Die Zeit auf Kenmara zog sich dahin. Immer wieder tauchten neue Herausforderungen wie aus dem Nichts auf. Junge Kenmererinnen, die so viel Angst vor den neuen Möglichkeiten ihres Lebens hatten, dass sie weinend in den Untersuchungsräumen der Chenemer zusammenbrachen oder nach einem Gefährten verlangten, damit dieser ihnen Entscheidungen abnahm. Es waren auffallend viele Männchen, die sich davon überfordert fühlten und die Weibchen zu den Beratungsstellen schleppten.
„Sie hat sich an mich geschmissen. Völlig aus dem Nichts ist sie auf mich zugestürmt", berichtete aufgelöst ein Kenmerermännchen, das kaum älter als Inola war. „Seitdem werde ich sie nicht mehr los." Sein Problem hing ihm buchstäblich am Hals. Ein hübsches Kenmererweibchen, das die Anwesenden aus geweiteten Augen voller Furcht ansah.
„Chumani, oder?" Inola hockte sich vor die Gleichaltrige. „Du musst Tokalah schon loslassen, damit unsere Ärzte dich untersuchen können. Du warst doch noch nicht bei uns, stimmt's?" Auf das zaghafte Nicken des Mädchens hin reichte sie ihr eine Hand. Die Kenmererin klammerte sich noch fester an das Männchen.
Die Basterianerin unterdrückte ein Seufzen. Es war bereits der fünfte Fall an diesem Tag, doch das machte die Sache nicht leichter. Zu viele Kenmererweibchen reagierten verunsichert und wollten nicht, dass die Chenemer sich um sie kümmerten.
„Chumani, lässt du mich bitte los?" Der Kenmerer sprach sanft auf sie ein und versuchte, ihre Umklammerung zu lösen. Vergebens. Er seufzte leise. „Chumani, ich verspreche, dass ich dich nicht alleinlassen werde. Ich weiß, wer dein Gefährte werden sollte und möchte, dass du dich untersuchen lässt. In Ordnung?"
Inola runzelte die Stirn. War das Weibchen einer dieser Dumpfbacken versprochen und misshandelt worden? Solche Fällen hatten sie auch bereits gehabt. Sie öffnete den Mund, um erneut auf Chumani einzureden, doch Tokalah schüttelte den Kopf. Er fing an, der anhänglichen Kenmererin ins Ohr zu schnurren, und rieb seine Wange an ihrer. Das Weibchen seufzte zufrieden und kuschelte sich an ihn, lockerte dabei gleichzeitig ihren Griff, bis sie ihre Arme sacken ließ und seine Hand ergriff. Die zwei Kenmerer wirkten wie ein frisch verliebtes Pärchen.
Inola kam ein Verdacht. „Kann es sein, dass ihr schon länger etwas füreinander empfindet und euch nur das Eheversprechen im Wege stand, das für Chumani einen anderen Gefährten vorsah?"
Tokalah senkte ertappt den Blick, zog das Weibchen enger an seinen Körper.
„Idiot", kommentierte der Chenemer, der sich alles stumm angesehen hatte. „Sei froh, dass sie deine Gefühle erwidert und dass die alten Regeln nicht mehr zwischen euch stehen." Er wandte sich dem Kenmererweibchen zu. „Lässt du jetzt zu, dass ich dich untersuche? Ich glaube nicht, dass der Trottel hier dich noch mal freiwillig gehen lässt. Der ist genauso vernarrt in dich wie du in ihn."
Zögerlich rutschte Chumani von Tokalahs Schoß runter und legte sich auf die Untersuchungsliege. Ihr Blick wanderte hilfesuchend zu dem Kenmerer, der sich neben sie setzte und ihre Hand ergriff. Inola wandte sich zufrieden ab. Wieder ein Problem gelöst. Sie schlüpfte aus dem Raum und streifte weiter durch den Palastflügel, den sie für die Untersuchungen nutzten. Es war angenehm ruhig. Kein ängstliches Fauchen oder bedrohliches Knurren wie an manchen Tagen. Sie lief hinaus in den Garten, wo sie einige Thorianer erspähte, die im Gras saßen. Vor ihnen mühten sich ältere Weibchen damit ab, ihre Gestalt zu ändern.
Ohitika beobachtete das Treiben und gab sporadisch Anweisungen. Er schaute auf, als Inola sich ihm näherte. „Es fällt ihnen schwer."
„Weil sie es nicht von klein an gewöhnt sind", erwiderte sie betont ruhig. Sich erneut darüber aufzuregen, wie die Kenmerer mit ihren Töchtern und Gefährtinnen umgegangen waren, brachte niemanden weiter. Sie schlüpfte aus ihrer Kleidung und wandelte sich. Ihr Pantherweibchen schnurrte den Wandlerinnen Mut zu und feuerte sie bei ihren Versuchen an. Sie freute sich über jeden Erfolg der Weibchen, übte stundenlang mit ihnen.
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Der Kenmerer
FantasyErwartungen, Erwartungen, Erwartungen. Diese kennt Inola zur Genüge. Ihre Eltern, ihr Lehrer und alle Bewohner ihres Planeten erwarten von ihr, dass sie als erstes Alphaweibchen seit Generationen in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Doch fragt jema...