Kapitel 26

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Der Weg zurück zum Fluss war kürzer als Ich erwartet hatte vielleicht eine viertel Stunde, höchstens, ich konnte die Zeit hier so schlecht einschätzen, es gab nur Tag und Nacht nichts dazwischen. Außer das nackte überleben. Aber was war das schon.

Mein Leben kam mir entweder unbedeutend oder zu wichtig vor, um es jetzt zu beenden. Oder in naher Zukunft.

Den kleinen Trampelpfad, welcher direkt zum Wasser führte, wurde nun immer häufiger von anderen gekreuzt und breiter getrampelt. Vielleicht war es nicht allzu sicher sich hier aufzuhalten.

Aber dieser Weg führte direkt zum Füllhorn, wenn nicht, oh Wunder, die Grashalme über Nacht nachgewachsen wären. Was, wie ich zugeben musste, mich nicht wirklich wundern würde.

Das hier war Panem, die Arena. Da war nichts normal.

Das schlammige Ufer war schnell erreicht und zur Sicherheit schwamm ich rüber ans andere Ufer, falls plötzlich einer von hinten kommen würde.

Das Wasser war noch immer angenehm kühl, so wie gestern und tat gut, doch ich hatte das Gefühl das es schon wärmer geworden war. Am Ende der Spiele würde das hier keine Erfrischung mehr sein. Sondern ein lauwarme Brühe.

Die schwache Strömung zog sanft an meinen Kleidern und ich ließ mich ein wenig den Fluss hinunter treiben, wo die Strömung plötzlich stärker wurde. Das sanfte Flüsschen würde sich mehr und mehr in einen reißenden Strom verwandeln.

Schnell schwamm ich an Land und musste dabei ganz schön viel Wasser schlucken.

Endlich wieder auf dem Trockenen fühlte ich mich wieder sicher, was sonst eher umgekehrt der Fall war. Ich liebte das Wasser. Aber dieser Strom war anders, er machte mir fast etwas Angst.

Schnell füllte ich die Flaschen auf und zog abermals die Armschienen fester, vom Wasser war das Leder aufgequollen. Oder aus was auch immer sie bestanden, denn das konnte kein Ledern sein, obwohl es so aussah und sogar so roch. Aber es war viel zu elastisch und geschmeidig, fast wie Seide.

Obwohl ich diesen Stoff nur ein einziges Mal in der Hand gehabt hatte wusste ich dennoch noch ganz genau wie er sich anfühlte, leicht und fließend wie Wasser.

Damals waren wieder die Kaufleute in unseren Distrikt gekommen, das war ein besonderes Ereignis, jedes mal denn sie kamen höchstens zwei Mal pro Jahr, einmal im Sommer und einmal im Winter.

Dieses Mal war es Sommer und Annie und ich schlenderten über den Markt. Von ihren Eltern hatten wir etwas Geld bekommen und gingen gerade so gemächlich an den Verschiedensten Ständen mit bunter Kleidung oder kräftigen, saftig aussehenden Früchten. Spielzeug für die Kleinen, Bücher für die etwas Älteren und meist Dinge aus anderen Distrikten für die Erwachsenen. Die Distrikte 1 bis 4 waren die einzigen, in die die Händler noch reisen durften. Verstehen konnte ich das zwar bei Distrikt 3, aber nicht bei den anderen.

Aus Distrikt 3 kamen die ganzen Genies und die brauchten dieses Zeug vielleicht zur Inspiration. Was und anderen drei betraf waren wir wohl einfach nur die Lieblinge des Kapitols.

Annie jedenfalls liebte Bücher und die damit verbundenen Abenteuer, damals an diesem heißen Sommertag war sie erst acht gewesen und konnte schon sehr gut lesen, aber ich half ihr natürlich des öfteren dabei, da sie ja eine Klasse unter mir war.

Das Kapitol und die Regierung verboten natürlich solche Abenteuerbücher. Darin konnte man zum Beispiel die Ansätze für eine Rebellion finden oder noch schlimmer, Leute die gegen das System waren und ihren eigenen Kopf hatten, alles hinterfragten.

Wir wussten beide, das es verboten war diese Bücher überhaupt zu besitzen, aber wenn man nur an der richtigen Stelle fragte kam man auch an solche.

Ihre Errungenschaft damals war das Buch namens ... meine Erinnerung kam ins Stocken, ich ging das Alphabet durch ...

a, b, c, d, e, f, g, h ... h? H!

Harry Potter, ja genau so hieß es! Harry Potter und ... ach Gott irgendwas mit einem Gefangenen der sich allerdings nachher als Onkel oder so etwas heraus stellte und Magie! Ach was für eine tolle Welt. Wir hatten zwar nicht alles verstanden, denn das war bestimmt ein Teil einer Reihe oder Serie, aber es war einfach fantastisch und Annie wollte es einfach nicht mehr aus der Hand geben.

Die Blätter waren gelb und verblichen, man konnte einige Sachen nicht mehr gut lesen und der Umschlag war irgendwann mal mit Wasser in Berührung gekommen, denn er war wellig und verschmiert, aber dennoch das tollste Buch der Welt.

Ich schloss meine Augen und hatte das Gefühl das Buch in den Händen zu halten, die spröden Seiten waren das beste was in diesem Moment existieren konnte.

Aber als wir es dann bei einer schrulligen alten Dame mit goldenen Zähnen gekauft hatten, schlug Annie es übereifrig auf und ein Stück Stoff fiel heraus.

Es war leicht, dünn und lila Farben.

Als ich es aufhob fühlte es sich an wie gewebtes Wasser und ich stand da wie erstarrt, strich sanft und langsam über diesen wundervollen Stoff. Bis Annie ihn mir plötzlich aus der Hand nahm. Sie lächelte mich schief an.

"Finnick? Alles okay?", sie lächelte, oh wie sehr ich dieses Lächeln einfach vermisste.

Ich stand da, verdattert und noch nicht ganz beisammen.

Die Verkäuferin und Annie lächelten mich sanft an, als wollten sie mich beruhigen. Annie machte Anstalten den Stoff der Verkäuferin zurück zu geben und plötzlich hatte ich angefangen wie am Spieß zu schreien, wie ein Besessener.

"Nein Annie du darfst es nicht weg geben! Nein bitte nicht!", ich war vorgesprungen und hielt unmittelbar inne, als die beiden mich befremdlich anstarrten. Auch andere Marktbesucher schauten zu uns herüber.

In diesem Augenblick wurde mir klar was ich getan hatte und errötete peinlich berührt.

"Tut ... tut mir Leid" hatte ich gestammelt. Doch die Verkäuferin hatte gelächelt und ihre goldenen Zähne gezeigt, sich nach vorne gebeugt und mir das Stück Stoff in die Hand gedrückt.

"Deine Freundin hat das Buch soeben gekauft und somit auch dieses Stück Stoff hier", sie drückte kurz meine Hand "und wenn sie erlaubt werde ich es dir jetzt schenken, das ist Seide", daraufhin hatte sie mir über den Kopf gestrichen, ich hatte Annie bei der Hand genommen und war so schnell wie nur möglich von diesem Stand weg.

"Oh Mann Finnick!", Annie ließ meine Hand los, doch anstelle mich tadelnd anzusehen grinste sie schelmisch und rief theatralisch "Oh nein tue es nicht, gib es ihr nicht zurück, mein Leben hängt davon ab!", sie legte sich die eine Hand auf die Brust und mit der anderen machte sie eine all umfassende Geste.

"Oh Mann ... echt war ich so peinlich?", sie nickte lachend und mein Gesicht wurde noch eine Spur röter. "Oh Gott", am liebten wäre ich im Erdboden versunken.

Annie lachte und umarmte mich.

Damit war die Erinnerung vorbei und ich war wieder im Hier und Jetzt, an diesem Fluss und starrte in die sich auftürmende Gischt, packte meine Sachen zusammen und ging Storm aufwärts, zurück zu meinem kleinen Trampelpfad, der mich hoffentlich zurück zum Füllhorn bringen würde, denn ich brauchte etwas zu Essen. Das stand jetzt an erster Stelle und direkt danach: Luke finden.

Ich fand die Stelle und watete durch das hier nicht mehr so stark fließende Wasser auf die andere Seite, folgte dem Weg ein Stück und lief weiter und weiter. Die Sonne stand schräg am Himmel, es war hier also gerade kurz vor Mittag. Vielleicht würde ich es noch bis zu Füllhorn schaffen bevor die Sonne unterging.

Schnell noch einmal die Waffen überprüfen und los geht's.

Finnick Odair - The Hunger Games (Die Tribute von Panem)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt