Unerwartete Wendung

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Die Situation war für den rothaarigen Power Forward unangenehmer als er zunächst dachte. Es zerquetschte ihm schier das Herz, wie sie vor ihm stand. Das Gesicht in den Händen vergraben. Er hatte seine Schwester schon oft weinen sehen ... aber nie so. Nie so verletzt, traurig und wütend.
Ich hab dich vermisst, dieser Satz zerriss ihm fast das Herz. Kagami-kun hatte sie nicht ignorieren oder ausschließen wollen. Und am allerwenigsten ... ersetzen. Wenn sie wüsste, dass es auch das ein oder andere Problem mit Himuro gab, vielleicht wäre sie dann etwas milde gestimmt. Aber das tat nun wirklich nichts zur Sache.
Kuroko tippte vorsichtig die Anderen an, die in seiner Nähe standen und deute an gehen zu wollen. Er wollte seinem Teamkameraden die Gelegenheit einräumen, ein für alle Male alle Unstimmigkeiten mit dessen Zwilling aus der Welt zu räumen. Auch Momoi wollte am Ärmel ihres Jugendfreundes zupfen, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass sie etwas fehl am Platz waren, doch sie griff ins Leere. Suchend sah sie sich nach Aomine um und stellte fest, dass der Blauhaarige sich bereits auf den Weg gemacht hatte. Im Dunkel sah sie nur noch seine Silhouette. Nach wenigen Augenblicken waren die Kagami- Zwillinge alleine. Das einzige Geräusch war das leise Schluchzen seiner Schwester. Die Rothaarige wischte sich schnell über die Augen und versuchte sich wieder zu beruhigen. Nun setzte das Hicksen ein.
»Meintest du das ernst?«, fragte Kagami-kun vorsichtig und wartete auf eine Reaktion seiner Schwester.
Ein freudloses kurzes Lachen entwich ihr und ein letztes Mal wischte sie sich über die Wange.
»Du bist wirklich ein Idiot«, raunte sie mit brüchiger Stimme.
Da ist was dran, dachte er sich ins Geheim und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, erst da fiel ihm auf, dass er noch immer das Foto in der Hand hielt und wollte es schnell in der Hosentasche verstauen.
»Du hast es gefunden?«, war es nun an ihr, schief grinsend zu fragen und deutete auf seine Hand, die in der Tasche verschwunden war. Zögerlich zog er diese wieder heraus und nickte leicht.
»Beim Aufräumen. Es ... naja, es lag unter der Spüle.«
Zur Überraschung Kagami-kuns, kicherte seine Zwillingsschwester leicht.
»Ich hab mich schon gefragt, wo es hin ist.«
Über diesen Themawechsel war der Power Forward ziemlich überrascht, wenige Augenblicke zuvor hatte sie ihn zur Schnecke gemacht und ihn angebrüllt. Jetzt wirkte sie wie ausgewechselt. Als hätte sie der ganzen aufgestauten Wut Luft gemacht und es dabei belassen. Betreten sah nun auch sie zu Boden. Aus irgendeinem Grund schämte sie sich plötzlich. War es denn wirklich nötig gewesen, ihn so anzuschreien und anzugehen? Ihr Gewissen regte sich mit einem Mal heftiger als es Kagami-chan lieb war. Der Power Forward war ihr einziger Bruder und dazu auch noch ihr Zwilling. Egal wie sauer, wütend, enttäuscht oder verletzt sie war oder ist, sie konnte einfach nicht länger so nachtragend sein. Unmissverständlich hatte sie ihn damit konfrontiert und dabei sollte sie es einfach belassen.
Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, nagte dieser "Streit" ohnehin viel zu sehr und viel zu lange an ihr. Die Fotografin und ihr Zwilling stritten sich früher so gut wie nie, also sollten sie damit auch nicht anfangen. Nicht wegen einer Sache die fast zwei Jahre her war.
Ein leises Seufzen entwich ihr und gleichzeitig sahen sich die Zwillinge an und begannen zu sprechen.
»Hör mal ... dass ...«, doch beide unterbrachen sich auch ebenso plötzlich und sahen einander fragend und beschämt an.
Das war ja gerade ein Paradebeispiel einer nicht zu toppenden peinlichen Situation. Wie aus einer billigen Schmierenkomödie. Doch unbeirrt ergriff seine Schwester erneut das Wort.
»Ich war gerade vielleicht etwas ... unfair. Aber ich hab einfach nur so eine Wut auf dich. Obwohl ... Wut ist irgendwie das falsche Wort«, sie hielt kurz inne und achtete auf die Mimik ihres Bruders. »Ich war schlichtweg enttäuscht. Aber vermutlich warst du das auch von mir«, schloss sie kleinlaut ab.
»Weil du mich in den Staaten nicht besucht hast? Naja, vielleicht etwas. Zu Beginn«, gestand er.
Nun standen beide wie bestellt und nicht abgeholt da. Die Stille breitete sich unangenehm aus und schob die bedrückende Stimmung noch mehr ins Erdreich. Leicht seufzend schob Kagami-chan die Hände in die Hosentaschen.
»Hör mal, Tai ...«, begann die Rothaarige und räusperte sich kurz, das Folgende schien ihr ziemlich unangenehm zu sein. Der großgewachsene Spieler dachte er sehe nicht recht. Legte sich da ein Rotschimmer auf ihre Wangen? »Das mit dem Schlag, nun ... das tut mir leid.«
Erst zeichnete sich nach Beendigung des Satzes Überraschung auf seinem Gesicht ab, doch schnell schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen.
»Wenn wir ehrlich sind ... hab ich es ja irgendwie verdient«, schloss er das Gespräch grinsend ab.
Unter Geschwistern sind nicht immer viele Worte nötig, es war ohnehin als können sie die Gedanken des anderen lesen. Sie sahen sich an und lasen einfach in einem offenen Buch. So einfach war das.
Was gesagt werden musste war gesagt, damit war das Thema für die Kagami- Zwillinge vorerst erledigt.


Die darauffolgenden Tage verliefen wesentlich entspannter. Das spürte vor allem Kuroko. Da sein Licht endlich wieder sichtlich besser gelaunt war und auch besser auf Zack. Die Trainingseinheiten verliefen reibungsloser, außer der ganz alltäglichen kleineren Zankereien unter den Spielern, weil Kagami-kun wohl wirklich nichts anderes konnte, außer einen Ball nach dem anderen zu dunken.
Wachsam musterte Aida Riko ihren Power Forward und war nun milde gestimmt, als sie sah, dass alles beim Alten zu sein schien. Doch plötzlich verfinsterte sich ihre Miene, als sie sah, wer mit wackelnden Hintern und strahlendem Gesicht auf sie zu gelaufen kam.
»Das war's wohl mit meiner guten Laune«, brummte die Brünette genervt und ging der Person etwas entgegen.

Völlig perplex starrte die rothaarige Fotografin ihre Freundin an.
»Wiederhol das, Kaiou.«
»Ich sagte, Momoi-chan spricht gerade mit Riko-chan wegen eines "Freundschaftsspiels". Da die beiden Mannschaften ohnehin hier sind um zu trainieren, hielten sie und der Coach das für eine gute Gelegenheit für beide Mannschaften.«
Das unheimliche Leuchten, welches Kaiou Suki in die Augen bekam, wenn sie aufgeregt war oder eine Story witterte, die mehr als vielversprechend war, beunruhigte Kagami-chan. Es war ihrer Freundin mehr als anzusehen, das diese total wild auf einen fetten Artikel war.
Schnell umgriff die Kleinere mit ihrem zarten Arm, die Schulter der Rothaarigen und fuhr mit dem anderen ausgestreckten Arm durch die Luft, als wolle sie etwas zeigen.
»Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir. "Seirin versus Tōō, das Ferienmatch des Jahres." Was meinst du?«
»Das du auch über den Kalten-Krieg schreiben könntest. Das wäre wohl das Gleiche«, sagte Kagami-chan tonlos und schob den Arm Kaious von sich.
»Ist das nicht aufregend? Wenn Seirin zusagt, werden wir Zeugen eines der geilsten Spiele überhaupt«, sprach die Journalistin aufgeregt weiter.
Skeptisch hob die Fotografin eine Augenbraue und sah die Azurblauhaarige an.
»Woher willst du das wissen? Ja, klar unsere Mannschaft ist ziemlich gut, aber auch nur wegen diesem überheblichen Arsch. Das heißt nicht, dass die sich eine Schlacht liefern. Du sprichst als ob. ...«, doch Kaiou unterbrach ihre Freundin und schwang breit grinsend, mahnend den Zeigefinger.
»Ich merke schon, da du erst dieses Jahr auf unsere Schule gekommen bist, ist dir natürlich das Spannendste entgangen.«
»Was da wäre?«
»Seirin hat schon mal gegen unsere Jungs gespielt.«
Nun hatte die Journalistin Kagami-chans volle Aufmerksamkeit.
»War er da schon wieder aus Amerika zurück?«
»Ja, sagen wir, dein Bruder ist der Grund dafür, dass unsere Jungs sich mal anstrengen mussten«, kicherte Kaiou. »Oder besser ausgedrückt, Aomine-kun. Ich denke Kagami-kun ist einer der Wenigen die es wohl mit ihm aufnehmen können.«
Überrascht und auch leicht ungläubig sah die Rothaarige Kaiou an.
»Tai gegen Aomine? Du willst mich wohl verarschen? Ich hab Aomine spielen sehen und ich weiß wie mein Bruder spielt.«
Da zwinkerte Kaiou ihr verschwörerisch zu.
»Du wirst schon früh genug Zeuge, wie die Beiden sich die Augen ausstechen, Ha-chan.«
Eingeschnappt schnaufte die Größere.
»Na mal sehen. Aber abgesehen davon ... nenn mich nicht Ha-chan. ... So nennt mich eigentlich nur meine Tante«, hing sie verlegen an. »Und mein Bruder.«
Doch Kaiou ignorierte Kagami-chan ganz gekonnt und schenkte ihr nur ein weiteres Lächeln.

Herausfordernd stellte sich die kleinere Aida Riko vor die vollbusige Momoi Satsuki. Diese blickte smart lächelnd auf den Coach der Seirin-High herab.
»Willst du die Jungs wieder wuschig machen oder zu Kuroko-kun? Oder was hat dein Besuch zu bedeuten?«, ging die Brünette sofort auf Angriff.
»Nachher vielleicht, aber jetzt möchte ich dir lieber einen Vorschlag unterbreiten.«
Ungläubig hob die Kleinere eine Braue.
»Der da wäre?«, fragte sie relativ desinteressiert und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was hältst du von einem Trainingsspiel. Ihr seid schließlich hier um zu trainieren und wir auch. Das wäre doch die Gelegenheit«, schlug die Rosahaarige vor.
»Das klingt vielversprechend«, mischte sich da eine Männerstimme unter. »Also wenn der Coach nichts dagegen hat, wir sind dabei.«
»Hyūga? Das ist doch nicht dein ernst, oder?«, fragte Koganei nervös kichernd. Den Spielern war nicht entgangen das ihr Coach nicht mehr zu sah und das weckte auch ihre Neugier. Der Teil mit dem Trainingsspiel gegen Tōō bohrte sich sofort in ihren Gehörgang.
Der große Shooting Guard und Kapitän der Mannschaft stellte sich direkt neben Riko.
»Du sagst nur wann.«
»Das wäre die Gelegenheit schlecht hin«, sagte Izuki.
»Warte mal einen Augenblick. Ich weiß ja das ihr eine Revanche wollt, aber ...«, doch der Coach wurde unwirsch unterbrochen.
»Wann sonst bietet sich mal die Gelegenheit gegen Tōō zu spielen? Und Kagami ist auch schon ganz heiß drauf«, und damit deutete er kurz auf den Power Forward der schon von Vorfreude gepackt, die Fäuste ballte.
Das war so klar, diese Hitzköpfe, dachte Riko genervt, dann wandte sie sich der Managerin entgegen. »OK, es spricht nichts dagegen. Sag Bescheid wann, wir werden bereit sein.«, sagte die Brünette angriffslustig.
Doch Momoi schenkte ihr nur ein giftiges Lächeln.
»Freut mich zu hören«, war ihre kurze Antwort und geschwind wandte sie sich von Riko ab. »Und jetzt zum Wichtigem. Tetsu-kuuuun«, trällerte sie heiter und schritt sofort auf den "Schatten" zu.


Zwei Tage darauf, hatten sich die Mannschaften auf einen Zeitpunkt geeinigt, und dieser Zeitpunkt war in wenigen Minuten. Bevor der erste Pfiff erklang war die Luft dick wie Gelee und geladen wie eine Gewitterwolke.
Doch das sich zwei Schulmannschaften der Extraklasse zu einem außerplanmäßigen Spiel trafen, zog ganz schnell einen großen Kreis und so füllte sich die doch recht kleine Halle mit Schaulustigen. Wobei der überwiegende Anteil weiblich war. Als Riko dies bemerkte stöhnte sie genervt auf. Manche Mädchen waren viel zu einfach gestrickt, doch was die junge Brünette eher wunderte war die Tatsache, dass diese "Zuschauer", extra den Weg durch den Wald genommen hatten, nur um ein Trainingsspiel zu sehen.
Währenddessen suchten sich die azurblauhaarige Journalistin und deren Fotografin einen neutralen Platz für Fotos. Auch Kagami-chan entging nicht das die Halle sich füllte. Fragend hob sie eine Braue.
»Was wollen die denn alle hier?«, fragte sie ihre Freundin. Kaiou sah sich daraufhin auch genauer um.
»Wer weiß, vielleicht ist hier in der Gegend so wenig los, dass dieses kleine Spiel eine willkommene Abwechslung ist«
»Egal, solange keiner vor meiner Linse rumspringt, außer der Spieler, soll es mir recht sein.«
Der Blauhaarigen entging nicht, dass auch ihre Fotografin leicht nervös zu sein schien. Die Unruhe wirkte sich auf die Vorbereitung ihrer Kamera aus. Denn Kagami-chan schien etwas Wichtiges einfach zu vergessen.
»Ha-chan«, begann Kaiou leicht feixend und hob die Hand in Richtung Kamera. »Wenn du vor hast Fotos zu machen, solltest du auch vorher die Kappe vom Objektiv abmachen«, und löste mit einem leisen KLACK die schwarze Plastikkappe.
»Oh. ... Und ich wollte schon das Objektiv wechseln«, verlegen räusperte sich die Rothaarige und schoss ein paar Probefotos.
»Was bist du denn so aufgeregt?«
»Ich?«
»Ja, DU!«
Langsam ließ Kagami-chan die Kamera sinken und sah abwechseln zu dem Team der Tōō-High und der Seirin-High.
Doch da wurde es Kaiou schlagartig klar, was sich da im Busche versteckte.
»Du weißt nicht wen von beiden du anfeuern sollst«, stellte die Kleinere fest.
»Naja, natürlich wünsch ich es unseren Jungs, aus Solidarität, aber Seirin ...«
»Drück einfach beiden Mannschafen die Daumen, da kannst du nichts verkehrt machen«, schlug die Journalistin vor und verpasste ihr einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, bevor sich beide an den Spielfeldrand setzten.

Angespannt ließ Riko den Blick durch die Halle wandern und hielt bei Kaiou und Kagami-chan inne. Dass die Schwester ihres Asses anwesend war, gefiel ihr irgendwie nicht. Sie befürchtete, dass es Kagami-kun ablenken könnte. Doch als sie ihren Blick weiter schweifen ließ und die Jungs sah, wie diese sich aufwärmten, bröckelte alle Sorge von ihr. Ihr Power Forward war nur darauf konzentriert sich Aomine zu stellen. Unsichtbar und bedrohlich hatte sich eine gefährliche Aura um den Rothaarigen aufgebaut. Er schien mehr als konzentriert zu sein. Diese ... Auseinandersetzung war längst überfällig.
