Kapitel 37

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Bevor ich zu der Katze auf dem Behandlungstisch gehe, wasche und desinfiziere ich meine Hände. Dann ziehe ich die Handschuhe an. Dr. Sanchez, oder Rosa wie ich sie nennen darf, bereitet schon die Spritze vor. Meine Aufgabe ist es, die schwarze Katze zu beruhigen und festzuhalten.

Langsam gehe ich auf sie zu und zeige meine behandschuhten Hände. Dann streichle ich sanft ihren Kopf und sie schnurrt. „Du bist ja eine ganze Liebe."

Weiter streichle ich sie und rede mit ihr. Und halte sie fest, als Rosa mit der Spritze kommt. Sie bleibt ruhig. Puh, heute mal keine neuen Kratzer.

„Das hast du super gemacht.", sage ich dann.

„Sie machen das toll.", sagt die Besitzerin an mich gerichtet.

Glücklich lächle ich. „Danke."

Es macht Spaß. Die Arbeit in der Tierklinik macht mir unheimlich Spaß. Aber ich werde nie Tierärztin werden können. Naja, vielleicht irgendwann...Wenn ich die Schule nachhole und mir irgendwann die Studiengebühren leisten kann.

Aber erstmal muss ich mich nur über Wasser halten. Nicht auffallen. Was schwer ist, wenn überall in der Stadt Plakate mit meinem Gesicht hängen.

Deswegen habe ich meine Haare abgeschnitten. Jetzt fallen sie in einem langen Bob auf meine Schultern. Oh, und sie sind schwarz. Eine Tönung, die ich gekauft habe.

Nachdem wir noch eine Schildkröte und einen Golden Retriever behandelt haben, können wir nach Hause gehen. Rosa und ich verlassen die Tierklinik, wobei ich mir meine Kapuze über den Kopf ziehe.

Auf dem Weg zu ihrer Wohnung gehen wir an duzenden Plakaten vorbei. Bei jedem muss ich an meine Freunde und Will denken, die sie aufgehängt haben. Sie müssen sich unheimliche Sorgen machen und ich fühle mich wirklich schlecht. Aber was waren meine Optionen?

Ich wollte nicht sterben.

Rosas Wohnung liegt im Rosen Distrikt. Es ist ein Backsteinhaus und ihre Wohnung ist ganz oben und hat die Dachterrasse. Dort pflanzt sie ganz gemäß dem Namen Rosen an.

Ich schlafe im Büro auf einer Luftmatratze. Das ist für's erste super. Bald werde ich weiterziehen in eine Stadt weiter weg und in eine eigene kleine Wohnung oder vielleicht eine WG.

Als wir nun in ihre Straße einbiegen, erkenne ich vier Gestalten vor dem Haus. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Aber ich glaube nicht, dass mein Vater unter ihnen ist.

Eine Silhouette löst sich aus der Gruppe. „Ari?", ruft die Person und rennt los.

Oh mein Gott. Es ist Will.

Auch ich renne los. Wir treffen uns in der Mitte und er umfasst meine Arme und mustert mich. Ich schaue ihn ebenfalls an. Und trotz des Dämmerlichts: Es ist wirklich Will. Mein Will. Er hat mich gefunden.

Ich bekomme zwar mit, dass noch andere Menschen um uns herum stehen, aber ich kann nur Will anschauen. Er sieht fertig aus. Tiefe Augenringe unter seinen Augen, blass und seine Haare sind etwas zu lang.

Er hält mich von sich weg und sucht meinen Körper nach Verletzungen ab, aber außer ein paar Kratzern wird er keine finden.

Dann flüstert er „Rapunzel." und schließt mich so fest in die Arme, dass es weh tun sollte. Aber ich bin viel zu erleichtert, ihn zu sehen. Ich dachte, das würde ich vielleicht nie wieder.

Seine eine Hand liegt auf meinem Rücken und die andere drückt meinen Kopf an seine Brust. „Du hast mir solche Angst gemacht.", flüstert er in mein Ohr. „Mach das nie wieder. Das nächste mal, wenn du abhaust, komme ich mit."

Meine Hände auf seinem Rücken drücken ihn noch fester an mich. „Es tut mir leid." Meine Tränen durchnässen seinen Hoodie.

„Ari.", höre ich irgendwann eine bekannte Stimme.

Schnell löse ich mich von Will und sehe Connor vor mir stehen. Ich falle ihm in die Arme. „Con."

Er drückt mich fest an sich. „Es tut mir so leid."

Verwirrt löse ich mich von ihm. „Was tut dir leid?"

„Ich war es. Ich hab Mr. Clarke von deinem Vater erzählt."

Was? Es war gar nicht Will? Es war Con. Als erstes spüre ich Wut, aber dann...realisiere ich, dass er es aus Liebe getan hat, dass er mir helfen wollte. Connor war schon immer für mich da, hat sich immer um mich gesorgt. Er ist mein bester Freund.

Eine einzelne Träne läuft über seine Wange.

„Es ist okay.", lächle ich.

„Echt?"

Mit meinen Fingerspitzen streiche ich die Träne weg. „Ja. Danke, Con."

Dann sehe ich Henry und Nader. Ich umarme beide fest.

„Wir sind so froh, dass wir dich gefunden haben und es dir gut geht.", sagt Henry und wuschelt durch meine kurzen Haare. „Und coole Frisur."

Rosa schlägt vor, dass wir nach drinnen gehen. Als wir die Treppen hochgehen, verschränkt Will seine Hand mit meiner.

Wir setzen uns auf die Dachterrasse. Dort hat Rosa eine Couch, einen Tisch und Stühle.

Will setzt sich dicht neben mich auf das Sofa und lässt meine Hand nicht los.

„Was ist passiert, Ari?", will Nader wissen.

Ich schlucke schwer. „Das wisst ihr doch schon, oder?" Wahrscheinlich weiß inzwischen jeder von meinem Vater.

„Ja.", sagt Nader entschuldigend. „Aber erzähl uns alles. Also...wenn du willst."

„Okay. Am Montag hat mich Mr. Clarke in sein Büro gerufen.", beginne ich. „Er hat mir erzählt, dass jemand, Connor, erzählt hat, dass mein Vater mir weh tut. Ich wusste, dass wenn die Schule ein Gespräch mit meinem Vater führt, er mich...er mir weh tun wird."

Will drückt meine Hand fester.

„Deshalb musste ich schnell handeln. Ich hatte immer diesen Plan. Genug Geld zu sparen, dass ich abhauen und ein neues Leben weit weg anfangen kann. Ich dachte, nun muss ich diesen Plan eben schneller umsetzen. Und es hat so weh getan, euch alle zurückzulassen und im Unwissen zu lassen. Aber es musste alles schnell gehen. Bevor Mr. Clarke am Mittwoch meinen Vater anrufen würde, musste ich weg sein. Also habe ich Miguel um Hilfe gebeten, weil er mir mal erzählt hat, dass seine älteste Tochter in der Stadt wohnt."

Ich lächle Rosa an, die in den letzten Tagen eine gute Freundin geworden ist. „Dann bin ich mit dem Zug zu Rosa gefahren, mitten in der Nacht. Und ich durfte bei ihr wohnen und arbeiten."

Nader schaut mich mitfühlend an. Dann zückt er sein Handy. „Ich rufe kurz Charlie und Brianna an."

Ich nicke. „Okay." Dann wende ich mich Will zu. „Wo ist mein Vater?"

Sein Gesicht verzieht sich. „Im Gefängnis. Aber sie werden ihn gehen lassen, wenn du wieder auftauchst." Er legt seine Hand an meine Wange. „Du musst bei mir einziehen. Damit ich dich beschützen kann."

„Oder ich gehe nicht zurück."

„Was?"

Entschuldigend sehe ich ihn an. „Mein Vater weiß nicht, wo ich bin. Ist das nicht am sichersten? Ich ziehe in eine andere Stadt und mache ein Tanzstudio auf. Ich könnte endlich frei sein."

Mal wieder sehe ich, wie sein Herz etwas bricht. Das habe ich in letzter Zeit zu oft gesehen. Aber er nickt. „Wenn es das ist, was du willst. Aber wir müssen der Polizei Bescheid geben. Sie können dir eine neue Identität geben."

„Du kommst nicht zurück, Ari?", fragt Connor.

Bedauernd schüttle ich den Kopf. „Aber wir können telefonieren und vielleicht könnt ihr mich auch manchmal besuchen."

Nader kommt zurück und sagt: „Bri und Charles sind erleichtert. Und Brianna hat Streit mit Gerrrett, weil er sich geweigert hat, sie hierher zu fahren. Aber ich hab ihnen gesagt, dass sie nicht herkommen sollen. Wir sollten jetzt auch bald nach Hause oder?"

Will wirft Nader seinen Autoschlüssel zu. „Fahrt ihr. Ich bleibe und gehe morgen mit Ari zur Polizei."

Broken BondsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt