Was bildete der Idiot sich ein? Anstatt ihr Kleidung zu geben, war er aus heiterem Himmel ohne eine Erklärung abzugeben abgehauen. Inola lief wutschnaubend in seinem Quartier herum, das er großspurig auch als das Ihre bezeichnet hatte. Vorausgesetzt, sie hielt sich an seine durchgeknallten Regeln.
„Also, die erste Regel lautet: Du darfst dich nur auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin wandeln", äffte sie seine Stimme nach. Der hatte sie doch nicht mehr alle. Ihr eiskalt zu verbieten, ihre Pantherform anzunehmen. Das Tier fühlte sich jetzt schon eingesperrt. Wie sollte das erst werden, wenn sie Tage oder Wochen in ihrer humanoiden Form herumlaufen musste?
Die zweite Regel empfand sie fast als noch lächerlicher. „Du wirst dich keinem der Männer an Bord nochmals nackt zeigen und sie erst recht nicht bezirzen. Auf einen minderwertigen Kenmerer-Basterianer-Hybriden können wir verzichten", wiederholte sie spöttisch das Gesagte. Wie kam er auf minderwertig? Wohl wegen des Kenmererbluts. Außerdem sollte er sich nicht so anstellen. Da die verflixte Drohne leider von den Leoparden stammte, hatten sie mehr als genug Nacktaufnahmen von ihr und Shiye.
„Die dritte Regel: Du widersprichst mir nicht und unterwirfst dich mir zu jedem Zeitpunkt." Okay, der hatte wirklich eine Schraube locker, wie ihre Mutter zu sagen pflegte. Hörte der sich eigentlich mal selber sprechen? Da kam doch nix Sinniges bei heraus. Wenn er auf respektvolles Verhalten ihrerseits hoffte, sollte er sich erst einmal ihr und ihrem Bruder gegenüber anständiger benehmen. Respekt bekam man nicht geschenkt, den verdiente man sich. Und bei dem Alpha stand das Konto mit Hochachtung dick im Minus. Was für ein unerträglicher Kerl. Sie schnaubte frustriert.
„Regel Nummer vier: Du wirst mich nicht mehr angreifen und wirst mich mit Alpha ansprechen." Hä, was? Er gehörte den Kenmerern an und war ihr damit keineswegs weisungsberechtigt. Was im Übrigen all seine Regeln über den Haufen warf. Außer, wenn man den letzten Punkt bedachte. Inola zog eine Grimasse.
Nur mit Widerwillen wiederholte sie seine Worte. „Fünftens, wenn du mir nicht gehorchst und gegen eine der zuvor genannten Regeln verstößt, werde ich dafür deinen Bruder leiden lassen." Nach der Ankündigung hatte er sie völlig fassungslos zurückgelassen. Also vor wenigen Augenblicken. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, war sie aufgesprungen und hatte angefangen, im Raum auf und ab zu laufen. Dieser verflixte Leopard.
Knurrend sah sie sich um. Ein teuflisches Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Sie durfte sich zwar nicht wandeln, ihm nicht widersprechen oder ihn angreifen, aber eine Sache hatte er völlig vergessen. Gedankenverloren fuhr sie mit den Fingerspitzen über seine Habseligkeiten. Viel besaß er nicht, zumindest hatte er nicht viel auf die Reise mitgenommen – und sie bezweifelte, dass etwas darunter war, das er vermissen würde – aber ein wenig Schaden würde sie anrichten können. Als Dankeschön für die ach so freundliche Behandlung.
Auf nackten Füßen erkundete sie weiter seine Besitztümer. Die Kleidung, die sich steifer anfühlte als die ihres Volkes oder die der Chonsaner. Ein Messer, das er unvorsichtigerweise hatte liegen lassen. Die unterschiedlichen Felle, die anstelle von Bettwäsche auf dem Bett lagen. All das ließ ihr genügend Raum, um ihren Spieltrieb, wie ihr Onkel es nannte, auszuleben.
Als erstes sortierte sie die Tierfelle aus. Die ältesten unter ihnen, die nicht mehr so weich waren, flogen in eine Ecke. Der Alpha konnte sich dort ein Nest bauen. Sie würde jedenfalls nicht das Bett mit ihm teilen. Falls er das plante, konnte er es gleich vergessen. Wahrscheinlicher war allerdings, dass er darüber noch gar nicht nachgedacht hatte.
Grinsend packte sie das Messer. Der Griff schmiegte sich an ihre Hand an. Die Waffe war hervorragend ausbalanciert, würde sich dementsprechend ausgezeichnet als Wurfgeschoss eignen. Zu schade, dass sie den dämlichen Leoparden nicht töten durfte. Inola setzte es an der ersten Uniformjacke an. Es glitt mühelos durch den Stoff, schnitt ihn in regelmäßige Streifen, die sie ebenfalls in die Ecke warf. Wenn er sich damit keine weiche Unterlage basteln wollte, konnte er immer noch ein Seil knüpfen, um sich zu erhängen. Mit seinen Hosen verfuhr sie ebenso. Socken und Unterhosen warf sie mit spitzen Fingern und angewidertem Gesichtsausdruck dazu. Was Mode anging, konnte Shiye ihm einiges beibringen.
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Der Kenmerer
FantasyErwartungen, Erwartungen, Erwartungen. Diese kennt Inola zur Genüge. Ihre Eltern, ihr Lehrer und alle Bewohner ihres Planeten erwarten von ihr, dass sie als erstes Alphaweibchen seit Generationen in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Doch fragt jema...