Kapitel 35

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Niemals werde ich dieses Gesicht vergessen können.

Die braunen Locken, die großen braunen Augen, sein Grinsen. Die leichten Segelohren und das Koboldgesicht. Luke und ich stammten aus zwei verschiedenen Welten, zwei verschiedenen Distrikten.

Vier und Zehn.

Trotzdem konnte ich sagen das er zu den wenigen Menschen gehörte die mir wohl das meiste in meinem ganzen Leben bedeutet hatten und jemals bedeuten würden. Dabei wusste ich kaum etwas über ihn. Luke Anderson hieß er, hatte fünf jüngere Geschwister, er war zwölf Jahre alt. Er war ein Tribut der 65. Hungerspiele des Staates Panem.

Ich liebte ihn fast wie einen eigenen Bruder und nun wird es Zeit zu erzählen wie er starb.

Es war stockfinstere Nacht. Der Mond war zwar aufgegangen und tauchte alles in sein künstliches, silbrig schimmerndes Licht, aber dennoch erhellte er die Szene nicht wirklich.

Ich sprang aus dem Wasser, barfuß, preschte wie ein Irrer durch das Unterholz und erreichte keuchend das Versteck meiner ehemaligen Verbündeten. Ich brauchte keine fünf Minuten, trotzdem war ich zu spät.

Als ich sah, weshalb Troian so entsetzlich geschrien hatte nahm meine Geschwindigkeit noch ein bisschen zu. Ein Kopfdruck und zum ersten mal ließ ich die versteckten Klingen hervor blitzen. Ich starrte wie gebannte zu dem riesigen Mammutbaum der jetzt Schemenhaft in der Dunkelheit vor mir Stand, keine dreißig Meter entfernt.

Dann übersah ich den Busch.

Meine nackten Füße verhedderten sich, ich stürzte, riss mir die Beine auf, schlug hart mit den Ellenbogen auf. Die Luft wurde aus meinem Oberkörper gepresst. Ich schnaufte. Die dämlichste Rettungsaktion aller Zeiten.

Keine Vorwürfe Finnick, ihr seid keine Verbündete mehr, wollte mir mein Gewissen einreden.

Troian schrie erneut.

Ach scheiß drauf!

Langsam versuchte ich mich aufzurappeln, zuckte zusammen, als ich mich auf die Füße stellte und den schmerzenden Knöchel belastete. Das Blut floß warm und zäh an meinen Schienbeinen herunter, tropfte auf den Sand. Trotz de Dunkelheit und dem silbernen Licht schimmerte das Blut dunkelrot und feucht.

Humpelnd machte ich einige Schritte.

Troian schrie, wieder und wieder.

Ich schaute auf.

Da waren sie. Troian und Luke, am Stamm des Baumes. Lukes Hände hielten die braunen Knollen und sein Blick verriet die Überraschung.

Von der anderen Seite, aus der Richtung der Wüste, von der mir Luke erzählt hatte kamen vier Gestalten auf sie zu gerannt. Ohne ihre Gesichter sehen zu können wusste ich wer es war. An vorderster Front Chad, dahinter Lynn und dann Goldy und Wayne. Die Karrieros. Keine zehn Meter waren sie mehr entfernt und Luke bewegte sich immer noch nicht. Er starrte nur überrascht.

Troian schrie wieder, sie hing in der versteckten Leiter und rief ununterbrochen Lukes' Namen.

Auch ich versuchte mein Glück.

"Lu-", meine Stimme brach ab und ich krächzte. Was zum ... ?!

Dann waren die Karrieros da. Sie hatten Lynn wohl doch mehr Glauben geschenkt als erwartet und waren zurück gekommen.

Ich ging zu Boden.

Dann verwandelte sich die Zeit wieder in Sirup, so wie damals - damals - bei der Ernte als mein Name aus der Loskugel gezogen wurde, oder beim Kampf gegen Chad.

Mein angeknackster Knöchel vermochte mich wohl doch nicht ganz so gut zu tragen und ich fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden, wollte mich wieder mit den Händen auffangen.

Finnick Odair - The Hunger Games (Die Tribute von Panem)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt