Kapitel 14

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„Kommst du? Mein Vater erwartet uns im Thronsaal." Besorgt musterte Ohitika die Basterianerin, die wie in Zeitlupe aufstand. Ihm war bewusst, dass der Alpha keinen positiven Eindruck bei ihr hinterlassen hatte. Ihre Selbstbeherrschung angesichts dessen Verhaltens hatte ihn überrascht. Seitdem sie sich verletzt hatte, war sie ungewöhnlich zahm und zutraulich. Hatte er sich in den ersten Tagen darüber gefreut, bereitete es ihm nun Kopfzerbrechen. Seine Impulsivität hatte ihr größeren Schaden zugefügt als eine simple Platzwunde.

Hatte der Schlag gegen den Kopf ihre Persönlichkeit so schwerwiegend verändert, dass sie in manchen Momenten zufrieden in seinen Armen schnurrte? Seine Brüder würden es begrüßen, wenn er sich das Weibchen mit Gewalt gefügig gemacht hätte. Nicht mehr in ihm den Schwächling sehen. Oder lag es doch daran, dass er sie behutsam an seine Nähe gewöhnt hatte? Auch wenn sowohl Osteka als auch Teetonka anführten, dass er dabei nicht gerade feinfühlig vorgegangen war. Doch wie hätte er es sonst erreichen sollen? Und wenn er ehrlich zu sich war, vermisste er die kleinen Streitereien, die ihm zeigten, dass Inola ein Alphaweibchen war.

Streitlustig und voller Lebensfreude, so gefiel sie ihm am besten. Vorausgesetzt, sie versuchte nicht gerade, ihre Krallen in ihm zu versenken oder ihn zu beißen. So angepasst, wie sie sich jetzt verhielt, gefiel sie ihm mittlerweile doch weniger. Lag es an ihrer Angst vor seinem Vater? Vor der Audienz beim Alpha?

Er streckte den Arm aus, um ihre Hand zu packen, aber besann sich im letzten Augenblick. Unschlüssig hielt er inne. Osteka hatte ihm eingeschärft, ihr die Wahl zu überlassen.

Inola wandte sich ihm zu und musterte ihn von der Seite. Was würde er dafür geben, an den Gedanken der tiefschwarzen Basterianerin teilhaben zu dürfen! Vielleicht öffnete sie sich ihm mit ein wenig Geduld seinerseits auch in dem Bereich und erzählte ihm, was sie beschäftigte. Sein Vater würde solch eine Vertrautheit niemals gutheißen und er konnte bereits den Spott seiner Brüder hören, mit dem sie ihn wochenlang verhöhnen würden.

Sein Vater! Sie trödelten schon zu lange herum und ließen den Alpha unnötig warten. Gerade als er seine Hand zurückziehen wollte, ergriff das Weibchen diese. Ein leichtes Zittern lief durch ihren Körper. Furcht vor dem, was ihr bevorstehen könnte. „Tut mir leid, aber er hat darauf bestanden, dass ich dich mitbringe. Wir sollen beide hören, was er zu sagen hat." Mit Inola an seiner Seite wanderte er den langen Gang zum Thronsaal entlang, der von der Garde seines Vaters bewacht wurde. Die Wachleute schauten seine Begleitung grimmig an, als er sie an ihnen vorbeiführte. Die Kenmerer vor der hohen Flügeltür zum Saal musterten sie eher spöttisch.

„Ich hoffe mal, dass sie keine Flöhe anschleppt", merkte einer an.

„Nicht mal Flöhe würden so ein Weibchen bespringen wollen", fügte sein Kollege hinzu.

Ohitikas Puls raste und seine Muskeln spannten sich an. Was bildeten sich die Männer ein? Er spürte, wie Inola ihren Griff um seine Hand verstärkte. Sie hielt den Blick gesenkt, starrte stumm auf den Boden vor ihren Füßen. Er musste sich zusammenreißen – ihretwegen. Für seine Verfehlungen würde sie bestraft werden. Sein Vater hatte bei der Begrüßung nach der Ankunft auf Kenmara bemerkt, dass ihm das Weibchen etwas bedeutete. Weil er es nicht geschafft hatte, seine Sorge zu verschleiern, als der Alpha sie unsittlich berührte. Womöglich hatte er seinen Wachen aufgetragen, ihn zu provozieren. Damit er einen weiteren Fehler in seinem Leben beging. Ohitika holte einmal tief Luft. „Mein Vater erwartet uns bereits."

„Da wäre ich mir nicht so sicher", erwiderte einer der Männer gelassen. „Ein besorgter Vater hat seine Tochter wegen ihres unziemlichen Verhaltens zu ihm gebracht. Damit unser Alpha sie auf den rechten Pfad zurückbringt."

Ohitika schaffte es nur mit Mühe, keine Miene zu verziehen. Er ahnte, was sich hinter verschlossener Flügeltür abspielte. Er spitzte die Ohren, lauschte angestrengt. Schritte eilten von der Mitte des Thronsaals zur Tür, die die Wachmänner weit öffneten. Ein Kenmerer trat mit einem Leopardenmädchen aus dem Saal. Tränen liefen über ihre Wangen. Ihre Lippen zitterten. Ohitika sog die Luft ein, als die Kleine an ihm vorbeilief. Furcht aber nicht das, was er befürchtet hatte. Wie es schien, war sie glimpflich davongekommen.

Der KenmererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt