Kapitel 13

66 10 0
                                    


Den Kopf gesenkt folgte Shiye dem Mann die Treppe in einem Wohnblock für alleinstehende Kenmerer hinauf. Wenigstens kurz hatte er seine Schwester sehen dürfen, bevor er schon wieder von ihr Abschied nehmen musste. Sie schien gesund und verhielt sich gegenüber dem Alpha ungewöhnlich friedlich. Die Taktik, die sie ihm über Gedankenübertragung mitgeteilt hatte. Wie erwartet fiel der jüngste Sohn des Alphas darauf herein. Dieser verzehrte sich so nach Aufmerksamkeit, dass er es nicht durchschaute, dass Inola ihm alles vorspielte. Shiye seufzte. „Ich vermisse sie jetzt schon wieder."

„Trage es ihm bitte nicht nach. Ohitika hatte keine schöne Kindheit", verteidigte Osteka seinen Freund. „Er hat es nicht besser gelernt. Seine Vorbilder sind Rüpel."

„Das ist keine Entschuldigung dafür, dass er meine Schwester wie ein Haustier behandelt", brummte der Basterianer und ballte die Fäuste.

„Das weiß ich doch." Der Beta fasste seine Hand und strich sanft darüber. „Reg dich bitte nicht auf. Wir werden einen Weg finden."

„Und wie? Ich kann jetzt nicht einmal mehr mit ihr ..." Erschreckt schlug er eine Hand vor den Mund. Sein Herz klopfte wild. Hatte er sich verraten? Er huschte in die Wohnung im dritten Stock. Der Kenmerer schloss eilig hinter ihnen die Haustür. Panisch sah Shiye sich nach einem Fluchtweg um. Er stand in einem großen Raum, der als Wohnzimmer mit integrierter Küchenzeile diente. Zwei geschlossene Zimmertüren versperrten ihm die Sicht auf die Zimmer, die dahinter lagen. Er tippte auf Schlafzimmer und Bad. Dort würde es keinen Ausgang geben. Außer vielleicht einem Fenster, wenn es sich öffnen ließ. Aber vermutlich keine Feuertreppe.

„Was kannst du nicht mehr? Mit Inola über eure Gedankenverbindung kommunizieren?" Osteka schüttelte amüsiert den Kopf. „Keine Sorge. Auf Kenmara gibt es kaum jemanden, der das noch beherrscht." Er lief an Shiye vorbei und ließ sich aufs Sofa plumpsen. „Kommt davon, wenn man den Weibchen die Welpen kurz nach der Geburt wegnimmt, um sie von Fremden großziehen zu lassen."

„Bitte verrate es niemandem." Der Basterianer musterte seinen Gesprächspartner interessiert. „Kannst du es?"

„Ja, aber nicht, weil ich es von meiner Mutter gelernt habe. Ich kenne es von einem Freund, der die ersten Jahre seines Lebens nicht auf Kenmara verbracht hat. Und nein, ich werde euer Geheimnis nicht weitererzählen." Er seufzte leise. „Ich hoffe viel zu sehr, dass Inola Ohitika zur Vernunft bringt."

Shiye setzte sich neben ihn. „Und wie soll sie es schaffen?"

„So wie sie es jetzt schafft, ihn zu zähmen. Indem sie ihm häppchenweise Aufmerksamkeit gibt, bemerkt er, was er in seiner Kindheit vermisst hat. Das dauert nicht lange und er frisst ihr aus der Hand." Der Leopard schmunzelte vergnügt. „Dann darf sie ihn mit Leckerbissen füttern."

„Bei Bastet! Inola hasst es, sich von ihm füttern zu lassen. Sie findet es erniedrigend." Shiye schüttelte den Kopf. „Vielleicht verliebt er sich in sie, aber sie wird ihn nie lieben."

„Wenn du dich da mal nicht täuschst." Osteka lachte leise. „Deine Schwester wurde in die Rolle der starken Anführerin hineingeboren. Aber glaubst du wirklich, dass sie es nicht manchmal verabscheut, die Tochter des Alphas zu sein? Vorbestimmt, um ihr Volk in eine bessere Zeit zu führen?"

„Sie wünscht sich mehr Freiheiten, würde gern in der Galaxie herumreisen." Shiye rieb sich über das Kinn. „Woher die klugen Worte? Ich habe bemerkt, dass du ein sehr aufmerksamer Beobachter bist, aber das hört sich nicht so an, als ob du es allein analysiert hast."

Osteka richtete den Blick zum Fenster und blieb einen Augenblick stumm. Wollte er nicht darüber reden? Als Shiye gerade eine andere Frage stellen wollte, wandte der Beta sich ihm wieder zu. „Ich unterhalte mich viel mit Teetonka über Inola und Ohitika. Wie wir ihren Einfluss nutzen können, um ihm einen anderen Weg aufzuzeigen."

Der KenmererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt