Die Zeit an Bord des Raumschiffs war ungewohnt, wenn man fast sein gesamtes Leben in der elterlichen Villa und im Dschungel verbracht hatte. Inolas übliche Routine wurde gehörig auf den Kopf gestellt. Schon allein, weil sie anderen Aufgaben nachzukommen hatte.
Gedankenverloren lief sie weiter einen der vielen Gänge entlang. Ihre Schritte hallten auf dem Metall wider. Untere Ebene, die zum Maschinenraum führte. Dorthin, wo sich einige Thorianer zur Beratung zurückgezogen hatten. Paviane, die sich für Technik als Schwerpunkt entschieden hatten und nun die Möglichkeit nutzen, mehr über die Maschinen der Basterianer zu lernen. Sie bog in einen weiteren Gang ein und prallte mit jemandem zusammen. Ein bekannter Geruch stieg ihr in die Nase.
„Hallo Inola. Was treibt dich hierher?" Chaske, der in Abwesenheit seines Onkels die Leitung über die Gruppe der Anuben an Bord hatte, hakte sich bei ihr unter.
„Ich wollte mit den Thorianern reden. Ohitika erwähnte, dass auf Kenmara viele Tätigkeiten noch manuell ausgeführt werden müssen, damit die Weibchen immer genug zu tun haben."
Der Schakal schüttelte missbilligend den Kopf. „Einerseits schwächen sie ihr eigenes Volk, aber dann erwarten sie, dass die Weibchen schwere Arbeiten verrichten? Wird Zeit, dass wir da aufräumen."
„Einfach wird es nicht. Der Alpha wird sich auf jeden Fall gegen uns stellen." Sie seufzte schwer. „Ich habe ihn kennengelernt. Gegen den war wohl selbst Ahiga brav."
„Und was der für ein Ungeheuer war, wissen wir von den Älteren." Er grinste sie frech an. „Aber der konnte es auch nicht mit deiner Mutter aufnehmen, daher wirst du den Anführer der Kenmerer kleinkriegen."
Sie verbesserte ihn nicht. Bidziil hatte Ahiga getötet, ihre Mutter hingegen Dezba. Ein ebensolches Scheusal wie Ohitikas Vater. Traute sie es sich zu, genauso kühl und kalkuliert die Bedrohung auszuschalten? An sich schon, und doch fühlte sich der Gedanke seltsam an, für den Tod des Alphas verantwortlich zu sein. „Noch ist es nicht so weit", murmelte sie.
„Klar, er könnte auch freiwillig den Thron räumen oder den Änderungen zustimmen. Aber glaubst du da wirklich dran? Du sagtest doch eben, dass er sich auf jeden Fall gegen uns stellen wird."
„Ich meinte damit, dass womöglich nicht ich diejenige sein werde, die ihn tötet." Lieber überließ sie diese schwerwiegende Aufgabe jemand anderem. Schon allein, um ihre Beziehung zu Ohitika nicht zu gefährden. Bis vor kurzem war er seinem Vater noch nachgeeifert. Der Schock, was für ein Monster der Alpha war, saß zu tief.
„Ich kann es dir abnehmen", bot Chaske an. „Allerdings habe ich schmerzhaft feststellen müssen, dass du die bessere Kämpferin von uns beiden bist." Er rieb sich theatralisch ächzend das Gesäß. „Oder Ohitika muss es selbst tun, aber ich weiß nicht, ob er dafür den Mumm in den Knochen hat."
Inola fuhr fauchend zu ihm herum. „Willst du damit etwa behaupten, dass mein Gefährte ein Feigling ist?"
Der Anube hob abwehrend die Hände. „Da ist ja meine kleine kämpferische Raubkatze wieder. Dachte schon, wir hätten dich unterwegs verloren." Er senkte gemächlich die Arme. „Behalte den Biss bei, dann wirst du es schaffen. Und ganz unter uns, so wie der Alpha sein eigenes Weibchen misshandelt und seinen jüngsten Sohn verstoßen hat, brauchst du mit ihm wirklich kein Mitleid haben."
Inola entspannte sich langsam. Sie zog die Krallen wieder ein und atmete tief durch. „Es geht mir nicht um den Alpha. Er verdient in meinen Augen den Tod. Aber er ist dennoch Ohitikas Vater."
Chaske klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Du wirst schon eine Lösung finden. Du hast den Kämpferwillen deiner Mutter." Er warf einen Blick auf die Uhr. „Ich sollte mich mal wieder bei meinen Leuten blicken lassen. Dein Liebster wollte nachher noch bei uns vorbeischauen. Er scheint seine Aufgabe sehr ernst zu nehmen." Er drehte sich um und marschierte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. „Bis später, Kätzchen."

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Der Kenmerer
FantasyErwartungen, Erwartungen, Erwartungen. Diese kennt Inola zur Genüge. Ihre Eltern, ihr Lehrer und alle Bewohner ihres Planeten erwarten von ihr, dass sie als erstes Alphaweibchen seit Generationen in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Doch fragt jema...