Kapitel 31

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Als am frühen Morgen das erste Tageslicht ins Zimmer fiel, öffnete Inola verschlafen die Augen. Es war warm und behaglich im Bett. Dies war nicht zuletzt Ohitika geschuldet, der sie in seinen Armen hielt, als ob sein Leben davon abhinge. Schmunzelnd betrachtete sie seine entspannte Miene. Sein Verhalten vom Vortag hatte sie überrascht. Er wirkte verletzlicher als auf Kenmara. Lag es daran, dass sein Vater ihm alle Titel und Rechte entzogen hatte? An seinem schlechten Gewissen seiner Mutter gegenüber, weil sie noch immer in den Fängen des Alphas ausharren musste und dessen Launen ausgeliefert war? Oder hing es mit den Ängsten zusammen, die ihn nach ihrer inszenierten Entführung beschäftigt hatten? Was es auch ausgelöst hatte, er zeigte sich von einer sanfteren Seite, die nicht nur ihrer Raubkatze gefiel.

Auch ihre Mutter, die den Kenmerer in der Luft hatte zerfetzen wollen, hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm die ein oder andere Verletzung zuzufügen. Weitaus schneller als erwartet, hatte sie sich von seinen Entschuldigungen überzeugt gezeigt. Eventuell war es ihrem Raubtier geschuldet, das den Alpha als würdigen Partner für die Tochter akzeptierte. Inola zog eine Grimasse. Sie hatte nicht vor, ihre Pläne zu ändern. Reisen, fremde Planeten und Völker besuchen, statt Regierungsgeschäften und Welpen. Nur würde ihr Vater sich darauf einlassen, nachdem der erste Ausflug schon in einer Beinahe-Katastrophe geendet war?

Andererseits war eventuell der Verursacher der Probleme derjenige, der einen Ausweg bieten konnte. Wenn er sich benahm und nicht doch noch von ihrer Mutter aufgefressen wurde. Mit ihm und Osteka an ihrer Seite würde sie zwei Beschützer haben, die für ihre Sicherheit sorgten. Das könnte funktionieren. Sie lächelte zufrieden und kuschelte sich wieder an ihn. Ihre innere Raubkatze schnurrte entspannt. Sie gab zu verstehen, dass der Kenmerer ein idealer Gefährte werden könnte, wenn man geduldig mit ihm war.

„Guten Morgen, Inola." Ohitika schlug die Augen auf. Noch schläfrig hob er eine Hand, um ihr eine Strähne hinters Ohr zu streichen. Kurz bevor er sie anfassen konnte, hielt er inne. „Darf ich?"

Die Basterianerin schmunzelte. „Du hast mich die ganze Nacht festgehalten. Da werde ich dich für eine simple Berührung schon nicht fressen." Eher etwas anderes, eine Sache, nach der sich ihre Raubkatze sehnte.

„Du vielleicht nicht", brummte er. „Bei deiner Mutter bin ich mir nicht so sicher." Er seufzte leise. „Weißt du, ich habe immer geglaubt, dass dein Vater mir mehr Respekt abfordern würde. Stattdessen fürchte ich mich vor seiner Luna."

„Mama kann auch sehr furchteinflößend sein. Was meinst du, was los war, wenn wir was angestellt haben und sie es mitbekommen hat? Dann sind Shiye und ich nur noch gerannt." Ihre Ausdauer und ihre Freude am Laufen stammte aus dieser Zeit ihrer Kindheit, in der sie regelmäßig vor der schimpfenden Luna geflüchtet war.

„Du meinst, wenn du etwas angestellt und deinen Bruder mit reingezogen hast?", zog er sie auf. Er grinste sie spitzbübisch an.

„Eventuell." Sie spielte mit einer Haarsträhne. „Hast du nie etwas angestellt?"

Sein Lächeln verschwand. „Das habe ich mir schnell abgewöhnt. Mein Vater hat es nicht geduldet. Meine Mutter hat mich anfangs geschützt. Doch dann wurde sie wieder schwanger."

„Ich wusste gar nicht, dass du noch einen jüngeren Bruder oder eine Schwester hast."

„Habe ich auch nicht." Er presste die Lippen aufeinander und starrte die Wand an.

Inola bemerkte, wie er seine Kiefermuskeln anspannte. Ihre Worte hatten etwas in ihm ausgelöst. Nur was? „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht daran erinnern."

Ohitika schnaubte genervt. „Wenn ich wenigstens wüsste, was damals passiert ist." Er schüttelte bedächtig den Kopf. „Aber sie hat es mir nie erzählt. Mit der Zeit hat es mich nicht mehr interessiert. Es war mir wichtiger, was mein Vater über mich dachte." Er sprang aus dem Bett und zog sich an. „Lass uns mal frühstücken gehen."

Der KenmererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt