#160 Rein hypothetisch

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Nicht nur Isadora dachte so.
Auch Gaston und Eleonor hatten Erfahrungen mit Ungeduld diesbezüglich.
So war es Eleonor der sich leicht besorgt erkundigte: "Amor hat jetzt nicht sein erstes Mal in den Lustgärten von Tibur?"
"Zuzutrauen wäre es ihm" erwiderte Isadora achselzuckend.
Doch Evasan hielt das nicht für wahrscheinlich: "Da gehören ja zwei dazu. Und nach allem was ich über Emeran weiß, wird der das nicht machen. Schon garnicht, wenn er weiß, dass das Amors erstes Mal wäre..."
"Das ist beruhigend zu hören... irgendwie..." meinte Isadora nun dazu.

Sivur hingegen war überrascht, dass Roman nicht gleich das Weite gesucht hatte nachdem er bei dessen Freunden ja nun nicht so gut angekommen war. Woraus er auch kein Geheimnis machte.
"Ich muss zugeben, ich bin ein wenig überrascht, dass du nach dem Empfang den deine Freunde mir bereitet haben mich immernoch näher kennenlernen willst" meinte er zu Roman noch bevor sie beim Buffet angekommen waren.
"Nun" erwiderte der, "erstens ist das mit Freunden so eine Sache. Schau, ich bin vom Alter her von allen Divinobles gute hundert Jahre entfernt.
Die älteren sind mindestens soviele Jahre älter als ich, die jüngeren ebenso viele Jahre jünger. Für die älteren werde ich immer der Jungspund sein und für die jüngeren werde ich zwar als einer von ihnen gesehen, aber das ändert halt nichts daran, dass ich in Kindheit und Jugend irgendwie alleine war, beziehungsweise die Freunde aus der Zeit nun längst nicht mehr sind..."
Sivur verstand das und er verstand beinahe intuitiv noch etwas: "Irgendwie erklärt das, warum ihr Divinobles so gerne die Kontrolle habt..."
"Wieso?" verstand Roman nicht worauf er hinauswollte.
"Nun, wenn man schon in weniger als dem ersten Zehntel seines Lebens alle Freunde aus Kindheit und Jugend verliert" erklärte er, "dann sind das doch enorme Verlusterfahrungen bei denen es nachvollziehbar ist, dass daraus für folgende Beziehungen ziemliche Verlustängste resultieren..."
So hatte Roman das noch nie gesehen. Je mehr aber er darüber nachdachte, desto mehr allerdings kam er zu dem Ergebnis, dass Sivurs Analyse – leider – absolut zuträfe.
Mit den Worten "Und was ist der zweite Grund?" holte Sivur ihn wieder aus seinen Gedanken.
"Zweiter Grund?" wiederholte Roman verwirrt, dann fiel es ihm aber wieder ein: "Ah... Ja ich mache mir gerne selber ein Bild. Ich habe schmerzlich gelernt, dass man nicht nur auf das hören sollte, was andere sagen. Denn andere haben oft auch eigene Motive etwas zu behaupten oder auf eine bestimmte Art und Weise darzustellen, die auch nicht immer zu einem Bild nahe an einer objektiven Betrachtung führen...."
Sivur, der einen Teil seiner Schulzeit in Bytown in Angevinien verbracht hatte, wusste sofort wovon Roman sprach.
Die Entsendung des Apostolions Roman ab Tavolam nach Angevinien war im Geschichtsunterricht sowohl in Sore als auch in Angevinien unterrichtet worden. Allerdings gab es da große Unterschiede. Während in Angevinien der Tenor war, dass der arme Apostolion bewusst fälschlich gebrieft worden war und dann, das ihm gesagte nicht hinterfragend, sozusagen eskalierend von einem Fettnäpfchen ins nächste getrudelt war, wurde das ganze in Sore als eine Reihe von Missverständnissen gewertet die nicht zuletzt auf die politischen Fehler von Terastan ab Apollam zurückzuführen waren.
Auch wenn Roman sich ihm als ab Iuniam und nicht als ab Tavolam vorgestellt hatte, Sivur wusste sehr genau, dass Divinobles es vermieden ihrem Kind einem Namen zu geben, den schon einmal ein anderer Divinoble trug. Oder anders gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass es mehr als einen Roman gab und gegeben hatte war gleich Null.
Insofern konnte er davon ausgehen, dass dieser Roman der gerade mit ihm zum Buffet lief, genau der Roman war, der damals als Apostolion fungierte.
"Das verstehe ich" versicherte er Roman also, "und außerdem freut es mich..."
Was den wiederum auch freute.
Was wiederum dazu führte, dass sie sich in erstaunlicher Harmonie durch die Höhepunkte des Buffets frassen, bis sie sich endlich jeder mit einem Glas Dulcisabaia¹ in der Hand ebenfalls draußen in den Lustgärten von Tibur wiederfanden, wenn auch nicht am selben Platze wie Emeran und Amor.

Sivur hätte später garnicht erklären können warum er das machte, aber plötzlich lehnte er sich immer mehr an Romans Flanke, ja begann sich da völlig anzukuscheln – bis er merkte wie dieser plötzlich erstarrte.
"Was ist" fragte er etwas verwundert, "gefällt dir das nicht?"
Mit einer etwas rauen und belegten Stimme erwiderte der: "Oh doch, es gefällt mir. Ich habe nur Angst, dass es mir mehr gefällt als es dir zur Zeit gefällt..."
"Oh, ich bin nicht prüde oder so, ich weiß sowas schon zu genießen" merkte Sivur an.
"Das bezweifle ich nicht" entgegnete Roman ihm, "ich habe nur Angst davor, dass du mir zu sehr gefällst dabei..."
"Wie meinst du das?" war sich Sivur unsicher worauf er hinaus wollte.
"Nun, mein Pator... Hernan..." begann Roman stockend eine Erklärung, "alle meinen er habe meinen Mator... also den Caruso... Marlur Caruso... er habe ihn aus reiner Berechnung an sich gebunden... also ohne ihn zu fragen... ihn gebissen...  so gebissen... wenn du verstehst was ich meine..."
"Ja, als er ihn einfach zu seinem Uxvir gemacht hat" antwortete Sivur, "aber du, du denkst das nicht?"
"Ich weiß nicht...." fuhr Roman unsicher fort, "ich denke er hat ihn geliebt. Vielleicht hat er das nie so richtig zeigen können... vielleicht hat sein Umgang mit meinem Mator... also Marlur... vielleicht hat der nicht danach ausgesehen...
...aber ich bin mir nicht sicher ob ihm in dem Moment als er ihn ungefragt... als er ihn..."
"Als er ihn einfach gebissen hat und ihn gebunden hat?" warf Sivur ein.
"Genau..." erklärte Roman erleichtert, "ich weiß einfach nicht ob es ihm da nicht einfach so sehr gefallen hat, dass er seiner Instinkte als Divinoble nicht mehr Herr war...
...das klingt vielleicht bescheuert, aber wenn man mehr empfindet als nur das körperliche Begehren, dann ist der Drang sehr stark.... der Drang... einfach halt..."
"Denjenigen mit dem man gerade Liebe macht zu binden?" half ihm Sivur erneut auf die Sprünge.
"Der Drang..." bejahte Roman, "ich verstehe wenn du mir das nicht glaubst... oder jetzt denkst ich denke mir eine Entschuldigung aus weil ich vorhabe...
...aber der Drang ist da. Ich weiß, dass er bei Trevan ab Somnia in Bezug auf Siman ab Chiberam so stark war, dass sie für Siman eine ledernen Nackenschutz haben anfertigen lassen damit dieser ihn schützt wenn Trevan die Beherrschung verliert...."
"Ich glaube dir" versicherte ihm Sivur, "ich wundere mich nur, wie die das in der Holite handhaben..."
"Genau weiß ich das nicht" erwiderte Roman und errötete leicht, "aber ich glaube der Drang erlischt wenn man sich einmal gebunden hat zumindest solange der Gefährte dann lebt."
"Das wäre zumindest eine logische Erklärung" pflichtete Sivur ihm bei.
Kurz schwiegen sie. Dann meinte Sivur kichernd: "Ihr Divinoble habt echt schon Glück, dass euer Biss so eine enorme biochemische Wirkung auf männliche Menschen hat."
"Wieso?" meinte Roman.
"Na, stell dir mal vor, das wäre nicht so" erwiderte Sivur, "du verguckst dich, beißt den, bindest dich an ihn und den lässt das völlig kalt.
Du hast das Gefühl ohne ihn nicht leben zu können und er sieht in dir nur einen lästigen, zudringlichen, arroganten Kerl der ihm echt auf den Sack geht.
Du kannst nicht anders als dich zu ihm hingezogen zu fühlen, du gehst zu seinem Haus, du klingelst voller Hoffnungen und Erwartungen. Und er macht kaum die Tür auf, nennt dich einen Cul simiam² und als du versuchst reinzukommen, tritt er dir vor das Schienbein und macht die Tür wieder zu und verriegelt sie..."
"Du hast eine wirklich lebhafte Phantasie" meinte Roman da nur, "aber das wäre echt bitter für die Divinobles wenn das so wäre. Allerdings, die Bindung erzeugt zwar eine gewisse Abhängigkeit beim betroffenen Menschen und unter dem akuten Einfluss des Divinpotions auch ein gewisses Verlangen. Aber Zuneigung und Liebe geht nicht automatisch damit einher."
"Also kann sowas passieren?" staunte Sivur.
"Begrenzt ja, irgendwann macht sich bei dem betroffenen Menschen halt der Entzug bemerkbar und der beeinflusst dessen freie Willensentscheidung halt schon..."
"Dann gab es schon Divinobles die sich mit der vom Entzug getriggerten Illusion einer Zuneigung zufrieden gegeben haben?" war Sivur nun entsetzt.
Roman nickte: "Natürlich gab es die. Mein Pator..."
"Das ist gruselig und entsetzlich zugleich" fand Sivur.
"Das ist es allerdings" pflichtete Roman ihm bei, "ich hoffe du verstehst nun, warum ich so vorsichtig bin."
"Ja" grinste der, "du willst nicht jaulend und winselnd vor meiner Tür stehen und mich sagen hören 'Diluafaceres tei ab mio xyston!'³"
"Höi" maulte Roman, seine Augen grinsten dabei aber weiter, "ich will vor allem nicht, dass du mich gegen mein Schienbein trittst und mich als Culoforamun simian⁴ titulierst."
"Immerhin, du traust mir zu, dass ich dir gegen das Schienbein trete" spöttelte Sivur.
"Schwach wirkst du jetzt nicht gerade" konterte Roman, "und ich bin ohnehin schon dabei bei dir schwach zu werden. Aber ich werde bestimmt nicht winselnd auf deinem Xyston herumschleichen!"
"Was würdest du dann machen, rein hypothetisch gedacht" erkundigte sich Sivur.
"Rein hypothetisch gedacht?" rückversicherte sich Roman, "ich befürchte ich würde tatsächlich vor deiner Tür rumjammern und mich dann, so das erfolglos bliebe, kräftig selbst bemitleiden und mich in mein Zuhause zurückziehen und depressiv herumhängen."
"Oh, du bist ein Madidor⁵" stellte Sivur süffisant fest, "dass es sowas bei Divinobles gibt..."
"Es gibt sogar divinoble Accciperors⁶" entgegnete Roman, "da sollten Madidors dich nicht verwundern."
"Auch wieder wahr" gab Sivur zu.
"Oder hättest du lieber, rein hypothetisch gedacht, dass ich dir meine Zähne in den Nacken ramme und dich mit selbigen aus deinem Zuhause, über dein Xyston hinab auf die Straße und dann in mein Zuhause zerre?" erkundigte sich nun Roman seinerseits medisant.
"Musst du dafür nicht erst kommen?" erkundigte sich Sivur.
"Um Zähne zu haben?" war Roman nun schlagfertig, "nee, die sind immer da. Schau!" Sprach es und bleckte seine Zähne.
Mit übertrieben geschauspielertem Interesse schaute Sivur auf sein Gebiss, dann sprach er in einem Tonfall als würde er die Ergebnisse langjähriger Forschung verkünden: "Die sehen echt stabil aus. Ich befürchte – rein hypothetisch – die würden mir weh tun..."
"Siehst du, und genau das will ich vermeiden" merkte Roman ab.
"Was vermeiden?" verlor Sivur schon wieder den roten Faden.
"Dir weh zu tun" erklärte Roman.
"Also versuchen wir uns nicht weh zu tun" resümierte Sivur.
"Das ist der Plan" bestätigte Roman.

Und das war der Moment, von dem Sivur später behaupten würde, dass er sich in Roman verliebt hatte.
Aber zu der Erkenntnis war er in diesem Moment noch nicht gekommen.
Roman allerdings war zu genau dieser Erkenntnis schon gekommen. Das machte die Sache aber nicht einfacher für ihn, wollte er doch um alles in ganz Bumia vermeiden denselben Fehler wie sein Pator zu machen. Oder auch nur denselben wie Nathon. Oder überhaupt irgendeinen Fehler.

¹Dulcisabaia = eine sorenische Nachspeise aus Milch, Zucker, Eiern und Vanille die mit einem mit Obstsaft, Irepo oder Catalauner verfeinert werden kann und mit einer Cremehaube versehen im Glas serviert wird.
²Cul simiam = Affenarsch
³Verdünnisier dich von meiner Terrasse
⁴Culoforamun simian = Affenarschloch
⁵Madidor = Softie, Weichei
⁶Acciperor = Bottom

Das Erbe der Götter (zensierte Variante)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt