Prolog

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Aus dem Fernseher ertönt ein Knistern, als das alte Video abgespielt wird, aufgenommen mit einer Kamera, die schon damals nicht mehr modern war. Die Qualität ist dementsprechend. Das Bild rauscht, doch darum geht es nicht. Der eingefangene Moment steht im Fokus. Ein kleines Mädchen hüpft lachend über den Strand. Ihre Füße sind voller Sand, weil sie sie bis eben noch ins Wasser gehalten hat. Ihre blonden Locken fallen auf ihre Schultern wie die eines Engels. Das weiße Kleid, das sie trägt, ist mit bunten Blumen bestickt und es fliegt um ihre kurzen Beine, wenn sie tanzt. In ihren Augen leuchtet die Freude. Mit der untergehenden Sonne über dem Horizont ist das Bild perfekt. Im Hintergrund raschelt es und alles wackelt, weil die Kamera  geschwenkt wird. Anscheinend läuft die Person, die sie hält, hinter dem Mädchen her. "Du bist langsam Papa!", ruft die Kleine ihm entgegen und winkt, bevor sie wieder zum Wasser läuft. Ihr Lachen klingt wie eine von Glocken gespielte Melodie. Wunderschön und zerbrechlich. "Niemand kann so schnell laufen wie du!", protestiert ihr Vater gespielt erschöpft und wird langsamer, "Ich kann nicht mehr." Mit besorgtem Blick kommt das Mädchen zurück und beugt sich nach unten. Bevor sie reagieren kann, hat ihr Vater sie gepackt und kitzelt sie, bis sie lachend nach Luft schnappt. Das Bild ist unscharf und man sieht nur Wasser, aber man hört das laute Lachen. "Was macht ihr denn da?", fragt eine Frauenstimme, die zu der Mutter des Kindes gehört. "Wir spielen "Fang das Seeungeheuer"", antwortet der Vater. Die Kamera wird ihm entwendet. "Ich bin doch kein Ungeheuer", ruft das Mädchen noch etwas außer Atem und rennt mit der Kamera vor ihrem Vater davon. Das Wasser spritzt auf die Linse als sie kichernd auf die Wellen springt, die den Strand erreichen. Ihre nackten Füßchen versinken im Sand. Sie bewundert ihre Zehen, die sich immer wieder ausgraben. Das Meer rauscht und man hört die Wellen brechen. Dann wird sie hochgehoben. Wie eine Prinzessin thront sie auf den Schultern ihres Vaters. "Guck mal Mama!", ruft sie und winkt mit der Kamera, "Ich bin viel größer als du." Ihre Mutter lacht. Sie sitzt im Sand und wartet auf die Rückkehr ihrer kleinen Familie. Das Lagerfeuer, das ihr Mann entzündet hat, lodert und Funken steigen in den Himmel. Leuchtend wie kleine gefallene Sterne, die wieder an ihren alten Platz zurückkehren. Der Rauch trägt sie hinauf. Schwerelos scheinen sie. Befreit aus einem Leben am Boden, doch schnell hören sie auf zu leuchten. Auch Schönheit ist vergänglich. "Was ist das Mama?",  fragt das Mädchen und deutet auf etwas, das ihre Mutter hinter ihrem Rücken versteckt. Ihr Vater zoomt mit der Kamera ein wenig, um das Gesicht seiner Tochter etwas besser zu zeigen. "Dein Geburtstagsgeschenk", antwortet seine Frau und holt ein kleines Geschenk hervor. Es ist liebevoll verpackt und mit einer winzigen Schleife versehen. Freudestrahlend packt die Kleine es aus. Vorsichtig ist sie dabei, um das Papier nicht zu zerreißen.  Dann betrachtet sie ihr Geschenk. Es ist eine kleine Spieluhr. Sie ist verziert mit einem Muster aus Gold und drei Namen sind auf den Deckel eingraviert. Behutsam klappt das Mädchen sie auf. Eine Tänzerin in einem weißen Kleid beginnt zu einer bezaubernden, verträumten Melodie zu tanzen. Fasziniert betrachten die leuchtenden Kinderaugen ihre Bewegungen. Unermüdlich dreht sie sich weiter. Es ist ein Titel aus Schwanensee. "Tanzen muss wie fliegen sein", murmelt die Kleine und springt auf. Sie dreht sich im Kreis so schnell sie kann, bis ihr schwindelig wird: "Fliege ich jetzt Mama?" "Ja mein Schatz", antwortet sie und lächelt ihren Mann glücklich an. In ihrer Wange erscheint ein kleines Grübchen, wenn sie grinst. Plötzlich stoppt das Kind den wirbelnden Tanz und läuft auf ihr Eltern zu. Sie nimmt die Beiden in den Arm: "Ich habe euch lieb." "Wir dich auch", flüstert ihr Vater in ihr kleines Ohr. "Wir bleiben doch immer Freunde oder?", fragt sie unsicher. "Natürlich", sagt ihre Mutter, "Wie kommst du denn darauf?" Ihr Tochter schüttelt den Kopf und drückt sie einfach wieder an sich: "Dann ist ja gut." Ihre Eltern tauschen einen Blick.
Die Kleine legt sich auf den Rücken in den weichen Sand und nimmt die Spieluhr wieder in die Hand. Sie zieht sie auf und lauscht ihrer Musik. Dabei schaut sie in den klaren Himmel, an dem sich langsam die ersten Sterne zeigen. Die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden und auch das letzte Licht des Tages erlischt nach und nach. Es dauert nicht lange, bis das Mädchen ganz tief schläft. Auf ihren Lippen liegt ein glückliches und erleichtertes Lächeln. "Wir werden dich immer lieben Katie", flüstert ihre Mutter und streichelt über ihren kleinen Kopf. Sie deckt ihre Tochter mit einer Decke zu und gibt ihr noch einen Kuss auf die Stirn. "Egal was passiert. Du bist immer unsere kleine Tochter." Sie klappt die verstummte Spieluhr zu und schaut sich die Inschrift an. "Wir haben eine Wahl. Wir können leben oder wir können existieren."

Hope.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt