Er kam zu mir näher, platzierte mir einen Kuss auf die Stirn und bedankte sich. Als er das Zimmer verließ blieb ich noch wie versteinert stehen. Ist das Alija? Ist das mein Bruder, dem ich immer egal war? Ist das der Bruder, der mich nie beachtete? Ja, das ist er. Aber ich kann ihm doch nicht einfach so verzeihen, oder? Ich mein, dafür ist zu viel passiert. Ich habe zu oft wegen ihm gelitten. Habe unnötige Tränen vergossen. Habe mich im Endeffekt nur selber zerstört und mich wieder aufgerappelt. Er tut einfach so, als sei nichts passiert. Als sei alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber nicht mit mir Freundchen. Ich brauche noch Zeit um dies zu verarbeiten. Um Vertrauen aufzubauen. Um---
„Adiii! Wo bleibst du?!", schrie Emina nach mir und ich eilte sofort zu ihr. Nichts anmerken lassen, Adisa. Ich lächelte sie an. „Wir gehen jetzt.", verkündete Alija und nahm Aldin in seine Arme. „Bleibt doch noch."
„Nee, wir müssen wirklich gehen. Emina muss morgen wieder an die Arbeit und wir wollen uns noch erholen.", berichtete mir Samir und sie zogen sich die Schuhe an. „Komm gib Tetka noch einen Kuss.", befahl Alija seinem Sohn und streckte ihn zu mir. Der Schmatzer war echt laut und somit verließen sie die Türe. Ach ja, ich weiß nicht ob ich das erwähnt habe, aber Samir's Emina, ist die Emina, die vor paar Jahren einfach verschwunden ist. Als wir damals in Bosnien waren, hatte Samir es irgendwie geklärt, das sie wieder zurück nach Deutschland konnte, da sie und ihre Familie abgeschoben wurde.
Ich räumte das Wohnzimmer noch auf ehe ich Merisa anrief. „Hey, Merisa. Wann geht ihr zur Wiese?" „Wir gehen jetzt los, komm einfach nach. Wir werden dort auf den Stühlen sitzen. Du wirst uns schon erkennen."
„Okay, bis gleich." Wir legten auf und ich überlegte mir, ob ich nochmal was essen sollte, da ich nicht so gut gefrühstückt hatte und jetzt gleich Mittag ist.
Ich parkte mein Auto zwischen zwei Autos und spazierte dann zur Großen Wiese. Hier befand sich in der Mitte ein großer Wasserbrunnen mit Statuen, oder was das auch darstellen sollte, und außen rum befanden sich Stühle in verschieden großen Kreisen, Bänke und Decken, die Leute selber mit gebracht haben. Da es schönes Wetter war und die Sonne strahlte, waren hier auch schon viele Leute. Die Sonne störte mich kaum, da ich meine Sonnenbrille aufhatte.
Ich sah mich um und suchte meine Freunde. Als ich sie dann bemerkte, steuerte ich direkt auf sie zu. Ich hatte eine dunkel braune, zerfranzte Hotpants an, dazu noch ein beiges, lockeres Tanktop mit einer Schleife, meinen beigen hohen Sandalen an und meiner beigen Tasche.
Ich begrüßte die Runde und setzte mich neben Yeliz nieder. Links neben mir saß Ibrahim, der aber einen Meter von mir entfernt war. Neben ihm saß ein, mir unbekanntes Mädchen. Daneben Merisa, Mirsad, Can und dann Yeliz. „Adisa, das ist Lamija, meine Freundin.", stellte mir Merisa sie vor und ich begrüßte sie freundlich. Ich schielte zu Ibrahim rüber, der mich beobachtete. Ich drehte meinen Kopf direkt zu ihm, danit er bemerkt, dass ich seine Blicke spürte, als er sofort seinen Blick zu Lamija warf.
„Wo ist Adelisa?", fragte ich um die Stille zu brechen und ein Gesprächsthema zu öffnen. „Sie übernachtete heute bei Samira.", antwortete mir Mirsad.
„Kanntest du Adisa eigentlich schon davor oder hast du sie erst durch Merisa kennengelernt. Weil ihr seid irgendwie seltsam.", fragte Mirsad Ibrahim direkt. Ohne groß drumherum zu reden. Ibrahim und ich schauten uns an. Ohne Lächeln. Ohne Wut. Monoton.
Dann wandte er sich wieder an Mirsad. „Alte Schulbekanntschaft.", raunte seine männliche Stimme kurz und knapp. Bekanntschaft also. Keine Freundschaft. Soso. Gut zu wissen. „Schicksal das ihr euch wieder gesehen habt.", sagte Can und alle Augen sahen zu mir und Ibrahim.
„Unsere Eltern sind auch Freunde und früher oder später hätten wir uns eh gesehen. Aber es gibt ja viele Schulbekanntschaften. Um die fünf Hundert oder mehr. Man trifft sowohl die, mit denen man sich gut verstanden hat, aber auch die, mit denen man sich schlecht verstanden hat." Meine Stimme klang ernst und stark. Ich schaute zu Ibrahim, der immernoch emotionslos da saß. Er schaute auf den Boden und fande unsere Schuhe und das Gras viel interessanter.
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Adisa's Weg
Roman d'amourIn dieser Geschichte handelt es sich um ein Mädchen, mit einem Problem; ihre depressiven Gedanken, die sie bis jetzt unterdrücken konnte, tauchen wieder auf. Doch wird sie alles stehen und liegen lassen, um einen Neuanfang zu starten? Auch wenn sie...