Eine Seite, die nur Eltern kennen

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Langsam folgte Kagami-chan ihrem Klassenkameraden und ging die Treppe hinauf. Dass er nichts sagte, machte die Situation nicht besser. Die Situation als die beiden joggen waren, war noch viel zu frisch und überhaupt war sie verunsichert. Er wechselte immerzu sein Wesen. Von nett, zuvorkommend, ja gerade zu höflich, hin zu beleidigend, arrogant und desinteressiert. Was sollte sie davon nur halten?
Als sie schließlich in seinem Zimmer ankamen, war sie mehr als überrascht. Eigentlich hatte sie das blanke Chaos erwartet, doch es war für einen Jungen viel zu aufgeräumt. Nichts lag herum, lediglich eine Sportzeitschrift lag auf dem Bett. Vermutlich hatte er gerade darin gelesen, als er gerufen wurde. Noch immer sagte keiner von beiden etwas, sie stand nur schweigend im Türrahmen und beobachtete ihn, wie er seinen Kleiderschrank öffnete und darin herumwühlte.
»Hmmm ...«, machte er plötzlich. »Das hier könnte dir passen, versuch es mal«, sagte er schließlich und drückte ihr ein oranges T-Shirt in die Hand. Da musste sie kurz lächeln.
»Ich denke, orange steht mir nicht?«, fragte sie und erinnerte ihn an das, was er vor einigen Monaten gesagt hatte, als sie auf die Tōō wechselte. Kritisch musterte er das Shirt und runzelte die Stirn.
»Du hast recht. Den Anblick kann ich meinen Eltern nicht zumuten«, sagte er und nahm es ihr wieder aus der Hand.
»Na danke. Bin ich so hässlich, oder was?«, fragte sie genervt und nahm nun das dunkelgrüne T-Shirt von ihm entgegen. Plötzlich musterte er sie kurz.
»Das hab ich nicht gesagt«, meinte er schließlich ernst. Verwirrt sah sie ihn an. »Jetzt probiere schon, ob es dir passt.«
»Ähm ...«, kurz räusperte sie sich und hob eine Braue. Abwehrend hob er die Hände und drehte sich um, um zu gehen, doch er hörte kurz darauf ihr leises Motzen.
Krampfhaft versuchte sich der Rotschopf aus ihrem T-Shirt zu schälen, doch das war gar nicht so einfach, da das Kleidungsstück wie eine zweite Haut an ihr klebte.
»Komm schon«, brummte sie verzweifelt, doch da spürte sie plötzlich, wie zwei Hände nach ihren Saumen griffen und es ihr mit einem bestimmenden Ruck über den Kopf zogen. Verdutzt drehte sie sich um und sah sich Aomine gegenüber, wie er hämisch grinsend auf sie herab sah.
Erschrocken machte sie einen Satz von ihm weg.
»W-was soll das?«, stammelte sie verlegen und griff sich schnell das trockene T-Shirt.
»Es klang, als ob du Hilfe gebrauchen könntest«, sagte er und ließ nun auch seinen Blick über sie wandern.
Sie war vielleicht keine dieser typischen Schönheiten und hatte auch nicht das was man schlichtweg als Modelmasse bezeichnete, aber obwohl sie nicht rankt und schlank war hatte sie etwas an sich, das geradezu anziehend wirkte, das musste er gestehen. Als sie bemerkte, dass er sie eingehend musterte schoss ihr abermals die Röte ins Gesicht und sie zog sich hektisch das trockene Shirt über.
»Hör auf so zu glotzen«, entfuhr es ihr.
»So viel kann man bei dir nun wahrlich nicht abschauen, Kagami«, sagte er frech.
»Bastard«, raunte sie. »Und jetzt verzieh dich, ich will aus der Hose raus.«
»Sicher, dass du dabei keine Hilfe brauchst?«, raunte der Power Forward leise, griff beherzt nach ihrem Hosenbund und zog sie zu sich heran. Perplex und auch irgendwie erschrocken sah sie ihn aus ihren roten Augen an. Er konnte ihre Unbeholfenheit und ihre Entscheidungsschwierigkeiten geradezu in ihrem Blick lesen. Es stand ihr mehr als deutlich auf die Stirn geschrieben, dass sie nicht wusste, was sie nun machen sollte, oder wie sie am besten reagierte, ohne ihm den Kopf von den Schultern zu reißen. Kurz hatte sie die Hand geballt und er sah auch, dass sich ihre Schultern strafften, doch dann entspannte Kagami-chan sich wieder und griff nur nach seinen Händen um diese von ihrer Hose zu lösen.
»Jetzt geh schon!!«, sagte sie mit Nachdruck. Jedoch festigte sich sein Griff an ihrem Bund und der Blick, den er ihr zuwarf, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Lag es daran, dass die Rothaarige völlig durchnässt war, oder kam diese fiese Gänsehaut von ihm? Aber die schlimmste Frage, die ihr vollends das Hirn erweichte und ihre Synapsen völlig beanspruchte, war ... wie um Gottes Willen sollte sie sich jetzt verhalten? Und was in drei Teufels Namen, sollte das?!
Noch bevor er selbst Hand anlegen konnte, erklang die rettende Stimme von Sonoko, die den Power Forward rief. Kurz warf er einen prüfenden Blick über die Schulter, die Tür hinaus.
»Tja, so wie es aussieht musst du dich wohl selbst um deine Hose kümmern«, sagte er schief grinsend und ließ von ihr ab. Die Erleichterung stand ihr ebenso deutlich ins Gesicht geschrieben, wie die voran gegangene Unsicherheit. Als er draußen war, griff sie sich mit einer Hand gegen die Stirn. Hatte sie sich das gerade eingebildet? War sie vielleicht doch auf den Kopf gefallen und hatte sich ein schweres Schädelhirntrauma zugezogen, welches sich so bemerkbar machte? Mit zittrigen Fingern machte sie sich nun daran, ihre Hose aus zu ziehen, sie musste sich unbedingt wieder beruhigen.

»Daiki? Hast du ein paar Sachen für sie gefunden?«, fragte seine Mutter sogleich und unterbrach das Gespräch, in dem sie sich befand abrupt.
Ein genervtes, »Hm«, war jedoch alles an Antwort, was sie bekam. Genervt stöhnte Momoi auf.
»Die beiden können sich nicht sonderlich gut leiden«, sagte sie schließlich in die Runde. »Sind wie Öl und Wasser.«
»Was lästerst du schon wieder, Satsuki?«, fragte Aomine finster dreinschauend.
»Sie hat uns nur etwas über sie erzählt, was ich noch nicht wusste«, sagte seine Mutter.
»Kagami? Eigentlich nervt sie ständig, mit ihren blöden Fotos«, brummte er und setzte sich neben seinen Vater. »Das sie das Mädchen ist, dass bei dir im Laden aushilft, konnte ja keiner ahnen«, aber irgendwie hatte Aomine das Gefühl, dass sie das Thema gewechselt hatten, als er die Tür herein kam. Wieso wurde er dieses Gefühl nicht los?
Plötzlich prustete sein Vater los, als er die Miene seines Sohnes sah. Kagami-chans Namen hatte Aomine-senior eigentlich auch nur erraten, weil die Beschreibung seiner Frau ziemlich treffend war, in den vorangegangenen abendlichen Gesprächen, hatte diese ihm von ihrer neuen Aushilfe erzählt.
»Was ist daran so witzig?«
»Nichts«, sagte dieser verteidigend und musste noch breiter grinsen.
»Sie ist nicht meine Freundin, wenn ihr das meint. Nicht einmal annähernd«, stellte der Power Forward sofort klar.
»Ja, ... Natürlich«, feixte sein Vater weiter. Aber Aomines Miene verfinsterte sich.
»Chiaki, du bist unmöglich«, mahnte Aomines Mutter ihren Mann, musste aber selbst leicht grinsen.
»Wo bin ich hier nur gelandet?«, stöhnte ihr Junge genervt und legte den Kopf auf die Tischplatte, da tätschelte sein Vater ihm diesen.
»Ich mach doch nur Spaß. Du hast recht, sie ist nun wirklich nicht dein Typ.«
Da wurde der Power Forward hellhörig und wechselte einen kurzen Blick mit seinem Vater.
»Ach, ... was du nicht sagst. Und warum nicht?«, doch ehe sein Elternteil eine Antwort darauf geben konnte, wurden sie unterbrochen.
»Ähm, ich denke, dass der Regen nicht mehr so schlimm ist«, meldete sich nun Kagami-chan zu Wort. Leicht erschrocken wandten die Anwesenden sich nun um.
Als Momoi ihre Freundin sah, musste sie lachen. Die Rothaarige sah verlegen zu Boden.
»Was denn?«, fragte diese kleinlaut und strich sich eine nasse Strähne hinter ihr Ohr.
»Die Klamotten sind dir ja viel zu groß«, lachte sie weiter und plötzlich musste auch ihre Chefin grinsen. Es war schon fast niedlich, wie sie da stand. Das T-Shirt und die Hose waren viel zu weit. Sie sah darin aus wie der Sprichwörtliche "Schluck Wasser".
»Ich ruf deine Tante an, die kann dich holen«, schlug Sonoko vor und erhob sich.
Währenddessen entging dem Beamten nicht, wie sein Sohn seine Klassenkameradin musterte. Schmunzelnd warf er Aomine einen Blick zu und hob frech grinsend eine Braue.
»Du bist ein genauso schlechter Lügner wie sie«, sagte er schließlich, als sein Sohn ihn mit seinen Blicken fast auseinander nahm.
Eltern waren gefährlich, sie lasen in gewissen Dingen einfach das, was sie wollten und nicht, was wirklich der Wahrheit entsprach.
»Kagami-chan, würdest du dich bitte mal zu mir setzten?«, fragte Chiaki höflich, aber bestimmend und deutete auf den Stuhl neben sich, den seine Frau frei gemacht hatte um zu telefonieren.
Kurz nickend, setzte sie sich schließlich neben ihn, immer darauf bedacht ihm nicht zu lange in die Augen zu sehen.
»Ich räum dir nochmal die Gelegenheit ein, mir die Wahrheit zu sagen«, sagte er nun ernst.
Schnell schluckte sie den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals festsetzen wollte. Ihr Mund war plötzlich so eigenartig trocken. Die Rothaarige fühlte sich, wie auf dem Präsentierteller serviert. Sollte das ein Verhör werden? Hatte ihre Chefin etwa schon etwas angedeutet?
»Wegen was?«, fragte sie und versuchte sich dumm zu stellen.
»Deinem Sturz.«
Überrascht und wartend sah nun auch Momoi auf.
»Ich bin vorhin ausgerutscht und konnte mich nicht mehr halten, dabei bin ich einfach auf den Boden gefallen.«
Schwer seufzend musterte er sie weiter.
»Du bist ein harter Brocken, Kagami-chan. OK. Das mag dir vielleicht wie ein Verhör vorkommen, aber ich will nur nicht, dass du mich anlügst«, stellte er klar. »Ich weiß bereits ein paar Kleinigkeiten, aber ich will genaueres von dir hören.«
Jetzt wird es aber haarig. Wie kam ich auf die blöde Idee einen Polizisten zu belügen?!, beschämt sah die große Schülerin zu Boden. Ich hab ja eigentlich nichts schlimmes gemacht, oder?
Nun war auch Aomines Interesse geweckt, das seine Mutter sie verarztet hatte, war wohl irgendwie an ihm vorbei gezogen, was war überhaupt los?
Erwartungsvoll sah Aomine-san sie weiter an.
»Ich warte.«
»Ich ... ich hatte eine kleine Auseinandersetzung«, gestand sie schließlich.
»Mit dem Fußboden?«, setzte er weiter nach.
»Also ... ähm«, nun sah sie ihm das erste Mal direkt in die Augen und bereute es auf der Stelle. Sie fürchtete, dass er ihr bis auf die Seele schauen konnte. »Mehr oder minder, ... mit einem ... Mann.«
»Was für einem Mann?«, entfuhr es Momoi panisch.
»Ein Dieb«, nun war es raus.
»Sie ist dem Kerl, der die Kasse leer geräumt hat, Hals über Kopf hinterher gerannt«, sagte nun die Mutter, die Rothaarige streng musternd stand sie im Türrahmen und ging nun auf ihren Mann zu.
»Es war ... , w- was sollte ich denn machen? Der stand da plötzlich hinter dem Tresen mit den Einnahmen unterm Arm und wollte raus. Da bin ich halt hinterher gerannt«, gestand sie nun und versuchte ihr Handeln zu rechtfertigen.
»Hat er dich attackiert?«, fragte der Beamte nun ernst.
»Nein«, und schon schoss ihr die Röte wieder ins Gesicht. »Ich bin ausgerutscht und gestürzt, dabei hat er vollends das Weite gesucht.«
Das Ehepaar Aomine wechselte einen kurzen Blick.
»Das ist keine harmlose Sache. Meine Frau zeigt den Vorfall an und du bist eine wichtige Zeugin«, sagte Aomines Vater ernst.
»Ist das wirklich nötig?«
»Du hast ihn gesehen und verfolgt. Ja, es ist wichtig. Aber das mal bei Seite«, nun wurde sein Blick, der vorher so weich war, kalt wie Stein. »Hast du eine Ahnung, was dabei alles hätte passieren können? Was wenn der Dieb bewaffnet gewesen wäre? Außerdem, was hättest du gemacht, wenn du ihn erwischt hättest? Das war unüberlegt und leichtsinnig. Bevor du das nächste Mal jemanden verfolgst, denk an deine eigene Sicherheit. Es wäre vernünftiger gewesen die Polizei zu rufen«, mahnte er die Schülerin streng.
Verdammt, er hat Recht. Was hab ich mir dabei nur gedacht?
»Entschuldigung«, flüsterte sie niedergeschlagen. Sie hatte so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Gedanklich klatschte sie sich dafür gegen die Stirn, sie sollte mehr denken, bevor sie handelte.
Momoi verschlug es ganz die Sprache, das letzte Mal, als sie den Vater ihres Jugendfreundes so erlebt hatte, war als Aomine selbst, mit den anderen Jungen einen Dieb auf einem Roller hinterher jagte. Sie selbst wurde dabei zur Seite gestoßen, aber Aomine und Kise sind ihm ohne zu überlegen hinterher gewetzt. Nach dem Vorfall hatte auch der Power Forward sich eine ordentliche Standpauke abholen müssen. Aomine selbst war überrascht über Kagami-chans Verhalten. Er hätte ihr zwar so einiges zugetraut, aber einem Dieb hinterher zu rennen, gehörte definitiv nicht dazu.
Kopfschüttelnd lächelte der Beamte schließlich.
»Du bist ein wirklich schwieriger Charakter«, gestand er.
»Sagst ausgerechnet du«, piesackte seine Frau und gab ihm einen leichten Klapps. »Wie auch immer, deine Tante weiß bescheid und holt dich nachher.«
»Vielen Dank, Sonoko-san«, sagte Kagami-chan höfflich und versuchte den Blicken auszuweichen. Sie wollte eigentlich nur so schnell wie möglich aus ihrer Haut raus.
»Kein Problem«, entgegnete diese und nun schenkte sie ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Wieder wechselte der Vater von Aomine einen Blick mit ihm und lächelte leicht, während er den Kopf schüttelte.
»Kinder, Kinder. Ihr macht es mir nicht leicht«, sagte er schließlich und erhob sich. »Ich werde mal einen Kollegen her bestellen, der sich um die Angelegenheit kümmert. Der wird vermutlich auch ein paar Fragen an dich haben.«
»So, und ihr drei könnt mir beim Vorbereiten des Abendessens helfen«, sagte Sonoko, als Aomine schließlich keine Anstalten machte aufzustehen, kniff sie ihn leicht in die Schulter. »Du auch.«

Nach dem Abendessen blieb Kagami-chan bei Momoi am Tisch sitzen. Doch sie zupfte die ganze Zeit am T-Shirtsaum herum.
»Was stimmt mit dem T-Shirt nicht«, brummte Aomine genervt und musterte seine Klassenkameradin.
»Was? Nichts. Alles in Ordnung«, sagte sie schnell.
»Lass das, das macht mich nervös.«
»Was?«
»Das Rumzupfen an der Klamotte und dein Verhalten.«
»Mein Verhalten?«
»Ja, dein Verhalten. Du bist viel zu höflich und nett.«
»Ach, du hast es lieber, wenn ich gemein zu dir bin? Na wenn es weiter nichts ist?«, sagte sie schulterzuckend. Dabei war er der Einzige, der sich eigenartig verhielt.
»So meinte ich das nun auch wieder nicht.«
»Wie dann?«, fragte nun die Rosahaarige Managerin neugierig.
»Es ist irgendwie eigenartig, wie sie sich verstellt. Das meinte ich damit.«
»Ich verstelle mich nicht, ich bin eigentlich ein ziemlich umgänglicher Mensch«, gestand sie.
»Aber?«, hängte der Power Forward dran und hob erwartungsvoll die Brauen.
»Du weckst den Teufel in mir«, sagte sie nun finster dreinblickend. »Du trägst die Herausforderung offen zu Schau gestellt, wie eine Rüstung.«
»Es macht euch wohl an, euch die Augen auszukratzen?«, stöhnte Momoi genervt.
»Ja, natürlich. Dich nicht?«, sagte der Blauhaarige tonlos.
Da blickten Momoi und Kagami-chan ihn überrascht und fragend an.
»Wie war das gerade?«, fragten die beiden Mädchen unisono.
»Ich brauch dieses scheiß "Sarkasmus -Schild"«, raunte Aomine schließlich und verdrehte die Augen.
Es brachte nichts sich ausgerechnet in seinem Elternhaus mit dem Rotschopf anzulegen. Die Runde würde er verlieren, einfach weil die Umgebung nicht neutral genug war und von Heimvorteil, konnte nicht die Rede sein. Nicht mit einem Polizisten im Haus. Genervt stützte er das Kinn in die hohle Hand und trommelte mit der andern auf der Tischplatte herum, bevor er das Wort wieder an die Fotografin richtete.
»Wieso bist du dem Typen nachgerannt?«
Überrascht über diese plötzliche Frage blinzelte Kagami-chan einige Male, ehe sie die Stirn kraus zog und überlegend den Kopf schief legte.
»Ehrlich gesagt, kann ich dir das nicht genau sagen«, erwiderte sie wahrheitsgemäß. »Eigentlich war es ziemlich unlogisch, weil ich panische Angst hatte.«
»Das widerspricht sich«, entgegnete der Power Forward, doch das entlockte ihr nur ein müdes Schulterzucken.
»Aus Angst rennt man davon und nicht jemandem nach.«
»Ich weiß nicht warum«, behaarte sie weiter und massierte kurz ihr Knie. Das war wirklich keine ihrer besten Ideen gewesen. Manchmal war sie wirklich nicht die hellste Birne im Kronleuchter. Aber immerhin hatte sie sich ihre Standpauke schon abgeholt. Von einem Polizisten gelyncht zu werden, war nicht unbedingt etwas, was sie ein zweites Mal brauchte. Plötzlich öffnete sich die Küchentür und Aomines Vater trat ein, mit ernster Miene wank er wortlos die Fotografin zu sich. Das konnte ja noch heiter werden.

Später am Abend war auch endlich Kagami-chans Tante gekommen um sie ab zu holen, doch weiter als bis zu Haustür ging sie nicht. Momoi warf neugierig einen Blick durch den Türspalt und sah, wie sich Aomines Vater noch mit ihrer Tante austauschte. Diese nickte eifrig, verbeugte sich anschließend dankbar und verschwand mit ihrer Nichte in den Regen. Als Chiaki die Tür geschlossen hatte, massierte er sich die Nasenwurzel und ging zurück in die Küche. Seine Frau sah ihn erwartungsvoll an und auch Momoi schien auf irgendetwas zu warten. Fragend blickte er in die Runde.
»Was?«
»Sie schien nicht begeistert zu sein«, stellte die Rosahaarige nüchtern fest.
»Welcher Erziehungsberechtigte ist das schon, wenn das Kind in Schwierigkeiten steckt?« und bei der Gelegenheit warf er seinem Jungen gleich einen mahnenden Blick zu, welchen Aomine gekonnt ignorierte. Das sein Vater noch immer darauf herum hackte, nervte ihn auf Dauer. Aber, dass er die Angelegenheit vergessen würde, darauf konnte der Power Forward lange warten.


Ein paar Tage später hatte sich die Situation im Laden von Sonoko-san etwas beruhigt. Wenigstens etwas. Kaiou hatte sich bei Kagami-chan ebenfalls erkundigt und nachgehakt, was da genau passiert war, weil Momoi ihr nur die Hälfte erzählen konnte. So langsam nervte sie diese ganze Aufmerksamkeit. Es war nur ein verdammter Dieb und sie hatte es mit Bravour versaut, als sie ihn nachrannte. Schließlich hatte sie sich dabei auch noch das Knie leicht verdreht, was sie an dem Abend nicht mitbekam, weil ihr Körper voller Adrenalin war. Aber eine Packung Eis sorgte dafür, dass sie sich wieder schmerzfrei bewegen konnte. Manchmal halfen kleine Dinge. Aber neben dem Diebstahl kam erschwerend hinzu, dass die anderen Mädchen hinter ihr her waren, wie der Teufel hinter der armen Seele, weil irgendwer in Umlauf gebracht hatte, dass da wirklich mehr mit dem Basketballass lief. Genervt schaltete sie ihr Radio an und legte irgendetwas auf, womit sie sich beschallen konnte. Laut dröhnte die Musik durch ihr Zimmer, so konnte man immer noch am besten abschalten, vor allem wenn man einen echt ätzenden Tag hinter sich hatte. So wie Kagami-chan. Mädchen in Massen konnten wirklich anstrengend sein und wenn sie einen auch noch auf dem Kieker hatten, hatte man ohnehin so gut wie verloren. Aber es brachte alles nichts, Augen zu und durch. Jetzt wollte sie eigentlich nur noch ihre Ruhe. Schnell entledigte sie sich ihrer Jeans und ihres T-Shirts und ging in Unterwäsche durch ihr Zimmer. Das schöne an Rollläden war, dass die Leute nicht spanen konnten und sie so nicht Gefahr lief gesehen zu werden. Sorgfältig legte sie ihre Jeans über die Stuhllehne und drehte das Radio noch ein wenig lauter, ohhh, wie die Musik ihre von Unmut und Ärger zerfressene Seele heilte. Mitsummend ging sie schließlich auf ihren Schrank zu, wobei sie eher drauf zu tänzelte und öffnete ihr Fach mit den Oberteilen. Prüfend nahm sie ein schwarzes T-Shirt heraus, beäugte es kurz und zog es sich schließlich über. Plötzlich war es viel zu still, ... ihr Radio war mit einem Schlag verstummt. Stutzig dreinblickend warf sie einen Blick über ihre Schulter und erschrak so heftig, dass sie ein paar Schritte zurück machte und sich an ihrem Schrank stieß. Motzend und brummend rieb Kagami-chan sich die schmerzende Stelle und warf ihrem ungebetenen Besuch vernichtende Blicke zu.
»Rhythmus im Blut, wie?«, feixte Aomine breit und durchstöberte ihre CD- Sammlung. Völlig perplex starrte sie die zwei Besucher an.
»Was zum Teufel macht ihr hier? Ihr könnt doch nicht einfach so ...«, doch bevor sich die Rothaarige weiter aufregen konnte und sich in ihr Schimpfen hineinsteigerte, hob Momoi beschwichtigend die Hände.
»Klopfen hätte nichts gebracht, weil du das ganze Haus beschallst«, rechtfertigte sie sich. »Deine Tante hat gerade so das Läuten der Klingel gehört.«
»Ist ja gut. Was macht ihr hier?«, fragte die Fotografin nun beschwichtigt und schloss ihren Schrank.
»Dir dabei zusehen, wie du in Unterwäsche durch das Zimmer tänzelst«, antwortete der Power Forward und ließ provokativ den Blick über die Rothaarige gleiten. Schön langsam von unten nach oben. Ehe sie bemerkte, warum er so schmierig grinste, sah sie ihn missmutig an, dann begriff sie, dass sie nur in T-Shirt und Slip da stand. Versuchend die Fassung zu wahren, zog sie ihr T-Shirt leicht runter und hob leicht die Nase.
»Ja und?«, versuchte sie so gleichgütlich wie möglich zu antworten, doch ihr stand die Scharm quer über die Stirn geschrieben.
»Dai-chan, zeig ein wenig Anstand und schau weg«, keifte die Rosahaarige und stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen.
Doch er grinste nur weiter frech in die Runde.
»Wieso denn? Das kleine Schwarze steht ihr.«
»Jetzt mach dich raus«, fauchte nun seine Jugendfreundin und schob ihn zur Tür, doch bevor diese sich hinter ihm schloss, steckte er noch einmal den Kopf durch den Türrahmen. »Die Farbauswahl in deinem Schrank lässt zu wünschen übrig, aber bei Dessous ist das ok.«
»Jetz raus mit dir!!!«, keifte die Managerin und schloss die Tür.
Kagami-chan fühlte sich, als hätte man sie überfahren, fassungslos über das, was er gerade sagte, klappte ihr der Mund auf und sie schnippte zu Momoi herum.
»Wieso hast du ihn mitgebracht?«
»Naja, ... würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass es nur so war?«, fragte die Rosahaarige schulterzuckend.
»Nur so?«, missmutig schnippte eine ihrer Brauen in die Höhe.
»Ja?«
Grummelnd wandte sie sich ab.
»Muss ich mir das schon in meinem eigenen Zimmer gefallen lassen. Unfassbar«, knurrte und motzte sie und schlüpfte in ihre Jeans. »Man ist aber auch nirgends sicher vor dem Typ.«

Gemächlich ging Kagamis Tante Mayu die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf und traf dort den Power Forward, der noch immer vor der Tür stand. Ein leichtes Grinsen umspielte ihre Lippen.
»Sie war bestimmt ganz schön erschrocken, oder?«, fragte die Schwarzhaarige amüsiert.
»Ein wenig«, entgegnete Aomine leicht feixend, das entlockte der Älteren ein leises Kichern.
»Seit sie wieder zur Schule geht, ist sie wie ausgewechselt«, begann Mayu-san plötzlich und lächelte sanftmütig. »Nach dem Unfall, hatte sie sich komplett zurückgezogen und das Taiga weg gegangen ist, war auch nicht sehr förderlich für ihren sozialen Umgang. Daher bin ich wirklich froh, dass sie in euch so zuverlässige und gute Freunde gefunden hat.«
Betreten schwieg er, was sollte er dazu schon groß sagen? Konnte man ihn wirklich als einen Freund bezeichnen? Eigentlich piesackten die beiden sich nur ununterbrochen und raubten sich gegenseitig den letzten Nerv.
»Darf ich dich etwas fragen, Aomine-kun?«, richtete sie wieder direkt das Wort an ihn, ein kurzes Nicken war die Antwort und so kam sie ohne Umschweife zu ihrer Frage.
»Was genau ist das zwischen dir und Ha-chan?«
Wenn er jetzt alles erwartet hatte, aber nicht diese Frage. Was sollte er darauf antworten? Seine Eltern stellten ihm diese Frage auch auffällig oft in letzter Zeit und er gab ihnen immer wieder deutlich zu verstehen, dass da rein gar nichts war. Zumindest von seiner Seite her, auch wenn er sich in den letzten paar Wochen nicht mehr ganz so sicher war, was sein Verhalten bedeutete. Manchmal erkannte er sich selbst nicht wieder und fragte sich viel zu spät, was manche Handlungen sollten, und ob sie wirklich nötig gewesen wären. Überlegend rieb er sich den Nacken.
»Eigentlich sind wir nur Klassenkameraden«, antwortete er schließlich. »Ich weiß nicht, ob man mich als "Freund" bezeichnen sollte?«
»Als was dann? Der Freund?«, fragte sie und dieses wissende Lächeln, welches er nur von seinen Eltern kannte, verschwand auch bei ihr nicht.
Er fühlte, wie ihm eine unangenehme Röte in die Wangen stieg und sich zart auf seiner Nase abzeichnete. Was bezweckte diese Frau nur mit diesen Fragen und wieso um Himmelswillen hatte er seine Körpertemperatur nicht unter Kontrolle? Fieberhaft überlegte er, was Mayu-san damit gemeint haben konnte, auch wenn ihn eine unangenehme Ahnung beschlich, doch ehe er sich eine Antwort zurechtgelegt hatte, lachte sie schon heiter los und gab ihm einen leichten Klapps auf die Schulter.
»Keine Panik, dir brauch doch nicht gleich die Mimik entgleiten«, scherzte sie und ging an ihm vorbei, um an die Zimmertür ihrer Nichte zu klopfen.
Noch ein wenig neben sich stehend und mit den Gedanken bei der Frage, machte sich ein undefinierbares, seltsames Gefühl in seiner Magengegend breit.
Als was dann? Der Freund?
Krampfhaft versuchte er diesen wirren Gedanken, der sich in sein Hirn festsetzen wollte abzuschütteln und fuhr sich kurz mit seiner Hand übers Gesicht. Was war das gerade für ein unangenehmes und unheilvolles Gefühl, welches ihn mit diesen kleinen Worten begleitete? Warum fragte alle Welt plötzlich solche unsinnigen Dinge?

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