Dunkel war's, der Mond schien helle ...

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Momoi und Kaiou standen wie begossene Pudel da und versuchten zu verarbeiten, was gerade passiert war. So aufgebracht und wütend, hatte sie ihre Freundin noch nie erlebt. Sie wussten zwar, dass sie ein wirklich überschäumendes Temperament hatte und ihr Geduldsfaden nicht sonderlich lang war, aber so eine Entgleisung hatten sie bisher bei ihr nicht erlebt.
»Was zum Teufel ...?«, hauchte Kaiou perplex und sah der Fotografin nach, die ziemlich flink verschwunden war.
»Da lässt sie aber auch nicht mit sich reden. So ein Sturkopf, sie hätte auch einfach mal zuhören können«, motzte Momoi.
»Sie ist richtig angepisst. Das war eine reine Impulshandlung. Wir sollten sie erstmal in Ruhe lassen und es ihr dann mal in einer ruhigen Minute erklären, wenn sie sich beruhigt hat«, schlug die Journalistin vor und richtete dann das Wort an den Power Forward. »Viel mehr würde es mich interessieren, warum du mit drin hängst, also so im Ganzen?«
Gereizt brummte er, doch schließlich seufzte er kapitulierend.
»Lasst uns erstmal aus dem Regen raus, dann erzähl ich es euch in Ruhe, ... unter einer Bedingung.«
Stirnrunzelnd sahen sie den Hünen an.
»Dass ihr den Rest, alles ... ohne Ausnahme, für euch behaltet, bis sich alles beruhigt hat«, forderte er, da lächelten die beiden Mädchen einfühlsam und nickten.
»Einverstanden«, sagten die Mädchen unisono und dieses Wort war mehr als ein Versprechen.

Ein paar Stunden später hatten sie die Puzzleteile alle zusammen gesetzt. Jetzt, wo sie die ganzen Umstände kannten und den Plan, hieß es nur noch gegen wirken. Nur war sich Kaiou noch unsicher, ob ihnen rechtzeitig etwas einfiel. Momoi war echt fuchsig, aber ob auch ihr auf die Schnelle etwas einfiel? Nachdenklich mit ihrem Handtuch umhergehend trocknete sie sich ihre azurblauen Haare. Die Sache hatte weite Kreise gezogen und mehr Leute mit rein gerissen, als sie es je gedacht hätten. Nie hätten sie mit solch einer Taktik von der Ex-Club-Leiterin gerechnet. Das diese so verbissen und nachtragend war, war schon nicht mehr nachvollziehbar. So etwas bitterböses, die Journalistin hatte das dringende Verlangen, ihr etwas Gemeines an den Kopf zu werfen und das nicht nur verbal.
Sie seufzte wehmütig. Wieso lief in letzter Zeit eigentlich alles so unsagbar schief, immer wenn sie glaubte, dass es Berg auf ging? Langsam glitt ihr Blick zu den Fotos, die auf ihren Tisch lagen. Eigentlich wollte sie mal an ihrem eigenen Glück arbeiten, aber das musste wohl hinten anstehen. Plötzlich piepte ihr Handy, sie hatte soeben eine SMS erhalten. Schnell wuschelte sie sich noch einmal mit dem Handtuch durch die Haare und nahm dann das Handy auf um die Nachricht zu lesen.
Und da war ihr Lichtblick an diesem verregneten, scheiß Tag.
""Ich hoffe du bist nicht all zu nass nach Hause gekommen.""
Ein sanftes Lächeln glitt ihr über die Lippen. Das war wirklich eine sehr angenehme Abwechslung.
Hastig tippte sie eine Antwort.
""Leider doch, ich bin völlig durchnässt. Aber ist nur halb so wild. Wie war das Training?""
""Da können wir uns die Hände reichen, ich bin auch nicht trockenen Fußes Heim gekommen. Training? Du meinst „Teufelswerk".""
Als sie das las musste sie schmunzeln, Riko war wirklich gnadenlos zu ihren Jungs, aber es machte sich bezahlt. Zumindest steigerten ihre Leistungen sich von Mal zu Mal.
""Du wirst es überleben, du bist doch groß und stark."", antwortete sie keck und musste über ihren eigenen Satz lachen.
