Kapitel 28

107 12 0
                                        


„Kommst du?", rief Shiye beim Raustürmen Osteka über die Schulter zu. Niyol überließ ihnen seinen Gleiter, damit sie auf Erkundungstour gehen konnten. Es gab so viel, was der Basterianer seinem Gefährten zeigen wollte, damit dieser sich auf Gangalon schnell heimisch fühlte. Immerhin hatte er unverschuldet seine Heimat und Freunde aufgeben müssen. Shiye war seiner Schwester einerseits dankbar, dass sie ihren Großvater dazu angestiftet hatte, Osteka als vermeintliche Geisel mitzunehmen. Andererseits hatte dieser sich nicht von seiner Familie und Teetonka verabschieden können. Von Ohitika nur ungenügend. Vor allem der Alpha durchlebte vermutlich gerade Höllenqualen, weil er seinen besten Freund in den Klauen experimentierfreudiger Chonsaner wähnte. Um ihm ein wenig die Angst zu nehmen, hatte Bidziil mit einer schnurrenden Inola auf dem Schoß das Videogespräch geführt. Doch ob das geholfen hatte? Seitdem war einige Zeit vergangen, ohne dass der Alpha versucht hatte, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Mit ihrem Vater, denn dass sie in Freiheit waren, konnte er nicht wissen.

„Hast du es immer so eilig?" Osteka ließ sich auf den Beifahrersitz des Gleiters plumpsen. „Kommt deine Schwester gar nicht mit?"

„Die sitzt bei meinem Vater im Regierungsgebäude und sucht unter Bergen von Arbeit Schutz vor ihren Gefühlen", brummte Shiye.

„Sie will sich von ihren Gedanken an Ohitika ablenken." Der Kenmerer nickte verstehend. „Sie benötigt viel Zeit zum Nachdenken. Ohitika hat ihre Welt gehörig ins Wanken gebracht. Ich kann es ihr nachempfinden, dass sie verstört ist."

„Dennoch bringt es ihr nichts, sich davor zu verstecken."

„Sagt derjenige, der sich jahrelang nicht eingestehen wollte, dass es nicht nur eine vorübergehende Phase war, dass er an Weibchen kein Interesse zeigte", kommentierte Osteka trocken und streichelte Shiye über den Oberschenkel. „Ich bin froh, dass du es dir endlich eingestanden hast."

„Das mit uns ist etwas völlig anderes." Der Basterianer startete den Gleiter und lenkte ihn von der Villa weg.

„Bist du dir da sicher? Auf Kenmara sind Beziehungen wie die unsere verboten. Hier werden sie ebenfalls misstrauisch betrachtet, wenn mich nicht alles täuscht. Deswegen wolltest du es dir nicht eingestehen. Deine Schwester dagegen fürchtet, dass Ohitika es nicht Ernst mit ihr meint. Außerdem wehrt sie sich gegen ihre Gefühle, weil er einer anderen Spezies angehört."

„Das ist trotzdem etwas anderes", maulte Shiye und warf Osteka einen Blick zu.

Dieser lächelte nachsichtig. „Für mich nicht. Inola will als zukünftige Anführerin nicht in den Augen ihres Volkes versagen. Ein Gefährte, der kein Basterianer ist? Für sie undenkbar. Mal ganz abgesehen von seinem aufdringlichen Verhalten, mit dem er sie an sich binden wollte. Dagegen wehrt sie sich."

„Trotzdem." Shiye seufzte. „Ach, lass uns über etwas anderes reden."

„Gern, wohin entführst du mich denn?" Osteka heftete seinen Blick wieder auf die Straße, die sich vor ihnen zwischen Wiesen und Wäldern entlang schlängelte.

„Ein Platz, an dem ich seit Ewigkeiten nicht mehr war. Revanche für den Ausflug zum See." Shiye grinste zufrieden. Die Uhrzeit passte und das Wetter spielte perfekt mit. Außerdem war es ein gewöhnlicher Wochentag. An den Wochenenden tummelten sich dort zu viele junge Basterianer, die mit ihren angebeteten Weibchen dorthin zum Schwimmen fuhren.

„Hm, muss ich mir jetzt Sorgen machen oder steckt da etwas anderes dahinter? Wenn du mich mal wieder nackt sehen willst, kannst du es auch ruhig sagen. Dafür brauchen wir keinen Ausflug." In Ostekas Augen glitzerte es vergnügt. „Du wirst gerade rosa."

Shiye wurde es ganz warm. Den letzten Schritt waren sie noch nicht gegangen, obwohl sie einander als Gefährten bezeichneten. Er sehnte ihn herbei und gleichzeitig brach ihm der Schweiß aus, wenn er nur daran dachte. Ob es Osteka ähnlich erging? Er nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Hast du eigentlich schon mal ..." Er traute sich nicht, den Satz zu beenden.

Der KenmererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt