Sprung über den Schatten

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*"O-ba-san" -Tante

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Schnellen Schrittes lief der Rotschopf schon fast die Straße entlang. Er hatte es sich fest vorgenommen. Nach dieser blöden ungewollten Unterhaltung, mit diesem Trottel von Aomine, hatte Kagami das dringende Bedürfnis bei seiner Schwester vorbei zu schauen. Ihm wurde zwar immer mulmiger zu Mute und irgendwie wusste er auch noch nicht wie er beginnen sollte, aber er riskierte es einfach. Mehr als ihm die Tür vor der Nase zuwerfen konnte sie ohnehin nicht. Mit langen, großen Schritten ging er unbeirrt weiter. Doch dann übermannte ihn die Unsicherheit und er blieb abrupt stehen. Was machst du da? Wieso um alles in der Welt gehst du zu ihr? Sie könnte sich doch auch bei mir melden, meldete sich eine kleine gemeine Stimme in seinem Kopf und der Knoten in der Magengegend wurde immer größer und fester. Na gut, das ginge natürlich nur, wenn sie wüsste, dass ich wieder aus Amerika zurück bin, grübelte er weiter.Ob *O-ba-san es ihr schon gesagt hat?, doch er schüttelte heftig den Kopf um diesen wieder frei zu bekommen. Komm schon, du hast die ganze verdammte Nacht schon überlegt, jetzt spring über deinen verdammten Schatten, von ihr kannst du es nun wirklich nicht erwarten. Sie wird nie ihre Sturheit und ihren Stolz runterschlucken.

Langsam setzte er sich wieder in Bewegung, doch vom vorherigen Elan war nicht mehr viel übrig.

Als er schließlich vor dem kleinen Haus in der recht ruhig gelegenen Gegen stand, wurde ihn plötzlich ganz anders und ein Urinstinkt machte sich breit. Der Fluchttrieb. Ihm war sogar richtig schlecht, so nervös war er und verunsichert, Himmel war er verunsichert. Doch er schluckte den Kloss in seinem Hals, der ihm das Atmen erschwerte, runter und trat an die Haustür heran. Mit all sein zusammengenommenem Mut und einer wahnsinns Überwindungskraft, betätigte er die Klingel und nach einer gefühlten Ewigkeit, öffnete sich diese.

»Ja, doch. Wenn ich es dir sage. Er ist ein richtiges Phantom«, schwärmte Momoi.
Da musste die Rothaarige verhalten kichern. Denn ganzen Heimweg lang, schwärmte Momoi von einem Kuroko Tetsuya- kun und hörte auch so schnell nicht wieder auf. Sie schienen wohl gemeinsam auf die Mittelschule gegangen zu sein und er war wohl in Basketball auch ziemlich gut. Doch Kagami-Chans bisherige Lieblings Story war die, als er Momoi einen abgelutschten Eisstiel in die Hand drückte. Kagami hätte ihn vermutlich das Stück Holz an den Kopf geworfen, doch die Rosahaarige war hin und weg.
»Er ist so toll, aber ich sehe ihn viel zu selten«, nun klang die Kleinere etwas traurig und Kagami wusste wieder nicht was sie sagen sollte um sie aufzuheitern. Sie war wahrlich schlecht in solchen Zwischenmenschlichen Dingen und dafür klatschte sie sich gedanklich gegen die Stirn. Das ist aber noch ausbaufähig.
»Naja, wie dem auch sei«, begann sie und versuchte nicht zu Taktlos zu wirken. »Ich geh dann mal weiter. Meine Tante wartet sicher schon. Sie wollte mir unbedingt beim packen helfen.« Ich bin ja acht, da kann man das nicht alleine, dachte die Rothaarige genervt.
»Schade«, sagte die Managerin und sah enttäuscht aus. »Ich dachte du kommst vielleicht noch mal mit rein. Ich würd mich nämlich echt gerne noch länger mit dir unterhalten.«
Kapitulierend zog Kagami ihr Handy aus der Tasche und warf prüfend einen Blick auf die Uhr. Resignierend seufzte sie dann und steckte es wieder in die Hosentasche.
»Meinetwegen. Wenn du unbedingt willst.«