""Und dennoch gibt es immer jemanden, der größer und stärker ist."
Da hatte er absolut Recht, mit 1,90 m war er sogar noch recht „klein", da gab es ganz andere Kaliber. Soviel sie wusste gab es da noch diesen Murisakibara Atsushi, mit seinen stolzen 2, 08 m, zumindest hatte Momoi diesen mal erwähnt, als sie von dem „alten Team" sprach.
""Neben mir sind alle groß.""
""Da ist was dran.""
Ach, ein wenig Smalltalk, das war Entspannung. Genau so konnte es immer laufen, aber es kam schließlich anders.
"" Wie geht es dir eigentlich?"", fragte Kaiou besorgt.
""Ganz ok, auch das habe ich überlebt. : )""
Erleichtert atmete sie aus und legte sich auf ihr Bett.
""Das freut mich zu hören. :) ""
Ein angenehmes Kribbeln schlich über ihre Haut und sie kicherte wie ein kleines Mädchen.
Dann signalisierte ihr Handy ihr erneut, dass sie eine Nachricht erhalten hatte, von Vorfreude gepackt, öffnete sie die SMS, ... doch sie war nicht von dem vorherigen Absender. Wie von der Tarantel gestochen fuhr sie hoch.
»Ach, nicht doch? Was machst du denn für Sachen?«

Der Tag hatte im Grunde gar nicht schlecht begonnen. Es war heute relativ ruhig, wenn man es mit den Tagesschichten verglich. Spät und Nachtschicht war mitunter am „ruhigsten" auch wenn man dies nicht ahnen oder erwarten würde. Zumal viele davon ausgingen, dass Nachts der Teufel los war.
Aber damit man nicht vor „Langerweile" starb, gab es zum Glück immer noch den ein oder anderen Coffeeshop, wo man sich mit Koffein vollpumpen konnte. Gelangweilt hielt sein Kollege einen kleinen Plausch mit der Kassiererin, flirten gehörte wahrlich nicht zu den Stärken seines Partners.
Doch plötzlich ging die Bedienung auf ihn zu und lächelte ihn freundlich an.
»Wie eh und je, hast du ihn immer noch nicht im Griff?«, fragte sie feixend.
»Wieso? Ist er aufdringlich geworden?«, fragte der Beamte sie und ließ sich noch einen Kaffee einschenken.
»Ich wünschte es wäre so«, sagte sie schmierig grinsend. »Ich dachte, weil ihr schon so lange ein Team seid, hätte er sich das ein oder andere von dir abgeschaut, Aomine-san.«
»Tja, zaubern kann ich nun auch nicht?«, feixte der Blauhaarige und beäugte seinen Kollegen kritisch, der einen erneuten Anlauf wagte, als die Bedienung wieder auf ihn zu schritt. Kopfschüttelnd, aber mit einem schiefen Lächeln im Gesicht, wandte er sich wieder ab.
Sollte sein Kollege sich doch an ihr die Zähne ausbeißen, wenn dieser nicht langsam direkter ihr gegen über werden würde, war sie über alle Berge und er grau und immer noch unverheiratet.
Bei dem Gedanken tat ihm sein Partner schon fast wieder leid, ... aber nur fast.
Gerade als Chiaki seinen Kaffee geleert hatte, kam sein Kollege auf ihn zu, mit ernster Miene und deutete auf sein Handy, welches er gerade wieder einsteckte.
»Deine Frau hat gerade angerufen.«
Skeptisch blickte er den anderen an.
»Wieso ruft sie dich an, Tora?«
»Rate doch einfach mal«, entgegnete sein Kollege nüchtern. Doch da leuchtete es ihm bereits ein, er hatte sein Handy ausgeschaltet.
»Ok, gut. Was wollte sie?«, fragte er nun besorgt.
»Sie bittet uns um einen Gefallen.«
»Jetzt spann mich nicht so auf die Folter, was wollte sie?«
»Komm, wir sollten los«, drängte da Tora plötzlich, das beruhigte den Älteren nicht im geringsten.
Fix erhob er sich und die beiden Beamten verabschiedeten sich noch schnell von der Bedienung.
»Um was genau geht es denn?«, fragte er seinen Kollegen erneut.
»Eine besorgte Mutter hat sie angerufen. Es geht wohl um jemanden, den dein Junge kennt, daher dachte Sonoko, sie gibt dir bescheid. ... Du weißt schon, es ist spät und dunkel ... und es regnet. ...«
»Ein Ausreißer?«, riet Aomine-senior.
»Exakt, aber es haben sich auch schon zwei Passanten gemeldet, die einen Jugendlichen gesehen haben auf den die Beschreibung wohl zutrifft.«
»Und das wusste Sonoko alles?«, fragte Chiaki skeptisch.
»Nein, ... das hab ich rausgefunden, während du mit Mia gelästert hast. Aber wie dem auch sei, da es bei dir in der Ecke ist und bald der Feierabend vor der Tür steht, lass ich dich nach dem Akt gleich dort und mach mich dann auch nach Hause.«
»Ich weiß nicht, ob ich jetzt froh sein soll, dass du dich um mich mehr sorgst, als um den kleinen Ausreißer«, entgegnete er trocken.
»Du kennst meine Meinung zu Kindern, ... die machen nur Ärger.«
Ein schweres Seufzen drang da von dem Dienstältesten.
»Das kannst du laut sagen, Daiki ist auch nicht unbedingt sehr pflegeleicht.«
»Genau das mein ich, ... Vor allem in dem Alter, ... Himmel bewahre, deine Nerven will ich haben und Sonoko, dass sie da so durchgreift und sich nebenbei um andere so schert, bemerkenswert.«
»Die Nerven kannst du gerne haben, aber der Rest ist nicht verhandelbar.«
»Keine Panik Partner, du brauchst die „Besitzansprüche" nicht verdeutlichen. Ich weiß bescheid.«, feixte der Jüngere und steuerte den Dienstwagen weiter über die regennassen Straßen.
»Besser ist das für dich«, grinste Chiaki grimmig. »Und jetzt mach das blöde Martinshorn an, das Kind muss Heim.«

Das war nun wirklich nicht ihr Tag? War heute Freitag der 13. Oder was?! In ihrem Prass nach dem ganzen Theater, war sie ohne weiter darüber nachzudenken davon geeilt. Ohne Ziel, einfach drauf los. Doch später kam sie wieder am Sportplatz an, der Regen war heftiger geworden und sie noch genervter. Und mit jeder Minuten die verging, kroch das schlechte Gewissen in ihr hoch und sie begann sich für das, was sie gesagt hatte zu schämen. Es wurde ihr einfach alles zu viel. Hätte sie geahnt, dass es so schwer werden würde wieder zur Schule zu gehen, wäre sie zu Hause geblieben und hätte die Reha einfach etwas verlängert, ... oder hätte sich eine andere Schule gesucht.
Ich bin es leid! Seit du auf unserer Schule bist gibt es nur noch Ärger.
Die Aussage von ihm hatte ihr vollends den Todesstoß gegeben und veranlasste sie noch mehr darüber nachzudenken. Es stimmte ja auch irgendwie. Gleich am ersten Tag hätte sie fast Schläge kassiert, weil Wakamatsu, der Center, dachte sie sei Taiga. ... Es gab auf alle Fälle angenehmere Situationen und Gespräche, so viel war sicher. Vorsichtig wippte sie vor und zurück. Sie hatte es sich trotz Regen auf einem kleinen Mauervorsprung „gemütlich" gemacht, der etwas geschützt unter Bäumen lag. Und die Treppe, ... diese verfluchte TREPPE, befand sich direkt daneben. Ein genervtes Grummeln verließ sie, die Rothaarige saß hier gezwungenermaßen rum, weil die Stufen gefährlich rutschig waren und sie sich beim Abfangen, vor der letzten Stufe, das Knie verdrehte. Nun saß sie hier und wartete einfach bis der Schmerz nachließ. Aber irgendwie ahnte sie, dass es wohl nicht in den nächsten Zehn Minuten wäre. DAS trug nicht unbedingt zur Verbesserung ihrer schlechten Laune bei, auf keinem Fall. Das, was sie aber am meisten nervte, waren die Passanten, wenn denn mal einer vorbei kam, gafften sie nur blöde, weil sie auf dem Mauervorsprung saß. Aber sie war viel zu stolz um nach Hilfe zu fragen. Sie hätte ja ihre Tante anrufen können, ... wenn sie ihr Handy nicht schon wieder verlegt hätte. Diese machte sich vermutlich auch schon Gedanken, weil Kagami-chan eigentlich nicht der Typ war, der so spät nach Hause kam und schon gar nicht, wenn am nächsten Tag Schule war. Ein weiterer schwerer Seufzer entwich ihr, Schmerz hin oder her, sie sollte sich langsam auf den Weg machen und wenn es auch nur im Schneckentempo war, ... Kriechen war auch eine Option, Hauptsache sie kam heute noch zu Hause an, sie musste nämlich dringend aus diesen aufgeweichten Sachen raus. Langsam schob sie sich vor und trat behutsam auf. Die Fotografin hatte das Bein noch nicht einmal ansatzweiße beansprucht, da zog ein heftiges Ziehen durch ihren Meniskus. Fluchend stützte sie sich wieder an der Wand ab.
So ein verdammter Mist! Es geht aber auch alles schief!, knurrte ihr Unterbewusstsein. Ihr inneres Ich lag auf den Rücken, ebenso nass wie sie und hatte alle viere von sich gestreckt. Erschlagen, ... das war die richtige Beschreibung dafür, wie sie sich gerade fühlte. Vorsichtig setzte sie sich noch einen Moment auf die Mauer. Was blieb ihr anderes übrig? Sollte sie vielleicht doch über ihren Schatten springen und einfach mal jemanden fragen, der ihr helfen könnte? Doch das musste sie gar nicht, durch den Regen hindurch sah sie, wie zwei Männer auf sie zukamen. Innere Unruhe breitete sich aus. Das war ihr irgendwie nicht geheuer und ihr blieb nicht einmal die Option einfach davon zu laufen. Doch als die beiden näher kamen, entspannte sie sich wieder. Es waren Polizeibeamte, na was für ein Glück. Doch bei näherer Betrachtung rutschte ihr das Herz in die Hose und sie wollte sich am liebsten ganz klein machen.
Alles nur nicht das!, dachte sie beschämt und musterte die beiden Beamten, die zielstrebig auf sie zu gingen. Das war wirklich ein Freitag der 13. Und das mitten in der Woche!

Als sein Kollege und er langsam auf den Jugendlichen zugingen, der laut Tora auf die Beschreibung passte, wurde Chiaki skeptisch. Wenn er sich jetzt nicht total täuschte war das doch ...
Aber ehe dieser seinen Gedanken beenden oder etwas sagen konnte, ergriff sein Kollege schon das Wort.
»So junges Fräulein, du weißt schon, dass es ziemlich spät ist?«, fragte Tora sie in unüberhörbar strengem Tonfall.
»Ach? Wirklich? Entschuldigen Sie, aber mein Zeitgefühl ist nicht das Beste«, gab sie schnippisch zur Antwort. Am liebsten hätte Chiaki über diese dreiste Antwort ein Lächeln zu Stande gebracht, weil sein Kollege nun wirklich das Taktgefühl einer Krähe hatte, aber er konnte ihm unmöglich so in den Rücken fallen.
»Du brauchst gar nicht frech werden«, knurrte der Beamte
Nach dieser Rüge sah die Rothaarige beleidigt zur Seite, irgendwie passte das nicht zu dem Mädchen, welches er, vor nicht allzu langer Zeit, bei sich zu Hause sitzen hatte. Sofort musste er an seinen Sohn denken, der sich mit ihrem Bruder geprügelt hatte. Das sie ebenso schlecht gelaunt war wie sein Spross war also gar nicht so abwegig und dass sie darüber hinaus vergaß, dass sie einen Polizisten vor sich hatte, der sie im Dunkeln um eine noch dazu ziemlich späte Uhrzeit einsammelte, darüber konnte man auch mal hinweg sehen. Aber Tora schien das gar nicht zu gefallen.
Dieser bearbeitete die Schülerin mit Fragen, wer sie sei und wo sie wohnte, damit sie nach Hause gebracht werden konnte, aber die Rothaarige dachte nicht daran zu antworten. Über so viel Sturheit, musste Chiaki dann doch verhaltend lächeln. Als sein Kollege langsam die Geduld verlor, weil er nass wurde, legte ihm der Ältere eine Hand auf die Schulter und schob ihn leicht zur Seite, doch Tora machte schon von selbst Platz und schnaufte verärgert. Tora hasste Regen und widerspenstige Jugendliche. Dann nahm sich Aomine-san der Fotografin persönlich an, der augenblicklich die Röte in die Wangen geschossen war, als er sich vor sie gestellt hatte.
»Du wirst nicht ohne Grund hier herumsitzen, oder Kagami-chan?«, fragte er einfühlsam.
Betreten sah die Rothaarige zur Seite.
»Nein«, gab sie kurz zur Antwort. »Es kam ein kleiner Sturz dazwischen ...«, verlegen fuhr sie sich mit einer Hand über das verletzte Knie. Verstehend nickte der Blauhaarige und reichte ihr eine Hand.
»Also, was hältst du davon, wenn mein Kollege und ich dich erst zu einem Arzt und anschließend nach Hause bringen? Deine Tante macht sich sicherlich Sorgen.«
»Ehrlich gesagt, klingt das nach der besten Idee, die mir seit langem unterbreitet wurde«, gestand sie gedehnt seufzend und ließ sich aufhelfen.
»Dann wäre das geklärt, komm hoch mit dir.«
Überrascht sah Tora zu, wie sein Partner der Rothaarigen aufhalf. Er sollte sich vielleicht wirklich die ein oder andere Scheibe von ihm abschneiden. Sein Umgang mit Jugendlichen und Kindern ließ wahrlich zu wünschen übrig.

Nach einer kurzen Absprache mit seinem Kollegen Tora, beschloss Chiaki, die Rothaarige lieber doch alleine zum Arzt zu begleiden, da ohnehin dessen Feierabend herangezogen war, natürlich nicht ohne Hintergedanken. Wenn er die Fotografin schon bei sich im Dienstwagen sitzen hatte, konnte er die Gelegenheit auch gleich nutzen um ein paar Informationen zu bekommen. Er war vielleicht Polizist, aber an erster Stelle war er Vater.
Doch vorerst hielt er es für besser sie ins Krankenhaus zu fahren, damit sich ein Arzt das Knie ansah.
Da sie in Begleitung eines Polizeibeamten war, ging es mit der Untersuchung auch relativ schnell voran, da er mit Nachdruck verdeutlichte, dass sie nach Hause müsse.
Zwei Stunden und eine schmerzhafte Untersuchung später, durfte sie dann auch endlich wieder das Krankenhaus verlassen. Der Arzt hatte ihr ohne Umschweife ein paar Schmerztabletten aufgeschrieben, damit sie einigermaßen schmerzfrei nach Hause kam und ihr eine Krankschreibung mit auf den Weg gegeben. Das ihr Bein sich durch die feste Bandage anfühlte, als würde sie einen Gips tragen, versuchte sie einfach zu verdrängen. Leider fröstelte es sie jetzt unangenehm in der nassen Kleidung, die sich bis auf die letzte Faser mit Wasser vollgesogen hatte. Doch sie ging weiter, vollgepumpt mit Schmerzmitteln, tapfer auf den Wagen zu. Ihr war es mehr als unangenehm, ausgerechnet von Aomines Vater aufgesammelt worden zu sein. Am liebsten wäre sie vor Scharm im Boden versunken, das war ihr alles so unsäglich peinlich. Aber er schien es einfach hin zu nehmen, schließlich machte er nichts weiter als seinen Job. Jugendliche von der Straße aufsammeln und nach Hause bringen. ... Sie kam sich vor wie ein Ausreißer, dabei war es nicht einmal beabsichtigt. Noch immer tief in Gedanken stand sie unschlüssig vor dem Polizeiwagen, immerhin hatte es endlich aufgehört zu regnen.