Noch ein letztes Mal seine Muskeln lockernd dehnte Kagami-kun seinen rechten Arm und ließ den Blick über die Bank der anderen Mannschaft schweifen. Es war Zeit eine alte Rechnung zu begleichen.
Und auch Aomine schien dieser Meinung zu sein, beide Power Forwarde warfen sich stumme Herausforderungen zu und ihre Blicke sagten deutlich, dass sie dem jeweils anderen nicht den Hauch einer Chance geben würden.
Kaiou stieß ihre Fotografin kurz an.
»Spürst du das auch?«, wollte sie von dem Rotschopf wissen.
»Was?«
»Diese Anspannung. Sie spaltet förmlich die Luft in zwei Teile« Als hätte sie ein Geistesblitz getroffen, griff sie zu Zettel und Stift. »OHHH ... Das war gut, dass muss ich unbedingt aufschreiben.«
Stirnrunzelnd sah Kagami-chan ihre Freundin an und schüttelte kurz den Kopf.

Und diese Anspannung die Kaiou beschrieb und versuchte in Worte zu fassen, wurde noch merklich größer, als die beiden Mannschaften sich zum Pfiff endlich gegenüber standen. Die zehn Spieler nahmen sich schon mit bloßem Blicken auseinander. Was die Fotografin wunderte war, dass Wakamatsu so ruhig blieb. Gerade von ihm hätte sie etwas mehr Temperament erwartet, da er ohnehin eher der Lautere der Starter war. Die Feindseligkeit für die jeweils andere Mannschaft, war mehr als offensichtlich. Auch Kaiou die direkt neben Kagami-chan saß wurde hibbeliger, dabei hatte das Spiel noch nicht einmal begonnen.
Als Schiedsrichter hatte sich einer der örtlichen Sportlehrer bereit erklärt und dieser trat nun zwischen die beiden Center der Mannschaften. Mitobe Rinnosuke und Wakamatsu Kōsuke. Nach einer gefühlten Ewigkeit warf der Schiedsrichter endlich den Ball nach Oben und wie aufeinander eingeschossen sprangen beide Center in die Höhe. Doch Wakamatsu berührte den Ball mit seinen Fingerspitzen und er fiel Imayoshi quasi in die Hände.
Dieser zögerte nicht und sprintete mit dem Ball über das Feld. Als sich ihm Hyūga in den Weg stellte, gab er mit einer flinken Bewegung den Ball an Sakurai ab. Dieser setzte ohne Umschweife zu einem Wurf an und traf ohne den Ring zu berühren.
Die ersten drei Punkte waren also gefallen.
Kagami-chan sah überrascht dem Spiel zu, was rasch an Tempo zunahm.
»Täuscht das, oder spielen die Jungs irgendwie anders?«, fragte die Rothaarige.
»Ehrlich gesagt kommt mir das auch so vor. Es ist als wären sie aggressiver als sonst«, bemerkte die Azurblauhaarige und schrieb erneut ein paar Notizen nieder. »Aber was mich wesentlich mehr stutziger macht ist ...«, doch Kaiou unterbrach sich selbst.
Kagami-chan nickte.
»Ich weiß was du meinst. Er ist auffällig passiv.«
»Ich dachte eigentlich, dass gleich die Hölle noch eine Kohle aufsetzt, aber es ist bisher ein wenig enttäuschend. Auch wenn wir in Führung liegen.«
Skeptisch senkte Kagami-chan die Kamera und beobachtete den Power Forward ihrer Schule. Wieso zum Teufel ging er nicht auf Angriff? Kaiou hätte darauf gewettet das Kagami-kun und Aomine sich gegenseitig die Flinte auf die Brust setzen würden, doch bisher war davon nicht annähernd etwas zu sehen.
Das zweite Viertel war fast vorbei und die beiden Power Forwarde gingen sich noch immer aus dem Weg.
Gelangweilt lehnte sich die Rothaarige zurück und seufzte.
»Unser ach so tolles Ass ist wohl nicht ganz auf der Höhe?«, spottete diese.
Doch sie hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da war es als wäre ein Komet direkt auf dem Feld eingeschlagen. Überrascht vom plötzlichen atmosphärischen Wechsel, schnippten Kagami-chan und Kaiou fast zeitgleich, in ihrem Schneidersitz nach vorne.
Aomine war nun das erste Mal seit Beginn im Ballbesitz und nun umkreisten sich die beiden Asse der Mannschaften, wie zwei ausgehungerte Raubkatzen.
Die Atmosphäre war plötzlich noch geladener, es knisterte fast merklich und die Anspannung die zuvor schon zu spüren war, war nun fast erdrückend.
Jetzt erst begriff Kagami-chan was ihre Freundin damit meinte und nun konnte sie auch nachvollziehen, weshalb sich die Schüler der Umgebung hier versammelt hatten um das zu sehen. Es war als würde man eine Tierdokumentation anschauen. Die Rothaarige starrte wie hypnotisiert auf die beiden. Das war nicht einfach nur Antipathie, dass was sich da abspielte, war reine Rivalität und Konkurrenzdenken, etwas das seines Gleichen suchte.
Und plötzlich geschah es, als hätte jemand eine Kugel aus einer Pistole gefeuert, schoss Aomine auch schon an Kagami-kun vorbei.
Leicht erschrocken, sah die Fotografin wie ihr Bruder nachschoss und versuchte Aomine so wenig Spielraum wie möglich zu bieten. Fast hätte er es auch geschafft, aber auch nur "fast". Mit einem Wurf, den man der Kategorie "Formlos" zuschreiben würde, hatte der blauhaarige Power Forward den Ball im Korb versenkt und den Vorsprung seiner Mannschaft so weiter ausgebaut. Der Frust und die Wut bauten sich weiter in dem Rothaarigen auf und das war ihm deutlich anzusehen. Diese Situation spielte sich noch unzählige Male ab, bis das letzte Viertel begann.
Nun begann auch Kagami-chan unruhig an ihrer Kamera wenige verändernde Einstellungen vorzunehmen.
»Was machst du da?«, fragte die Journalistin, als sie dies bemerkte.
»Es ist mir scheiß egal, ob er das nun will oder nicht«, raunte diese und hob die Kamera an. »Du willst spitzen Fotos? Die bekommst du jetzt und wenn er so spielt, muss er auch damit rechnen abgelichtet zu werden.«
Nach dem Satz entspannte sich Kaious Gesichtsmuskulatur und sie lächelte leicht. Sie wusste genau, dass diese Bilder nun eine offene Kampfansage an Aomine waren. Und es gefiel ihr das ihre Fotografin endlich Eigeninitiative ergriff.
»Wehe da sind nicht ein paar Spitzendinger dabei, Ha-chan«, feixte diese nur.
»Abwarten«, raunte Kagami-chan nur und sah weiter durch den Sucher der Kamera. Kaiou hörte nur das Klicken, welches nur erahnen ließ, welche Höchstleistung die Spiegelreflex Kamera gerade erbrachte.
Und die beiden Journalistinnen wurden im weiteren Verlauf nicht enttäuscht, es war als hätte jemand plötzlich den Schalter umgelegt und auf Vorspulen gedrückt. Das Tempo welches die Jungs an den Tag legten, war schon grenzwertig. Kaiou und Kagami-chan wurde schon beim zusehen ganz eigenartig. Es riss sie und die anderen Zuschauer gerade zu mit. Die Fotografin spürte wie ihre Handflächen feucht wurden und ihr ein Schauer über den Rücken jagte, als sie ihren Bruder sah, wie er Aomine zusetzte. Erstaunt ließ sie die Kamera sinken und sah aufmerksam zu, wie Kagami-kun auf den gegnerischen Korb zulief. Ihr Herzschlag beschleunigte sich merklich und schon geschah es, bevor der rothaarige Power Forward absprang um den Ball zu dunken, sprang auch schon sein Zwilling auf.
»JETZ MACH IHN ENDLICH REIN, TAI!!!«, rief sie wie von der Tarantel gestochen und feuert ihn genauso an wie die Jungs auf der Ersatzbank. Kaiou sah überrascht zu der Größeren auf, musste aber dann lächeln. Selbst über Rikos Gesicht huschte ein Lächeln, als sie sah wie die Rothaarige ihren Bruder anfeuerte. Nun war von Solidarität für die Mannschaft der Tōō-High nicht mehr viel übrig. Es hatte sie einfach gepackt und ehe die Fotografin realisierte was sie gerade gemacht hatte, lief sie auch schon rot an. Verlegen setzte sie sich wieder im Schneidersitz auf den Boden und atmete tief durch. Die Azurblauhaarige neben ihr kicherte verhaltend.
Es verblieben nur noch wenige Augenblicke bis das letzte Viertel vorbei war. Kagami-chan konnte vor lauter Aufregung ihre Kamera kaum noch halten und auch Kaiou hatte seit einigen Minuten aufgehört sich Notizen zu machen. Es war als würde die gesamte Halle in den letzten Sekunden die Luft anhalten. Punktetechnisch konnte Seirin zwar nicht mehr aufholen, aber der Enthusiasmus, die Ausdauer und das Durchhaltevermögen und die Tatsache, dass sie dennoch nicht klein bei gaben oder gar aufgaben, riss alle mit und brachte ihnen umso mehr Sympathiepunkte.
Die letzten 15 Sekunden wurden eingeläutet. Tōō war durch einen Rebound von Wakamatsu, im Ballbesitz. Doch als dieser zu Sakurai passen wollte, schoss Kuroko, wie ein Blitz aus dem Nichts und schlug den orangenen Ball quasi in die Hände seines Power Forwards. 13 Sekunden, die Kagami-kun blieben um die letzten zwei Punkte zu holen, nicht um zu gewinnen, sondern um ein Zeichen zu setzen. Doch er hätte es besser wissen müssen, Aomine wollte ihm auf keinen Fall mehr Möglichkeiten einräumen, als sie ohnehin schon hatten. Wie eine Festungswand die es zu überwinden galt, stand das Ass der Tōō- High vor dem Rothaarigen. Und die Zeit lief ab.
9 Sekunden. Es war Zeit zu handeln, mit allen ihm noch verbliebenen Kräften, setzte er zum Angriff an und wollte an Aomine vorbei. Doch dieser war weitaus schneller und wendiger und so entschloss Kagami-kun sich im letzten Moment darauf den Ball zu passen.
4 Sekunden. Die Überraschung darüber, dass sein Rivale nicht eine letzte offene Konfrontation wählte, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Blauhaarige reagierte einen Moment zu langsam und da war es bereits geschehen.
Noch 2 Sekunden zu spielen, als der Ball in den Händen von Hyūga landete. Dieser streckte sich ein letztes Mal und warf den Basketball.
Nun hielten die Zuschauer wirklich den Atem an. Sollten es etwa wirklich immerhin noch drei Punkte werden?
00:00 sek.
Die Stille die nun herrschte war fast schon unheimlich, doch der letzte Wurf fand die Bestätigung in dem Jubel der Leute die es nicht mehr auf ihren Sitzen hielt.
»Ich fass es nicht, er hat ihn echt noch rein gemacht«, hauchte Kaiou atemlos und starte mit offenem Mund auf die Anzeigetafel die das Ergebnis präsentierte.
109: 87 für Tōō. Der letzte Wurf zählte noch, da der Ball bei Ablauf der Zeit bereits in der Luft war.
Der Jubel fiel um einiges herzlicher und lauter aus, als die Journalistinnen zu Beginn gedacht hätten. Selbst den Zuschauern wurde einiges abverlangt, der weite Weg hatte sich gelohnt. Sie hatten ein Gefecht erwartet und einen Krieg bekommen.
»H- hast du ein paar Fotos?«, fragte Kaiou nun kleinlaut und wischte sich ihre schweißnassen Hände an ihrer Jeans ab.
»Darauf kannst du einen lassen.«
Die Situation war irgendwie irreführend, denn obwohl Tōō gewonnen hatte, wurde Seirin ebenfalls gefeiert wie Sieger. Sie hatten vielleicht verloren, aber nicht kampflos und mit einer Entschlossenheit, von den sich manch andere Mannschaft eine Scheibe abschneiden konnte.

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