Zwei rotbraune Augen starrten ihn an, als wäre er ein Gespenst. Die Frau mittleren Alters, welche die Tür geöffnet hatte, sah ihn mit offenstehendem Mund an und war sichtlich perplex. Die langen, schwarzen Haare trug sie wie gewohnt zu einem hohen Pferdeschwanz. Sie hatte sich kein Stück verändert.
Doch nach wenigen Sekunden der absoluten Sprachlosigkeit, fand sie ihre Stimme wieder.
»Tai-kun? ... Seit wann ... ??? ... Was machst du hier?«, fragte sie und es klang als wäre sie sich unschlüssig welche Frage sie zuerst stellen sollte. »Ich meine, ... komm doch rein«, sagte sie schließlich schnell und machte einen Schritt zurück um ihm die Tür weiter zu öffnen. Langsam trat er ein.
»Hallo O-ba-san. Ich weiß, ich komme unangemeldet, aber ...«, begann er doch weiter konnte er nicht sprechen, da fiel ihm seine Tante bereits um den Hals und drückte ihn herzlich.
»Meine Güte, du bist ja noch mehr gewachsen. Wie geht es dir? War es schön in Amerika?«, sprudelte sie plötzlich darauf los. »Wie geht es deinen Eltern?«
»Ich ... ähm ....«, er wusste gar nicht wo er anfangen sollte, mit solch einer Begrüßung hatte er nun wirklich nicht gerechnet. »Ja, also. Mir geht es soweit ganz prima. Es läuft alles wie es soll.«
»Komm doch rein. Erzähl mir von Amerika. Wie ist es dir dort ergangen?«, langsam schob sie ihren Neffen, der gut zwei Köpfe größer war als sie selbst, vor sich her. »Setz dich. Spielst du noch Basketball? Ach, was ich frage. Bei deiner jetzigen Größe bestimmt, oder?«, und daraufhin musste sie lachen.
Irgendwie war ihm die Situation doch unangenehmer als angenommen. Sie verhielt sich wie immer, als ob nichts gewesen wäre. Das machte ihn stutzig.
Schnell kramte seine Tante zwei Gläser aus dem Schrank und setzte sich zu ihm. Noch während sie etwas zu Trinken eingoss, überhäufte sie ihn weiter mit Fragen.
»Seit wann bist du wieder da? Hast du Ha-Chan schon gesehen?«, fragte sie schließlich.
»Ich, ... bin schon seit ein paar Monaten wieder da«, sagte er schließlich und wartete auf die Reaktion seiner Tante, diese sah ihn kurz über den Rand ihres Glases hinweg an. Als sie es abgestellt hatte lächelte sie einfühlsam.
»Hat sie sich bei dir gemeldet?«
»Nein.«
Da begann sie zu lachen.
»Ja, ja. Diese nachtragende Göre. Nimm ihr das nicht übel, es war nicht einfach für sie zuzusehen wie ihr Zwillingsbruder in ein Flugzeug steigt.«
ZACK, das schlechte Gewissen traf ihn wie ein Pfeil in die Brust.
»Ist sie zufällig da?«, fragte er vorsichtig.
»Sie wäre bestimmt schon unten, wenn sie da wäre. Aber sie müsste eigentlich gleich von der Schule kommen. Immerhin muss sie noch packen. Das hat sie vor sich hergeschoben.«
»Packen?«
»Ja, sie fährt wohl über die Ferien mit ihrem Club irgendwo hin. Mir ist das ja egal, soll sie doch machen solange sie noch jung ist«, und dann kicherte sie wieder ausgelassen.
Das Gespräch mit seiner Tante tat ihm ungemein gut, umso länger sie sich unterhielten, umso deutlicher fiel die angestaute Anspannung von ihm ab und auch der Knoten in seinem Magen lockerte sich etwas. Wenn seine Tante so ausgelassen reagierte, konnte Haruka auch nicht mehr sauer auf ihn sein.
Die Zeit verging wie im Fluge, die beiden bemerkten gar nicht wie die Stunden davon zogen. Sie unterhielten sich einfach über alles Mögliche.
»Da hast du dir ja ein großes Ziel gesetzt. Diese "Generation der Wunder" scheint ja gnadenlos zu sein«, kommentierte die Frau. »Und immerhin schon Zwei von Fünf besiegt. Diese andere Mannschaft schafft ihr auch noch.«
»Ja, die Tōō- High, ist bisher unsere Grenze, aber die packen wir schon«, sagte Kagami optimistisch.
»Ganz bestimmt«, lächelte seine Tante aufbauend, doch plötzlich schlich sich leichte Überraschung in ihren Blick. »Sagtest du gerade Tōō- High?«
»Ja, warum?«
»Ha-chan, geht seit ein paar Wochen auf die Schule. Die ist hier ganz in der Nähe.«
Daraufhin seufzte Kagami leicht.
»Ja, ich weiß. Ich hab es ... von einen Konkurrenten erfahren.«
»Konkurrenten?«, schmunzelte die Frau wissend.
»Einem Spieler von der Schule.«
Ihr Schmunzeln wurde breiter als sie sah wie unangenehm ihren Neffen das war. Selbst sie hatte schnell begriffen, das Haruka auf die Schule ging, die derzeitig Seirins größter Gegner war.
In einer wegdrehenden Bewegung ließ Kagami den Blick zu einer Uhr wandern und stellte erschrocken fest, dass es doch reichlich spät war.
»Sie lässt sich aber ganz schön Zeit«, sagte er tonlos und hob eine Braue.
»Das wundert mich auch. Eigentlich wollte sie direkt nach der Schule nach Hause kommen. Ach wer weiß wo sie sich rumtreibt. In welchen Busch sie mit ihrem Arsch hockt«, feixte seine Tante.
»Wie darf ich das verstehen?«
Doch zur Antwort lachte seine Tante nur.

