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DARIO

Erbost über mich selbst, schlage ich kopflos auf den Boxsack ein, der im Boxclub in Little Italy von der Decke baumelt. Rapmusik dröhnt mir in den Ohren, knipst mein rationales Denken aus, wie ein Schalter eine Lampe. Meine Fäuste gehen auf das Leder des Sacks nieder. In meinem Kopf herrscht Chaos, von dem ich nicht weiß, wie ich es wieder bekämpfen soll. Seit Stunden schlage ich mir hier die Seele aus dem Leib. Man könnte meinen, nach der Abreibung, die ich Bobby im Club erteilt habe, hätte ich genug, aber das, was danach geschehen ist, hat meine Wut erst richtig angestachelt. Nun ist sie wie ein ungebändigter Feuersturm, der auf seinem Weg zum Ziel alles mit sich reißt, was ihm in die Quere kommt.
Fuck, wie konnte das passieren!

Ich bin jedes verfickte Mal vorsichtig, lasse kaum jemanden an mich heran, schon gar nicht zweimal. Das gibt genug Leuten nur Gelegenheiten, um mich zu hintergehen. Nur einmal habe ich meine fucking Regel gebrochen, mich besoffen und sie ohne Gummi gefickt. Ausgerechnet sie.
Jetzt habe ich die Quittung dafür bekommen. Mit dieser Tat muss ich für den Rest meines Lebens klarkommen. Egal, was passieren wird. Das, was geschehen ist, kann ich nicht rückgängig machen oder unter den Tisch kehren. Sowas kann man nicht ignorieren.
Natürlich werde ich nicht dumm sein und einen Vaterschaftstest machen, sobald dieses Kind auf der Welt ist. Bis dahin, werde ich mich wohl mit dem Glauben arrangieren müssen, dass sie mich nicht anlügt und das Ding in ihr tatsächlich zur Hälfte aus mir besteht. Scheiße.

»Schalt mal nen Gang zurück, Rio. Hab dich überall gesucht und du schlägst dir hier das Hirn aus der Birne?« Dante schlendert in den düsteren Boxclub und lässt die Eingangstür lautstark hinter sich ins Schloss fallen. Sperrt so die Laute der Kneipe aus, die sich im vorderen Teil befindet. Der Club im Herzen Little Italys ist legendär. Mohamad Ali hat in diesen Hallen gekämpft, hier haben Größen trainiert, von denen man an jeder Ecke zu hören bekommt. Die Wände sind gepflastert mit gerahmten Bildern vergangenen Zeiten, beherbergen jedes ein Stück Geschichte hinter dem Glas verborgen. Als Kind bin ich hier mit meinem Vater ein und aus gegangen. Ich erinnere mich an hunderte Nächte, in denen ich vorn am Tresen saß und die Männer beobachtet habe, die hier kamen und gingen. Ich kannte sie alle. Boxer, Politiker, Beamte, Geschäftsleute. Jede Größe seiner Zeit, ist hier irgendwo auf einem Bild zu finden. Vorn neben der Bar, hängt ein Bild von meinem Großvater und JFK, welches hier in diesem Raum fotografiert wurde, lange vor meiner Zeit. Beide hat das gleiche Schicksal ereilt.
»Hallo? Sprichst du jetzt nicht mehr mit mir?« Dante lehnt sich rückwärts in die Bande des Rings und verfolgt mich mit seinen Augen. Schnaufend umrunde ich den schwingenden Boxsack, ducke mich ab, boxe dagegen. Immer und immer wieder. Der Scheißt perlt mir bereits über die Haut. Tropfen rinnen über meine Tätowierungen. Bei jedem kleinen Zucken, schwingt die goldene Kette um meinen Hals mit. Der Anhänger mit dem nach unten hängenden Kreuz, glänzt im künstlichen Licht der Neonröhren.
»Dario?«
»Bist du hergekommen um mich vollzuquatschen?«, frage ich keuchend und nicke auf den Sack. Mein bester Freund stößt sich seufzend von den Seilen ab, hält den Boxsack, auf den ich eintrümmere. Die Schläge hallen an den Wänden wider, durchbrechen den schnellen Rhythmus des Songs, der spielt. »Was war das vorhin? Wo warst du mit der kleinen?«
Als er merkt, dass ich nicht antworte, fährt er fort. »Giacomo meinte ihr-«
»Wir was?«, reiße ich meinen Blick vom Leder zu seinem Gesicht weg. »Er hat geplaudert? Vielleicht hat er Lust, den Platz dieses Boxsacks einzunehmen«, schnauze ich. Was geht es ihn an? Er sollte sich um andere Dinge scheren und nicht darum, wo wir wahren. Und Giaco? Der kann sich ins Knie ficken. Anscheinend muss ich ihn daran erinnern, dass er schweigen muss, wenn wir irgendwo hinfahren, was ihn nichts angeht. Es gibt genug Ratten in den Reihen der New Yorker Familien und er muss diese nicht noch mit seinem Geschwätz füttern. Sonst ist er seinen Capo Stand schnell los, samt all den Privilegien, die er dadurch genießt.
»Er hat mir nichts gesagt. Nur, dass er euch zu nem Hochhaus gefahren hat. Was wollte die Kleine von dir?«
»Trägst du ein Mikro, oder wieso bist du so verdammt Neugierig?«
»Fick dich, Dario!«

Ohne zu zögern, packe ich meinen besten Freund am Kragen seines Hemds und schleudere ihn an die nahestehendes Wand. Meine Bandagierte Fast ramme ich neben ihn in den Beton. »Fick du dich, verdammter Penner! Sie ist schwanger, okay? Ich hab sie gefickt und jetzt kreuzt sie hier auf und behauptet, das Balg wäre von mir!«
Dante entgleisen alle Gesichtszüge, so wie mir als ich das erste Mal davon hörte. »Was?« Er stößt ein bitteres Lachen aus. »Ist sie lebensmüde? Sie lügt doch, oder?«
Schweigend lasse ich von ihm ab und kehre ihm den Rücken. Ich steuere auf die Bank neben dem Ring zu, auf dem meine Sachen liegen. Mürrisch sinke ich auf die knarzende Bank und beginne, meine Bandagen zu lösen. Im Augenwinkel sehe ich, wie Dante sein Hemd richtet und langsam auf mich zukommt. »Dario? Sie lügt doch, oder?«, hinterfragt er. Schulterzuckend feuere ich das weiße Stück Bandage auf den Boden. Meine Fingerknöchel sind trotz allem knallrot. Gierig schnappe ich mir eine Flasche Wasser und stürze mir das kühle Nass die trockene Kehle herunter. Gott, hatte ich einen Durst.
Dante geht fassungslos vor mir in die Knie. »Du glaubst ihr?«
»Fuck, ich weiß gar nicht, was ich überhaupt glauben soll«, gestehe ich und fahre mir durch meine schweißnassen Haare. Ich brauche dringend eine Dusche.
»Könnte da was dran sein?«
»Ja«, gebe ich äußerst ungern zu. »Der eine Abend an dem ich besoffen war. Weißt schon wann«, erzähle ich leise, »da hab ich sie gefickt. Einfach so, ohne daran zu denken, was passieren könnte.«
Dante schnaubt fassungslos über meine Worte. »Große Scheiße, das weißt du hoffentlich, oder? Wenn dein Vater-«
»Wird er aber nicht«, fahre ich ihm bissig über den Mund. »Du hältst deine Klappe«, mache ich ihm klar, zeige drohend mit dem Finger auf ihn. »Wenn nicht, poliere ich dir die Fresse, Dante.«

Er hebt abwehrend seine Hände. Ein Zeichen, dass er kapiert hat, dass ich es ernst meine. Gut so. Scheiße, ich weiß ja selbst nicht, wie es jetzt weitergehen soll, mit all den Problemen, die sich am Horizont anbahnen.
»Ich ... ach scheiße«, fluche ich das Gesicht in den Händen vergrabend. Wahrheit ist, ich bin verzweifelt. Würde ich das zugeben? Nein. Niemals. »Ich muss das überdenken. Wichtig ist nur, dass niemand, und ich meine wirklich niemand, dass mitbekommt. Verstehst du das Dante? Niemand darf davon wissen. Wenn das herauskommt, stecken wir bald in noch größeren Schwierigkeiten«, raune ich ihm eindringlich zu. Ihm tief in die Augen sehend, sehe ich in seiner Seele, dass er weiß, was ich meine. Sein nicken unterstreicht dies nur. Er erhebt sich, reicht mir seine Hand und hilft mir auf. Dankend habe ich die Hand meines besten Freundes angenommen. Mir auf die Schulter klopfend, tritt er näher. »Du kannst dich auf mich verlassen. Wie immer.«

King of New York | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt