Nachdem er der widerspenstigen Basterianerin die Regeln erklärt und sie in seinen Gemächern zurückgelassen hatte, suchte Ohitika seinen Beta auf. Dieser hatte sich wie erwartet an seinen Lieblingsplatz zurückgezogen. An ein einsames Panoramafenster mit Blick auf das tiefschwarze All und den lächerlichen Planeten, den sie gerade verlassen hatten.
„Hat der Bruder sich anstandslos benommen?", fragte er den träumerisch hinausblickenden Freund.
Dieser seufzte und wandte sich ihm zu. „Der ist bei Weitem nicht so widerspenstig wie seine Schwester. Mit der hast du dir ein ganz schönes Biest eingefangen. Die wird Ärger machen."
„Nicht, wenn ihr das Leben ihres Bruders etwas bedeutet", brummte Ohitika.
„Du willst ihr wirklich weiterhin damit drohen?" Der Kenmerer schüttelte den Kopf. „Das sollte doch nur eine einmalige Sache sein, um sie zu überrumpeln."
„Es schien dir Spaß zu bereiten, ihn spielerisch zu beißen, Osteka. Und er blieb erstaunlich ruhig dabei." Hing das mit der Fellfarbe zusammen? Ihm wäre es lieber gewesen, wenn das Weibchen so handzahm wäre und er den Bruder einfach aufgrund des geleisteten Widerstandes hätte töten können. Doch dummerweise benötigte er das Alphaweibchen für seine Pläne.
„Er ist klug und hat bemerkt, dass er mir nichts entgegenzusetzen hat." Der Beta wandte den Kopf wieder ab.
Von jedem anderen hätte Ohitika es nicht akzeptiert, doch beim Freund wusste er, dass es keine Respektlosigkeit ihm gegenüber war. „Er ist für einen Basterianer ungewöhnlich hell. Selbst die meisten Weibchen haben ein dunkleres Fell."
„Vielleicht hat er etwas zu viel von der Luna geerbt. Oder es ist ein Ausgleich zur Alphatochter. Auch charakterlich scheinen sie einander zu ergänzen. Du hast die Aufnahmen der Drohne gesehen. Die Geschwister hängen sehr am jeweils anderen, obwohl sie so verschieden sind."
Ohitika sprach es nicht aus, wie sehr es seinem Verhältnis zu Osteka ähnelte. War er selbst aufbrausend und draufgängerisch, wies der Freund ihn auf eventuelle Probleme und Gefahren hin. „Es bleibt also dabei, dass du dich um den Bruder kümmerst, damit er uns keine Schwierigkeiten bereitet?"
„Du kannst dich auf mich verlassen. Shiye wird uns keinen Ärger machen." Ein Lächeln umspielte Ostekas Lippen. Es strahlte völlige Zufriedenheit aus. Als ob endlich alles so lief, wie er es sich erhofft hatte.
„Denk dran, keine Aktionen, bei denen du dich selbst in Gefahr begibst. Du weißt, was ich meine." Ohitika lief es beim Gedanken, dass sein Vater den Freund von dessen Posten abziehen würde, einen kalten Schauder über den Rücken. „Hast du mich verstanden?", knurrte er lauter als geplant.
„Reg dich ab. Ich kann mich entgegen allen Anschuldigungen sehr wohl beherrschen." Das Lächeln verschwand, wurde durch eine melancholische Miene ersetzt.
„Ich habe es nicht so gemeint", brummte Ohitika.
Sein Beta sah ihn traurig an. „Du nicht, aber die anderen."
Dumpfe Schritte erklangen auf dem metallenen Flur. „Ach hier steckt ihr." Teetonka ließ sich neben Osteka auf den beheizten Metallfußboden sinken. „Was machen unsere Gefangenen?" Er streckte sich, ließ die Muskeln spielen, sodass sie sich unter seiner Kleidung abzeichneten. Der Gamma war ein furchteinflößender Krieger, wenn er mal seine große Klappe hielt. Was eher selten der Fall war.
Dennoch schätzte der Alpha ihn genauso wie seinen anderen Freund. Beide waren ihm von Kindesbeinen an treu ergeben. Zum großen Bedauern seines Vaters, der sich für ihn einen tatkräftigeren Beta und verschwiegeneren Gamma gewünscht hatte. Solche Adjutanten, wie seine vier älteren Brüder hatten. Vielleicht stände er mit solchen Gefolgsleuten beim Anführer der Kenmerer höher im Kurs, wenn es seine Freunde verriet. Doch warum sollte er Stellvertreter um sich sammeln, denen er nicht völlig vertraute und mit denen er nicht all seine Sorgen und Ängste besprechen konnte?

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Der Kenmerer
FantasyErwartungen, Erwartungen, Erwartungen. Diese kennt Inola zur Genüge. Ihre Eltern, ihr Lehrer und alle Bewohner ihres Planeten erwarten von ihr, dass sie als erstes Alphaweibchen seit Generationen in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Doch fragt jema...