Ohitika lag auf der Wiese vor der Villa und starrte gedankenverloren hoch zum blauen Himmel. Die Worte Bidziils, die er vor einigen Tagen gehört hatte, ließen ihn nicht los. Das alte Reptil schien – im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung über Chonsaner – jemand zu sein, der sein Leben für die Rettung anderer riskierte.
Der Kenmerer rollte sich herum, pustete die Grashalme vor seinem Gesicht an. Von Nizhoni hatte er erfahren, dass Bidziil sein gesamtes Team aus den Ungewollten und Ausgestoßenen von Chonsana errichtet hatte. Echsen, die als kleine Kinder schon von den Forderungen der Allgemeinheit abwichen. So wie Ohitikas eigene Freunde, die er gegen den Willen seines Vaters zu seinen engsten Vertrauten gewählt hatte. Und die er jetzt auf Gangalon lassen wollte, wenn er nach Kenmara zurückkehrte, um mit dem starrsinnigen Alpha zu reden.
Oder, um ihn vom Thron zu stoßen, falls er nicht auf die Ratschläge hörte. Ein Unterfangen, von dem er nie zu träumen gewagt hatte. Und jetzt standen sie kurz davor, es in Angriff zu nehmen. Eine ungewohnte und auch unangenehme Mission. Sich gegen den Alpha, den eigenen Vater zu wenden, kam ihm wie ein Sakrileg vor.
Ohitika seufzte verhalten. Es würde keine leichte Aufgabe werden und es störte ihn, dass Inola auf ihr Mitkommen bestand. Was, wenn ihr Leben in Gefahr geriet, weil ein Kenmerer sie nicht als Ranghöhere akzeptierte? Was, wenn es einen Moment gab, an dem er oder die Garde der Chonsaner sie nicht schützen konnte? Sie war zu wichtig – für ihr Volk und erst recht für ihn. Ihr durfte bei der Mission nichts zustoßen! Ein leises Knurren entwich ihm.
„Schlechte Laune?"
Die dezent spöttische Stimme ließ ihn hochschrecken. Stirnrunzelnd schaute er in das amüsierte Gesicht der Basterianerin, die sich neben ihn ins Gras fallen ließ. „Sehr witzig", murrte er. „Ich mache mir Sorgen um deine Sicherheit, wenn wir auf Kenmara landen. Es kann so viel schiefgehen."
„Und ich sorge mich um deine." Sie kuschelte sich an. „Meine beiden Großväter werden uns begleiten. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass sie zusammen die Leitung übernehmen."
Bidziil und Wa-Ya-Ga-Da. Zwei erfahrene alte Kämpfer. Der eine mehr noch in gefährlichen Situationen bewandert. Der andere ein herausragender Stratege, der den Tross aus Soldaten unterschiedlicher Völker klug leiten würde. Ohitika atmete tief durch. „Ich bin froh, dass sie uns begleiten." Sie würden eine enorme Last von den Schultern seiner Gefährtin nehmen, die sich ebenso wie er vor der Tragweite der Mission fürchtete. Ein politischer Umsturz war keine Sache, die man an einem Tag erledigte.
„Niyol kommt ebenfalls mit. Er ist für meinen persönlichen Schutz zuständig, da Opa sein altes Team anführt. Mamas Idee." Inola rupfte einen Grashalm ab und spielte gedankenverloren mit den daran wachsenden Blättern. „Teetonka besteht darauf, zu deinem Schutz mitzukommen", brach es schließlich aus ihr hervor.
Ohitika stöhnte auf. „Der soll gefälligst hier auf Gangalon bleiben." Nicht noch jemand, der sich für ihn in Gefahr begab.
„Er weigert sich und meint, wenn du schon Osteka nicht mitnimmst, wird er die Rolle deines persönlichen Bodyguards übernehmen." Sie zuckte mit den Achseln. „Ich konnte ihn nicht umstimmen. Erst recht nicht, weil Osteka und Shiye sich auf seine Seite gestellt haben."
„Ich bin nur froh, dass Osteka aus Rücksicht auf deinen Bruder nicht mitkommen will", brummte der Kenmerer und richtete seinen Blick wieder in die Ferne. „Ich habe früher nie darüber nachgedacht, weil mir auf Kenmara keine Gefahr drohte. Zumindest, solange ich mich dem Willen meines Vaters unterwarf. Aber jetzt ist mir bewusst, wie leicht ich einen meiner Freunde verlieren könnte." Der sanfte Kuss, den Inola ihm daraufhin auf die Wange hauchte, ließ ihn erzittern.
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Der Kenmerer
FantasiaErwartungen, Erwartungen, Erwartungen. Diese kennt Inola zur Genüge. Ihre Eltern, ihr Lehrer und alle Bewohner ihres Planeten erwarten von ihr, dass sie als erstes Alphaweibchen seit Generationen in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Doch fragt jema...