsicherheit und das Misstrauen mit, welches ich vermutlich für den Rest meines Lebens mit mir tragen werde. Mein Magen verknotet sich bei dem Gedanken, dass es bald jemanden geben wird, dessen tot mich innerlich zerfetzen würde. Ich könnte nicht mehr leben, sollte es irgendwann so weit kommen. Fuck. Wie macht Santino das nur?Ich sehe meinen Freund an und lese in seinen Augen ab, dass er verschwinden will. Wir haben alles Mögliche getan und Luciano scheint nicht so unfähig wie die anderen Oberhäupter annehmen. Dante erzählte mir, dass Vallians Gebiet wieder sicher wäre. Wie er sich so schnell Respekt verschafft hat, ist mir ein Rätsel. Nun ja, vielleicht ist er auch nur ein guter Schauspieler, der weiß, wie man spielt.
»Sobald du Infos hast, kannst du ins Casino kommen. Wir sind jeden Donnerstag da und pokern.« Ich erhebe mich als erster aus dem Leder und richte mein Oberteil. Während die anderen das Zimmer verlassen, schaue ich ein letztes Mal auf Luciano herab. »Dein Stuhl ist noch frei, also sei pünktlich«, weise ich ihn an. Lucianos Lippen schmückt ein dunkles Lächeln. »Wie immer, danke.«
Ich nicke, platziere den goldenen Pokerchip auf dem dunklen Holz des Tisches und verschwinde. Seine Eintrittskarte hat er, jetzt muss er nur noch Infos haben, und meinem Angebot nachkommen. Vielleicht können unsere Spielabende dann wieder so wie früher werden.
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King of New York | 18+
RomanceNach einer heißen Nacht mit einem Fremden auf einer Party in New York City, muss Stella feststellen, dass der Fremde ihr ein Geschenk hinterlassen hat, welches in neun Monaten das Licht der Welt erblicken wird. Als sie kurz darauf fast attackiert wi...