Von der Vergangenheit und Missverständnissen

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»Das könnte etwas dauern, euch das ausführlicher zu ... erklären«, sagte der Rothaarige erneut.
»Dann fang lieber mal an«, sagte Kaiou.
»Da bin ich aber gespannt, für was du diesen Schlag kassiert hast«, drang nun eine weitere tiefe Stimme aus dem Dunkel. Doch als sich die Person der Bank näherte, die unter einer Laterne stand, erkannten die anderen um wen es sich handelte.
»Was sollte dich das interessieren?«, motzte Kagami seinen Rivalen sofort an.
Doch Aomine zuckte lediglich mit den Schultern.
»Sie machte auf mich eigentlich nicht den Eindruck, sich nicht beherrschen zu können und ich muss es wissen«, gestand der Blauhaarige feixend.
»Wohl wahr, was ihr euch streitet«, sagte Momoi und warf ihrem Jugendfreund einen strafenden Blick zu.
Kagamis Muskeln hatte sich auf der Stelle angespannt. Sollte er wirklich seinem ärgsten Rivalen solch private Dinge erzählen?
»Jetzt schau nicht so, selbst an mir geht so ein offensichtlicher Streit nicht unbemerkt vorbei«, sagte Aomine und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Nur geht er dich nichts an.«
»Aber uns schon«, drangen nun weitere Stimmen heran.
Was ist denn plötzlich los? Wo beamen die sich nur alle her?, schoss es durch Kagami-kuns Kopf.
Nun war auch noch ein Teil seines Teams erschien, vermutlich suchten sein Coach und die anderen nach ihm, weil er unangemeldet verschwunden war.
Leicht sauer stemmte Riko die Hände in die Hüften.
»Da du ja anscheinend endlich dabei bist, die Sache mit deiner Schwester aufzuklären, sind wir ja zu einem Spitzen Zeitpunkt erschien. Ich höre.«, sagte sie fordernd. »Und schieb es nicht wieder weg. Es nervt mich, dass du deine Gedanken nicht zusammen hast und dass du auch noch ein Veilchen hast. Wir wollen endlich den Grund wissen.«
»Ja, doch. Meinetwegen«, brummte der Rotschopf.
»Sieh es von der positiven Seite. So musst du es nicht jedem einzeln erzählen, da wir alle da sind«, sagte Kuroko feststellend und erntete einen bösen Blick seines "Lichts".
Doch Kagami-kun fasste sich schnell wieder und lehnte sich erneut zurück.
»Das war eine ziemlich ... unschöne ... Sache. ... Vor ein paar Jahren, waren wir mit Freunden auf einen Basketballplatz, als der Ball wegsprang und Haruka ihn zurückholen wollte. Der Ball ist in einen Strauch neben einer Treppe gefallen. Ich hab es erst gar nicht weiter bemerkt, aber plötzlich war eine Gruppe anderer Jungs aufgetaucht und aus irgendeinem Grund, ... naja, kurzum, einer der Jungen hat sie die Treppe runtergestoßen.«
Die Mädchen hielten vor Entsetzten kurz die Luft an, während sich Aomine und Kuroko einen kurzen Blick zuwarfen, der Kagami-kun nicht entging. Doch er ignorierte den Blickwechsel.
Als ob es ihn noch immer quälen würde sprach er weiter. »Sie hat sich bei dem Sturz eine leichte Kopfverletzung zugezogen, den Arm geprellt, das linke Schlüsselbein und ihr linkes Knie gebrochen, wobei es eher komplett zertrümmert war, da sie wirklich ungünstig gefallen ist.«
Da dämmerte es Momoi plötzlich.
»Daher zieht sie ihr linkes Bein leicht nach? Die Fehlstellung kommt von dem Sturz«, sagte die Rosahaarige feststellend, bestätigend nickte der Power Forward der Seirin- High.
»Wie hast du reagiert?«, fragte Kaiou vorsichtig.
»Ich? ... Im ersten Moment gar nicht«, gestand er kopfschüttelnd. »Ehe ich bemerkt habe was passiert ist, bin ich schon auf den Typen losgegangen und hab ihn die Nase gebrochen. Die Anderen, sind zu Haruka geeilt.«
»Wie bitte? Du hast den Kerl verprügelt, während deine Schwester da unten lag?«, fragte Hyūga ungläubig.
»Ich hab ihm im Vorbeigehen eine verpasst und er ist umgekippt wie ein Brett«, sagte Kagami-kun. »Als ich die Treppe runter schaute und Haruka da liegen sah, war ich wie versteinert. Ich konnte mich einfach nicht weiter rühren. Keine Ahnung warum.«
»Könnte das der Grund sein, weshalb sie sauer ist?«, fragte Riko.
»Nein, ich denke es ist das was danach passierte. Als sie im Krankenhaus lag, sagte man, dass sie Glück im Unglück hatte, das sie die Brüche richten könnten und das Haruka sich wieder erholen würde.«
Alle Anwesenden sahen ihn fragend und stutzig an. Das waren doch gute Neuigkeiten. Was also war das Problem?
Erneut seufzte Kagami-kun schwer.
»Die Jungs haben eine saftige Strafe bekommen, aber bei ihr und mir begann es zu kriseln. Der Unfall passierte wenige Tage bevor ich nach Amerika flog.«
Da unterbrachen ihn Riko und Kaiou gleichzeitig. Den beiden schwante übles.
»Du bist doch nicht etwa in diesen Flieger gestiegen?!«, spien sie ihm entgegen. Riko wusste zwar, dass ihr Ass in Amerika war, aber kurz nach einem derartigen Vorfall? Das hätte sie nicht gedacht.
»Doch«, gestand er.
»Na da liegt es doch auf der Hand«, meldete sich Aomine zu Wort. »Sie gibt dir bestimmt eine Mitschuld an dem Vorfall.«
»Nein, ich denke ...«, begann Kuroko, »..., dass sie sich von dir im Stich gelassen gefühlt hat. Du bist ihr Zwillingsbruder, sie hatte vielleicht erwartet, dass du bleibst und ihr auf die Beine hilfst. Für sie da bist.«
»Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich über zwei Jahre nicht bei ihr gemeldet habe«, sagte er leicht bedrückt.
Da entglitt den anderen jegliche Mimik.
»Wie bitte?«, entfuhr es Momoi. »Sie hatte den Unfall, du steigst in den Flieger und das war es?«
»So in etwa.«
»Da wäre ich aber auch sauer«, sagte der andere Power Forward und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sofort fing dieser sich einen bösen Seitblick Momois ein.
»Der Kontakt ging mehr oder minder über meine Eltern. Anfangs zumindest. Aber auch die waren nicht da. Sie haben beide beruflich im Ausland zu tun und naja, da stehen Haruka und ich hinten an.«
»Unfassbar«, sagte Kaiou kopfschüttelnd.
»Und du fragst dich da ernsthaft, weshalb sie so sauer ist?«, fragte Hyūga und sah seinen Power Forward eindringlich an.
Plötzlich breitete sich in Kagami-kun leichter Zorn aus.
»Bin ich jetzt der Arsch, oder was?!«, knurrte er. »Ich war es nicht, der sie gestoßen hat!! OK?!«, verteidigte er sich.
»Wir geben dir ja nicht die Schuld daran, es ist nur ... irgendwie kann man ihre Wut nachvollziehen«, sagte sein Kapitän.
»Was sollte ich denn machen? Unsere Eltern haben sie ja nicht einmal im Krankenhaus besucht. Da bin ich eben in diesen Flieger gestiegen, aber ich war zuvor jeden Tag bei ihr«, nun war Kagami-kun von der Bank aufgesprungen. Ihm war deutlich anzusehen, dass es in ihm brodelte und dass er sich doch irgendwie Vorwürfe machte, auch wenn er es bestritt. Auch Kaiou war vor Schreck aufgesprungen und stand nun kerzengerade neben Momoi.
»Kagami, keiner verurteilt dich zu Tode, nur weil du nach Amerika geflogen bist«, sagte der Brillenträger beschwichtigend. »Aber vielleicht ist eine Entschuldigung nicht ganz verkehrt.«
»Als ob ich nicht selbst schon auf diese Idee gekommen wäre. Als ich mit ihre reden wollte, ist sie beim ersten Mal abgehauen und beim zweiten Mal hat sie mir das blaue Auge verpasst, schon vergessen?!«
»Vergiss nicht, dass sie dir Nachschlag angeboten hat«, sagte Aomine ziemlich unsensibel und verkniff sich ein Grinsen. Doch ehe Kagami-kun ihm dafür eine verpassen konnte, hatten Momoi und Kaiou synchron ihren Ellenbogen in seinen Rippen versenkt und er krümmte sich vor Schmerz kurz zusammen. Diese beiden Schläge trafen ihn unvorbereitet und an einer wirklich gemeinen Stelle.
»Strafe muss sein«, grummelte Kaiou finster dreinblickend.
»Du hast das Taktgefühl einer Eidechse«, fauchte Momoi.
»Seit ihr noch ganz sauber«, presste der blauhaarige Hüne hervor, doch die Mädchen ignorierten ihn.
»Wie dem auch sei. Aller guten Dinge sind drei«, sagte Hyūga ermutigend. »Sie kann nicht ewig wegen so einer ... Kleinigkeit sauer sein.«
»Es ist ja auch nicht die Kleinigkeit, weshalb ich sauer bin.«
Erschrocken und überrascht wandten sie ihre Köpfe der Stimme entgegen. Sie fühlten sich, als hätte man sie bei etwas verbotenem erwischt. Wie beim Rauchen oder Alkoholkonsum.
»Kagami-chan?! ... Was ...? Wie lange stehst du da schon?«, fragte die blauhaarige Journalistin.
»Sagen wir, die Stelle mit der Treppe, war die Interessanteste«, antwortete sie tonlos, sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und warf der Gruppe einen finsteren Blick zu.
»Habt ihr ihn wirklich weich bekommen, dass er euch von dem Unfall erzählt hat? Schön, so gerate ich nicht in Erklärungsnot. Und so könnt ihr die Hobby-Psychologen und Analytiker mimen. Bravo.«
Langsam ging sie auf die Gruppe zu.
»Du hast meinem Power Forward das Veilchen verpasst?!«, keifte Riko sie an und wollte auf die Rothaarige zu stürzen, doch Hyūga hielt sie zurück.
»Das ist jetzt nicht der richtige Moment«, flüsterte er ihr zu und sie beruhigte sich wieder. Die Fotografin ignorierte die offensichtliche Feindseligkeit des Coachs und wandte sich weiter an ihren Zwilling.
»Aber du irrst dich, Taiga«, sagte sie streng und stellte sich direkt vor ihn. »Ich bin nicht sauer, weil du nach Amerika geflogen bist.«
Überraschung zeichnete sich in seinem Gesicht ab.
»Ich bin auch nicht sauer, weil du den Kerl verprügelt und wie ein Ölgötze da gestanden hast. Das konnte ich alles nachvollziehen, mir wäre es vermutlich genauso ergangen.«
»Aber ... warum dann? Was hat dich so wütend gemacht?«, fragte der Hüne ernst dreinblickend.
»Dass du dich nicht ein einziges Mal aus Amerika gemeldet hast. Du hast es nicht einmal für nötig gehalten, eine SMS oder eine Mail zu schicken. Das einfachste vom Einfachsten, hast du nicht auf die Reihe bekommen«, sagte sie kühl und ihre Stimme bekam einen bedrohlichen Unterton. »Aber das war eigentlich auch nicht das Schlimmste.«
Eine eisige Stille hatte sich ausgebreitet, würde sie ihn wieder schlagen? Oder gar den Kopf von den Schultern reißen?
Keiner wagte es laut Luft zu holen, die Luft war so geladen, dass den Jungs buchstäblich die Haare im Nacken abstanden.
»Was? Gibt es etwas schlimmeres, als sich nicht zu melden, oder zu verschwinden?«, fragte Momoi und klang dabei auch wenig einfühlsam.
»Wenn Nachrichten ignoriert werden, oder man ersetzt wird«, gab Kagami-chan kurz zur Antwort.
»Ersetzt?«, nun schaltete sich auch Kuroko wieder ein. »Wie sollte man jemanden ers-....«
»Du meinst Himuro, oder?«, sagte Kagami-kun plötzlich.
Da grinste seine Schwester grimmig.
»Genau den meine ich. Himuro Tatsuya. Es war mir egal, dass du nach Amerika gegangen bist, es war mir egal, dass du dich auf meine Nachrichten nicht gemeldet hast, aber als ich erfahren habe, dass dir dieser Junge als "Bruder" mehr bedeutet als deine Schwester, gingen bei mir die Lichter aus! OK, nenn es von mir aus Eifersucht!!«, nun begann ihre harte Schale zu bröckeln und sie wurde lauter. Schrie ihn fast an.
»Du bist eifersüchtig auf Himuro? Das ist doch nicht dein Ernst?!«, entfuhr es dem Rotschopf ungläubig.
»DOCH! Und es ist mir verdammt noch mal scheißegal, was du in der Hinsicht von mir hältst, oder die anderen!! Du wusstest das ich vor dieser einen OP furchtbare Angst hatte und WARST NICHT DA!! DU BIST NACH HAUSE GEFAHREN UND HAST IN ALLER SEELENRUHE GEPACKT!! NATÜRLICH BIN ICH SAUER!!«, nun standen ihr die Tränen deutlich in den Augen, wieder von Wut, Trauer und vor allem Enttäuschung gepackt, machte sie einige gefährliche Schritte auf Kagami-kun zu und stieß ihn kräftig weg, ließ aber während sie auf ihn ein brüllte nicht von ihm ab. »Und dann erfahre ich das du diesen Typen in Amerika getroffen hast, ihr euch "Brüder" nennt!! Aber Du, es nicht einmal für nötig hältst, dich bei mir zu melden!! Bei O-ba-san zu melden«, nun war aus dem Stoßen eine Reihe von Schlägen geworden, mit denen sie seine Brust bearbeitete. »GEWARTET HAB ICH, AUF IRGENDEIN LEBENSZEICHEN!! AUF EINE ANTWORT MEINER NACHRICHTEN!!! IST DIR DIESER SPORT SO VERDAMMT WICHTIG?!«, keifte sie und nun rannen die Tränen hemmungslos hinab und sie hörte auf ihn zu schlagen, ließ erschöpft und enttäuscht den Kopf hängen und vergrub das Gesicht in den Händen. Kagami-kun wurde es plötzlich eigenartig schwer und eng um die Brust, als laste ein immenses Gewicht auf seiner Seele, welches ihm das Atmen erschwerte.
Sprachlos standen die Anderen da, mit so einer heftigen Reaktion hatten sie nicht gerechnet. Betreten sahen einige zu Boden, irgendwie fühlten sie sich fehl am Platz.
Ein glucksender Schluchzer entwich der Fotografin. Auch ihr wurde es im Herzen schwer. Sie hatte nun fast alles gesagt, was ihr auf der Seele brannte, was ihr wichtig war, was sie mehr beschäftigte als sie wollte ...
... fast alles.
»Ich hab dich vermisst, Tai.«

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