»Warte, bevor du einsteigst ...«, hielt der Blauhaarige sie davon ab, öffnete die Kofferraum klappe und reichte ihr seine Jacke. »Zieh die über, du bist völlig durchnässt, und das Letzte was du gebrauchen kannst, ist eine Erkältung.«
Unschlüssig hielt sie die schwarze Jacke mit der Aufschrift „Polizei" in der Hand. Das war doch nicht sein Ernst, oder? Als er die Kofferraumklappe wieder schloss und sah, dass sie nichts dergleichen tat, sondern nur stirnrunzelnd vor ihm stand, griff er einfach beherzt zu und warf sie ihr über. Ob sie wollte oder nicht. Etwas überrumpelt blickte sie ihn aus ihren dunkelroten Augen an.
»Steig ein, ich bring dich jetzt nach Hause.«
Als sie die hintere Beifahrertür schon geöffnet hatte, hielt er sie ein weiteres Mal davon ab.
»Nein, steig besser vorne ein, da kannst du das Knie besser strecken.«
Erneut stieg ihr die Röte in die Ohren. Dass der Ältere so darauf bedacht war, dass sie nicht mehr Schaden nahm, als ohnehin, war zwar wirklich nett, aber es war ihr noch immer so unglaublich peinlich. Vielleicht könnte sie damit besser umgehen, wenn sie nicht ständig bei seinen Anblick an Aomine erinnert werden würde. Dass die beiden sich so sehr ähnelten, war für sie eine brutale Zerreißprobe.
Nach wenigen Sekunden die sie verharrte, nickte sie schließlich zustimmend und nahm vorsichtig neben dem Beamten platz. Es war schön, mal nicht auf einem kalten, nassen Stein zu sitzen.
Als sie losfuhren war Aomine-san vorerst ziemlich ruhig, während sie einfach aus dem Fenster sah und sich anschaute, wie die Gebäude und Lichtmaste an ihnen vorüberzogen. Langsam verzogen sich die Regenwolken und die schimmernde Silhouette des Mondes blitzte leicht hindurch.
»Willst du mir sagen, was passiert ist?«, holte die Stimme des Blauhaarigen Kagami-chan plötzlich aus ihren Beobachtungen.
»Ich weiß nicht. Es ist mir ziemlich unangenehm«, sagte sie und sah hinab auf ihre Hände.
»Unangenehmer, als die Sache mit dem Diebstahl?«
Ja, ... definitiv, dachte sie.
»Es nimmt sich nicht viel.«
»Ganz ehrlich, was hast du da um die Uhrzeit gemacht? Du wirst dich ja kaum für einen mitternächtlichen Spaziergang begeistert haben, mitten im Regen.«
»Wenn ich jetzt sage, dass es genau das ist? Würden Sie mir das glauben?«, fragte sie.
»Nur zum Teil«, antwortete er ernst. Da war wieder dieser nüchterne Ton, der ihr den Brustkorb fest zusammenschnürte. Sich innerlich für die nächste Maßregelung wappnend atmete sie hörbar aus. Auch ihr kleines, imaginäres Ich, zog sich die Schusssichere Weste über, ... sicher war sicher.
»Ich erlaube mir einfach mal die Behauptung, dass du nicht unbedingt die Vernünftigste bist. Was du damals im Laden meiner Frau einwandfrei bewiesen hast. Du bist ziemlich impulsiv und handelst viel zu überstürzt, daher nehme ich mal an, dass dieser nächtliche Ausflug auch nicht so geplant war«, er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. »Oder irre ich mich da etwa?«
Das war voll ins Schwarze! Dieser Mann war ein verdammter Hellseher!
»Jetzt wüsste ich nur gerne warum? Beim letzten Mal war es ein Dieb, aber jetzt? Ich würde ja jetzt einfach mal eine reine Spekulation äußern und sage es liegt an Daiki.«
DAS HAT DIR DER TEUFEL GESAGT!, schrie ihr kleines Ich ungehalten und wurde auf der Stelle ebenso puterrot, wie ihr reales Abbild. Nach einem kurzen Moment des Schweigens, nickte Kagami-chan schließlich und seufzte erneut.
»Ja, ... irgendwie schon.«
Langsam zerrte die Müdigkeit an ihr, es war einfach viel zu anstrengend, dieser ganze Ärger und nun auch noch ... DAS. Tief lehnte sie sich in den Sitz zurück und kuschelte sich so gut es ging in die ihr viel zu große Jacke. Gott war ihr kalt, dieser blöder Regen!
»Hattet ihr Streit?«
»Ich weiß nicht, irgendwie schon ... ja«, sagte sie zaghaft, zog die Stirn kraus und überlegte, wie man es wohl am besten beschreiben könnte. »Ich glaube ich hab etwas ... überreagiert. Ich bin mir nicht sicher ... es ging alles ziemlich schnell«, gestand sie schließlich leise.
»Das war anscheinend ein wirklich hässlicher Streit, wenn du danach planlos am späten Abend herum wanderst«, sagte er nun wesentlich einfühlsamer. Seine Ernsthaftigkeit bezog sich vermutlich lediglich auf ihre unvernünftige und unüberlegte Handlungsweise, die sie bei jeder Gelegenheit an den Tag legte.
»Ja, ... ich hab vorhin erst erfahren, dass er und mein Bruder eine ziemlich heftige Auseinandersetzung hatten.«
»Also wusstest du gar nichts davon?«
»Nein. Sie etwa?«
Da musste Chiaki leicht lächeln.
»Das Veilchen war am Wochenende nicht zu übersehen, er kann von Glück reden, dass er den Teint seiner Mutter hat, sonst hätte er noch ein paar Tage mehr was davon gehabt.«
Nun hatte sie ein noch schlechteres Gewissen. Dass die beiden sich geprügelt hatten wegen dieser blöden Gerüchte ..., wegen ihr, versetzte ihr einen unangenehmen Schlag in den Magen.
»Ich möchte dich gerne etwas fragen und erwarte einfach eine wirklich ehrliche Antwort«, begann Aomine-san ernst.
Wartend sah sie den Beamten an, nun hoffte sie nur, dass es nicht noch peinlicher für sie werden würde, als es ohnehin war. Aber er schwieg noch eine Weile, vermutlich weil er überlegte, wie er die Frage formulieren sollte, ohne dass sie sich in Ausreden flüchten konnte.
»Ich stell dir die gleiche Frage wie Daiki«, aufmerksam horchte Kagami-chan auf. »Hat es sich gelohnt?«
Fieberhaft überlegte sie, auf was er diese Frage beziehen könnte, doch eigentlich gab es nur eine Situation.
Der Streit, der beiden Power Forwarde, er wollte bestimmt wissen, ob es sich gelohnt hat, dass sie so aufeinander losgegangen sind. Ob es damit endlich getan wäre. Betroffen ließ sie den Kopf hängen.
»Ich weiß es noch nicht.«

»Hey, wach auf. Wir sind da«, holte sie die raue, aber freundliche Stimme Chiakis aus ihrem Delirium. Sie war doch tatsächlich eingeschlafen. Aber als sie realisierte, was er sagte, überkam sie tiefe Erleichterung.
Gott sei Dank!, dachte sie erschöpft, Dieser Tag wird alsbald aus dem Gedächtnis gelöscht. So einen Tag braucht echt niemand.
Der Blauhaarige stand bereits neben ihr an der Tür und half ihr beim Aussteigen. Da die Schmerztabletten schon etwas nachließen stützte er sie noch die paar Meter bis zur Haustür, als ihr dann schon ihre Tante öffnete und sie sogleich in die Arme schloss. Danach drückte sie die Rothaarige wieder von sich und sah sie vorwurfsvoll und tadelnd an.
»Was fällt dir ein, mir so einen Schrecken einzujagen!?«, giftete sie, schloss sie jedoch wieder fest in ihre Arme.
»Es tut mir leid, O-ba-san«, nuschelte die Schülerin. Das schlechte Gewissen würde sie wohl noch eine ganze Weile verfolgen.
»Was für ein Drama«, hauchte Mayu entrüstend und funkelte ihre Nichte weiter verständnislos an, dann wandte sie sich an den Beamten, die Anspannung war sichtlich von ihr gefallen und sie war einfach nur noch erleichtert. Während ihre Tante noch ein paar Worte mit Chiaki wechselte, zog sich Kagami-chan die Jacke aus und reichte sie dem Beamten, mit einem leisen „Danke".
Nickend nahm er ihr die Jacke ab und seufzte kurz, bevor er das Wort an Mayu richtete.
»Wie gesagt, der Arzt will sie morgen nochmal sehen, so an sich ist alles mit ihr in Ordnung.«
»Da bin ich aber heilfroh«, sagte Mayu und legte ihre Hand an ihren Brustkorb. »Hab vielen Dank Aomine-san.«
»Kein Problem«, dann wandte er sich nochmal der Rothaarigen zu. »Keine nächtlichen Ausflüge mehr.«
»Zurechtweisung angekommen«, entgegnete sie und nickte.
»Sehr schön, dann macht's mal gut.«

Die Tür hatte sich kaum hinter der Fotografin geschlossen, da packte ihre Tante sie erneut am Arm und zog sie in eine enge Umarmung.
»Wieso machst du denn so etwas? Kind, es hätte sonst was passieren können. Und wieso bist du überhaupt verletzt?«
»Das ist eine lange Geschichte, O-ba-san. ... eine echt lange ...«, raunte Kagami-chan erschöpft.

Die Schicht war dann doch etwas aufschlussreicher, als er zunächst dachte. Dass er die Klassenkameradin seines Sohns aufgabeln musste, konnte er ja am Morgen nicht ahnen. Aber es beruhigte ihn zu wissen, dass es ihr wohl genauso ging wie seinem Spross.
Im Haus brannte kein Licht mehr als er eintrat, die Küche war verweist, bis auf einen Zettel, auf dem ein Liebevoller Hinweis stand, das sich das Essen im Kühlschrank befand. Aber er hatte nun gar keinen Hunger. Die Sache, die sein Junge ausstehen musste, beschäftigte ihn auch. Sie waren sich zwar ziemlich ähnlich, aber auch Chiaki war nicht entgangen, dass sich der Power Forward veränderte. Zunächst war es eine ziemlich abrupte Veränderung. Erst in der Mittelschule und dann auch noch mal, als er von der Mittelschule auf die Oberschule wechselte. Aber die stärkste Veränderung, die ihm aufgefallen war, war die seit Kagami-chan das erste mal hier war und sein Sohn doch recht untypisch reagierte, dafür, dass er keinerlei Interesse an irgendetwas oder irgendwem hatte. Erschöpft machte er sich auf den Weg ins Bad und machte sich frisch, bevor er, leise wie auf Katzenpfoten in das Schlafzimmer schlich, um seine Frau nicht zu wecken. Vorsichtig legte er sich zu ihr, ihre Atmung ging ruhig und gleichmäßig. Ein leichtes Lächeln glitt über sein Gesicht, er wusste genau, wie es seinem Sohn gerade ging. Wenn er diese Erfahrung nicht hätte selber gemacht, würde er es als reinen Teenie- Unsinn abtun, aber es war nun einmal nicht so leicht.
Plötzlich regte sich seine Frau und griff sich einen seiner Arme um ihn über sich zu legen.
»Du bist spät. Habt ihr sie gefunden?«, säuselte sie halb schlaftrunken und kuschelte sich in seine Arme.
»Ja«, war seine kurze Antwort.
»Mayu- chan war ganz schön aufgelöst als sie hier angerufen hat.«
»Sie war erleichtert, als ich sie zu Hause abgesetzt habe.«
»Das freut mich«, sagte sie schließlich, doch sie schien ein geheimes Radar dafür zu haben, dass ihr Mann nicht zur Ruhe kam. Sachte strich sie ihm über den Arm.
»Was ist los?«, fragte Sonoko sanft.
»Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ... die beiden tun mir irgendwie leid«, sagte er leise.
»Wen meinst du?«
»Daiki und Kagami-chan.«
»Wieso? Kommt dir ihre Situation etwa bekannt vor?«, fragte sie leise, doch der Schalk in ihrer sanften Stimme war nicht zu überhören.
»Ich habe in letzter Zeit ziemlich viele Déjà-vus«, flüsterte er und schloss sie noch enger in die Arme. »Es ist als würde man ein Buch lesen, das man bereits kennt.«
»Dann solltest gerade du wissen, wie es ausgeht.«

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