Kapitel 18

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Mit gemischten Gefühlen lief Osteka zum Palast. Der Ausflug mit Shiye zum See bestätigte ihn noch in seinem Glauben, dass sein Volk sich dringend ändern musste. So glücklich es ihn machte, dass der Basterianer sich in ihn verliebt hatte, desto melancholischer stimmte es ihn. Nun war es ihrer beider Leben, auf das er achtgeben musste. Eine Sorge mehr, die ihm niemand abnahm. Er seufzte leise.

„Alles in Ordnung mit dir, mein Freund?" Teetonka löste sich aus dem Schatten des Baumes, an dem er gelehnt hatte. „Wie verlief der Streifzug? Hattest du mit deiner Vermutung recht?"

„Hatte ich." Er sah sich vorsichtig um. „Das ist aber nicht der richtige Ort, um sich darüber zu unterhalten. Allerdings werde ich jetzt mehr von dem Medikament benötigen."

„Für dich? So schlimm?" Teetonka zog spöttisch eine Augenbraue hoch.

„Sehr witzig", knurrte Osteka. „Nicht für mich." Für Shiye, um ihn zu beschützen.

„Wirkt bei ihm also ebenfalls. Das sind hervorragende Neuigkeiten." Der Gamma grinste zufrieden.

„Sei leise, du altes Plappermaul", fauchte der Beta. Wenn das jemand mitbekommt, sind wir geliefert.

„Reg dich ab. Also, wie lief es oben am See?" Er nickte Richtung Palast, der vor ihnen aufragte wie ein grimmiger Riese. „Wir können ja später darüber reden. Wenn du von der Audienz zurück bist", fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.

„Falls ich das Gespräch überlebe", brummte Osteka. Was er sich vorgenommen hatte, war kein leichtes Unterfangen. Und wenn er die Anzeichen richtig deutete, steckten sie tief im Schlamassel. Vorausgesetzt, sie fanden nicht rechtzeitig einen Ausweg. Ohitikas Vater war für seine Grausamkeit bekannt. Wer das eigene Weibchen verstieß, sie vor aller Augen demütigte, würde auch nicht davor zurückschrecken, sich an einer Basterianerin zu vergreifen, wenn er keine Repressalien fürchtete. Je länger Inola und ihr Bruder auf seinem Planeten blieben, desto größer die Gefahr eines Übergriffs. „Ohitika wird mir den Kopf abreißen."

„Ach was." Teetonka tätschelte ihm kameradschaftlich die Schulter. „Er wäre ohne dich aufgeschmissen." Der Gamma warf sich in die Brust. „Und ohne mich ebenfalls."

Wenn der Freund sich da mal nicht täuschte. Dennoch warf Osteka ihm einen dankbaren Blick zu. Allein der Versuch, dass ein Kenmerer einen anderen aufheiterte, war eine Seltenheit. Vor allem in der Hauptstadt. Die Nähe zum Palast schien alle Freundlichkeit zu vertreiben. Arroganz und Schrecken hausten hinter den dicken Mauern. Der Beta seufzte leise. Er hasste diesen Ort, seitdem er ihn zum ersten Mal betreten hatte. Vor vielen Jahren, nach einem Training, in dem er Ohitika kennengelernt hatte. Damals noch nicht so verbohrt wie heute, war ihm der junge Alpha positiv aufgefallen. Er schien sanfter zu sein als seine Brüder, denen Osteka in der Stadt aus dem Weg ging. Breitschultrige Männchen, die ihren Rang gern zeigten. Höhnische Bemerkungen für Schwächere und Weibchen. Vor allem Letztere hatten, wenn sie noch keinen Partner hatten, unter den Launen der Alphamännchen zu leiden.

Wenigstens das hatte Ohitika sich nicht von seinen Brüdern abgeschaut, auch wenn er ihnen in den vergangenen Jahren nachgeeifert hatte. Doch seit Inolas Ankunft besann sein Freund sich langsam wieder auf Werte, die er zuvor vergessen zu haben schien. Selbst seine Mutter ließ er an seinem Sinneswandel teilhaben und leistete ihr beim täglichen Wandeln Gesellschaft. Osteka grinste. Auch da hatte die Basterianerin einem Sturmwind gleich Veränderung herbeigeweht. Das Alphaweibchen von Gangalon ließ sich nicht alles gefallen und hatte das Herz am rechten Fleck. Sie verabscheute Ungerechtigkeit und zeigte dies deutlich. Was ihre verletzte Hand und das Loch in Ohitikas Wand bewiesen. Dieses Weibchen beugte sich nicht freiwillig. Und genau darin lag die Gefahr. Bekam der Herrscher mit, wie widerspenstig Inola in Wirklichkeit war, würde er sich einen Spaß daraus machen, ihren Willen zu brechen.

Der KenmererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt