Kapitel 12

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Vor wenigen Augenblicken hatte das verflixte Raumschiff auf der zugewiesenen Fläche auf einem riesigen Raumschiffhafen aufgesetzt. Inola warf misstrauisch einen Blick nach draußen. Größere und kleinere Raumfahrzeuge standen ordentlich aufgereiht vor einem gigantischen Gebäude, auf dessen mit Glasscheiben bedeckte Fassade die hoch am Himmel stehende Sonne knallte. Immerhin war das Wetter bei der Ankunft perfekt. Was sie von ihrer Begleitung nicht behaupten konnte.

Der Alpha wich wie in den vergangenen Tagen nicht von ihrer Seite. Er bildete sich wohl ein, dass sie dadurch handzahmer wurde. Shiye hatte ihr diese Vermutung in einem ruhigen Augenblick über ihre Gedankenverbindung mitgeteilt. Da sie und ihr Bruder vorläufig nicht aus der Gewalt der Kenmerer flüchten konnten, hatte sie es ausgetestet. Zähneknirschend sein übergriffiges Verhalten akzeptiert.

Nachts kuschelte er sich an sie wie ein Welpe an seine Mutter – Nähe und Wärme suchend. Nichts wies dann darauf hin, was für ein arroganter Mistkerl er war. Sie wurde aus ihm einfach nicht schlau. Je friedlicher sie sich gab – obwohl ihre innere Raubkatze Zeter und Mordio schrie – desto ausgeglichener wirkte der Kenmerer. War er so einfältig zu glauben, dass sie jeglichen Widerstand aufgegeben hatte? Oder fiel er ihrem weiblichen Charme zum Opfer, den sie jetzt gezielt gegen ihn einsetzte?

Ein leises Schnurren hier, ein schnelles Lecken über seine Fingerspitzen, wenn er sie mit einem Stück Fleisch fütterte. Es brachte seine Augen zum Leuchten und entlockte ihm ein verhaltenes Lächeln, das ihn sanfter erscheinen ließ. Kein Vergleich zu seinem selbstgefälligen Grinsen, das er sonst aufzusetzen pflegte, wenn er sich ihr überlegen fühlte. So einfach zu manipulieren.

Ihr neues Vorgehen hatte sie via Gedankenübertragung mit Shiye abgestimmt. Wenigstens die Art der Kommunikation war ihr mit ihrem Bruder geblieben. Sie vermisste die vertraulichen Gespräche unter dem Blätterdach des Dschungels oder an ihrem Aussichtspunkt auf Gangalon. Ungestört, nur sie beide. Zwei Panther, die immer füreinander einstanden. Das gemeinsame Herumtollen über eine Wiese oder das Kuscheln auf dem Sofa. Inola atmete tief durch. Wenn sie es richtig anpackte, würde sich ein Moment finden, an dem sie und Shiye diesen verflixten Kenmerern entkamen. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.

„Es gefällt mir, wenn du so zufrieden bist." Der Alpha vergewisserte sich kurz, dass niemand sie beobachtete. Dann beugte er sich zu ihr runter und stupste ihre Wange sanft mit seiner Nasenspitze an.

Inola ließ sich nicht anmerken, dass sie das ständige Eindringen in ihren persönlichen Bereich hasste. Natürlich fragte er sie nicht um Zustimmung, bevor er sie berührte. Aber immerhin war es bisher immer bei Kuscheln, Füttern oder einem liebevollen Anstupsen geblieben. Bei einem anderen Kenmerer hätte sie vermutlich erheblich größere Probleme gehabt. Schon allein deswegen ließ sie ihm die winzigen Erfolge, die ihn in Hochstimmung versetzten. Je eher er ihr vertraute, desto schneller bekam sie eine Möglichkeit, ihn zu überrumpeln. Nur ein kleiner Ausflug auf irgendeinen Schmugglermarkt in der Galaxie und sie würde mit ihm abrechnen.

„Wir haben auf Kenmara Dschungel wie auf Gangalon. Es wird dir bei uns gefallen." Er schlang einen Arm um sie und dirigierte sie Richtung Ausgang.

Inola bezweifelte seine Worte. Weshalb sollte sie sich auf einem Planeten wohlfühlen, auf den sie gegen ihren Willen hin verschleppt wurde? Die meisten Besatzungsmitglieder hatten das Raumschiff bereits verlassen und sich auf dem Platz davor in Reih und Glied aufgestellt. Wie Spielzeugsoldaten, mit denen ein aufmüpfiger Welpe ganze Feldschlachten führte. Was für ein übertriebenes Getue. Auf Gangalon wurden Heimkehrer zwar auch begrüßt, aber seitdem ihr Vater ihre Mutter angeschleppt hatte, hatte es keinen großen Empfang mehr gegeben. Und damals auch nur, weil sie als Hoffnung für das ganze Volk galt.

Der KenmererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt