Am nächsten Morgen lasse ich mir einen doppelten Espresso raus und schütte Hafermilch darauf. Ich habe heute Nacht kein Auge zu gemacht. Immer wieder musste ich an den Schatten denken. Was wenn ich einen Stalker habe?
Obwohl der Weg zum Diner kurz ist, sollte ich vielleicht ab jetzt mein Fahrrad nehmen.
Aber warum sollte mich jemand verfolgen und noch wichtiger wer?
Ich lasse meine Haare offen und kämme sie nur kurz mit den Fingern, aber ich schminke mich wie immer. Obwohl ich eigentlich keine Energie habe.
Mit dem Fahrrad dauert es heute doppelt so lang zu Schule, weil meine Beine auch müde sind.
„Was ist los?", fragt Charlie mitfühlend, als wir von den Fahrradständern zur Schule laufen.
„Ach, ich weiß auch nicht.", murmle ich.
Aus irgendeinem Grund will ich meinen Freundinnen nicht von meiner Paranoia erzählen.
„Sag schon.", fordert Brianna sanft.
„Einfach schlecht geschlafen."
In der ersten Stunde haben wir Mathe. Als Will mich sieht, lacht er. „Hast du keine Bürste, Merida?"
Spottend grinse ich ihn an. „Weißt du was? Ich frage mich, woher du die Namen von diesen ganzen Disney Prinzessinnen weißt."
Alle Umstehenden lachen. Nimm das, William.
Ich setze mich an meinen Platz und lasse meine Haare vor mein Gesicht fallen, um mein Grinsen zu verstecken.
In der Pause erzählt uns Gabe, dass gestern sein Fahrrad und das seines Bruders aus ihrer Garage geklaut wurden. Ich beteuere nach den neongrünen und silbernen Mountainbikes Ausschau zu halten. Aber ich denke mir nichts dabei.
Bis ich nach der Schule zum Fahrradständer laufe und mein rostiger Drahtesel weg ist.
„Das kann nicht wahr sein. Scheiße!", fluche ich.
Bri, Charlie, Connor und Gabe suchen mit mir nach meinem Rad, aber ohne Erfolg.
„Das war bestimmt der gleiche, der unsere Fahrräder geklaut hat.", sagt Gabriel.
Ich nicke schwach. „Aber warum mein uraltes Schrott-Rad?"
Charles schaut mich entschuldigend an. „Weil du es nie fest machst, Ari."
„Ja, weil ich nicht gedacht hab, dass jemand das alte Ding klauen würde!" Ich lehne mich gegen den Fahrradständer und vergrabe das Gesicht in den Händen. „Jetzt muss ich zur Schule laufen. Shit."
Bri streichelt sanft meinen Rücken. „Vielleicht bringt der Dieb es zurück."
Ich schüttle den Kopf. Brianna glaubt immer an das Gute in Menschen.
„Du kannst heute bei mir auf dem Gepäckträger mitfahren.", meint Charlie. „Und dann suchen wir dir auf Ebay ein neues Rad."
Aber ich will kein Geld für sowas ausgeben. Ich muss doch sparen.
Dankend lehne ich ab, denn ich muss eh noch einkaufen gehen. Wenn ich etwas vernünftiges essen will, muss ich selbst einkaufen gehen. Mein Vater kauft nur Alkohol von dem Geld, das er vom Staat bekommt.
Auf halbem Weg zum Supermarkt beginnt es in Strömen zu regnen. Super. Heute scheint mein Glückstag zu sein. Und ich trage nur ein langärmliges Shirt und Jeans. Super.
Dann werde ich auch noch angehupt. Ich ignoriere es. Beim zweiten Hupen drehe ich mich sauer zu dem Auto um, das in Schrittgeschwindigkeit neben mir herfährt.
Ich sehe einen mir unbekannten Typ am Steuer. Tätowiert sogar im Gesicht und lange Haare halb bedeckt von einem Beanie. Und daneben sitzt Will.
Ich beschleunige meine Schritte, aber natürlich kann das Auto mithalten.
Dann lässt der Typ das Fenster runter.
„Wir nehmen dich mit, Mulan.", höre ich Will.
„Nein, danke.", rufe ich.
„Komm schon. Du bist durchnässt.", sagt der unbekannte Beanie-Typ.
„Nein, danke."
Dann hält der Wagen, aber ich laufe weiter. Ich höre eine Autotür zuknallen und beschleunige meine Schritte.
„Hey Belle, warte!"
Plötzlich joggt Will neben mir. „Kannst du kurz stehen bleiben?"
Ich laufe weiter.
„Ari bitte."
Ruckartig bleibe ich stehen. Noch nie hat mich Will bei meinem Namen genannt. Weder Ari noch Arielle. Und das seit er vor einem Jahr hierher gezogen ist. Seit er mich das erste mal gesehen hat, hat er mich verspottet und war fies zu mir. Er hat mich auch noch nie angefleht.
Verwirrt schaue ich ihn an, wie er jetzt vor mir steht und sein graues Shirt immer dunkler wird, genau wie sein eigentlich hell- jetzt dunkelbraunes Haar.
In seiner Hand hält er eine Jacke. Er streckt sie mir entgegen und mustert mein Gesicht. Ohje. Bestimmt ist mein Makeup verlaufen.
„Was willst du?", frage ich.
„Nimm einfach die Jacke, okay?"
Zaghaft nehme ich die Jacke.
„Zieh sie an."
Ich ziehe die Jacke an. Will kommt einen Schritt näher und zieht die Kapuze über meinen Kopf.
Dann nickt er einmal und geht.
Ich höre wieder das Knallen der Autotür und dann fährt der Wagen weg.
Was zum Teufel war das?
Mit der Regenjacke ist der Rest des Weges um einiges angenehmer. Aber ich zerbreche mir den Kopf, warum Will gerade nett zu mir war, wenn er mich doch hasst. Und was für komische Freunde hat er?
Ich kaufe planlos irgendwelche Sachen ein. Dann fahre ich mit dem Bus nach Hause. Jetzt erhellen sogar Blitze den Himmel.
Als ich nach Hause komme, muss ich durch das Wohnzimmer in die Küche, um die Einkäufe zu verstauen.
„Arielle.", sagt mein Vater, sobald er mich sieht. Ich zucke zusammen. Dann folgt er mir in die Küche. „Warum bist du erst so spät da?"
„Ich war noch einkaufen.", sage ich, während ich das Gemüse verstaue.
„So lang?"
Shit.
„Ich musste laufen.", gebe ich zu.
„Warum?", ruft mein Vater. Ich rieche den Alkohol in seinem Atem.
„Mein Rad wurde geklaut."
Er packt meinen Arm. „Du kannst nicht mal auf deine Sachen aufpassen. Zu was bist du eigentlich gut?"
Ich schlucke meine Tränen runter. Bleib stark, Ari.
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Broken Bonds
Teen FictionAri hat viele Jobs und kommt aus zerrütteten Familienverhältnissen. Will scheint das Gegenteil zu sein. Er scheint Ari zu hassen und droht ihr. Aber dann kommen die beiden sich näher. Es kommen Geheimnisse ans Licht, die die beiden auseinander oder...