Das die Zeit wie im Flug verging, bemerkten die zwei Mädchen erst, als Momoi das Licht einschalten musste, damit sie etwas sahen. Und in dem Augenblick stellte Kagami-chan erschrocken fest, dass es doch später geworden war als geplant.
»Mist«, entfuhr es ihr ungehalten.
»Was denn?«
»Ich muss noch packen.«
»Wie bitte? Du machst so was auf den letzten Drücker?«, lachte Momoi gehässig. »Ich hielt das vorhin für eine Ausrede.«
Hektisch griff sich Kagami-chan ihre Tasche.
»Ja, ich hab es irgendwie die Woche vor mir hergeschoben«, gestand sie mit roten Wangen. »Naja, wir sehen uns ja morgen.«
»Ja, klar. Moment ich bring dich noch raus.«
Und somit verabschiedete sich die großgewachsene Kagami-chan von der Rosahaarigen.
Wie sie sich so lange festquatschen konnte war ihr unbegreiflich, dabei sprach ihre Klassenkameradin eigentlich nur von ihrem Schwarm. Na immerhin hatten ihre Haare den Nachmittag ohne Schaden zu nehmen überstanden. Vorerst.
Die Rothaarige hatte das Gefühl diesen Jungen von dem Momoi unentwegt sprach, auch zu kennen. Sie hatte ihr so viele Einzelheiten erzählt. Und das dieser nun auch stolzer Besitzer eines Huskywelpen war, wusste sie nun auch. Eigentlich alles Dinge die Kagami-chan nichts angingen, aber man hörte eben aufmerksam zu.
Doch jetzt, wo sie genauer darüber nachdachte, fühlte sie sich an diesen unscheinbar wirkenden Jungen erinnert, dem sie vor kurzem begegnet war. Der hatte auch einen Husky bei sich. Nur den hatte sie schnell versucht zu verdrängen, weil ihr Hunde im Allgemeinen nicht geheuer waren. Ja, Hunde waren ja Frauenmagnete. Nur bei ihr wirkte es alles andere als magnetisch.
Auf dem Nachhauseweg ließ sie das Gespräch mit Momoi nochmal Revue passieren und war froh darüber, dass diese wirklich nur ein paar Straßen weiter wohnte.

»So, O-ba-san, ich denke, ich sollte jetzt gehen. Es ist doch echt spät geworden«, sagte Kagami und erhob sich.
»Es tut mir ja leid. Ich weiß auch nicht warum sie ausgerechnet heute so spät kommt«, sagte seine Tante entschuldigend. »Wenn sie die nächste halbe Stunde nicht kommt, sehe ich sie auch nicht noch mal. Meine Schicht beginnt bald«, da riss sie entsetzt die Augen auf. »MEINE SCHICHT! Das hab ich total vergessen!«
Da musste Kagami lachen.
»Das ist wohl mein Stichwort.«
Und die Verabschiedung fiel ebenso herzlich aus wie die Begrüßung.
Obwohl er seine Schwester nicht angetroffen hatte, fühlte er sich jetzt befreiter und das heitere Lächeln seiner Tante hatte auch eine magische Wirkung auf ihn.
»Schieb deinen nächsten Besuch nicht so lange hinaus. Ha-chan, will dich sicherlich auch mal wieder sehen«, sagte sie und drückte ihn erneut.
»Ich kann nichts versprechen.«
Doch sie lächelte nur und er ging seines Weges.

Kagami-chan hatte sich nun doch entschieden die wenigen Meter zu rennen. Sie war viel zu spät dran. Ihre Tante würde gleich zu ihrer Schicht gehen müssen und sie wollte sich zumindest verabschieden. Aber ein flüchtiger Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie es ohnehin nicht mehr schaffen würde.
Nicht nachlassen. Renn weiter!, spornte sie sich an und näherte sich einer Straßenecke. Scharf bog sie um diese und wie sollte es auch anders sein, sie lief mit vollem Anlauf in jemanden hinein. Von der Wucht mit der beide aufeinander prallten, fiel sie rücklings auf ihre Vier Buchstaben und ein genervtes Grummeln war von der anderen Person zu hören, die ebenfalls auf dem Boden gelandet war.
Als sie sich einigermaßen gesammelt hatte und zu der Person sah die sie umgerannt hatte, entglitten ihr sämtliche Gesichtszüge.
»Entschuldigung, ich hab nicht aufg- ... ,«, doch ihr blieb die Entschuldigung im Halse stecken. Schei- ... benkleister, durchfuhr es sie und sie starrte den Jungen an der vor ihr auf der Straße saß.
Das war doch wohl ein ganz schlechter Scherz.


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