Kapitel 18 Annäherung

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Nach ein paar Tagen wurde ich wieder völlig gesund, Alhamdulillah. Ilyass fragte immer wieder nach mir, was ich wirklich sehr aufmerksam fand, aber dennoch war es mir unangenehm. An einem Samstag klopfte es gegen Mittag an unserer Tür und ich öffnete die Tür. Ilyass stand fertig angezogen vor meiner Haustür. Ich guckte ihn nur fragend an. "Ibrahim und ich gehen gleich zusammen ins Kino, er meinte ich soll dich fragen, ob du vielleicht lust hast mitzukommen.", erklärte er kurz und da ich sowieso nichts vorhatte und mein Bruder ebenfalls mitkam, sagte ich zu. "Ich gehe mich kurz um ziehen.", sagte ich, worauf er nur antwortete: "du siehst auch so gut aus." Nebenbei, ich hatte ein übergroßen Pulli an und eine sehr lockere Jogginghose, so ein typisches Chiller Outfit.

"Willst du vielleicht rein kommen?", fragte ich, während er nur mit den Schultern zuckte. Ich bat ihn herein und wir gingen in mein Zimmer. Ich holte mir etwas zum anziehen heraus und ging dann ins Bad, um mich dort umzuziehen. Ich richtete mein Kopftuch und betrachtete mich zufrieden im Badezimmerspiegel. Danach ging ich zurück in mein Zimmer und packte meine Tasche, während Ilyass auf meinem Bett saß und mein Tagebuch in der Hand hatte. Ich realisierte nicht sofort, was ich da sah, weshalb ich erst meine Klamotten zurück in meinen Schrank stopfte. "Was machst du da?", rief ich, als ich mein Tagebuch in seinen Händen erblickte. Ich riss es ihm aus der Hand und stopfte es in meine unterste Schublade. "Tut mir leid.", sagte er reflexartig und ich nickte nur. Ich nahm es ihm nicht mal böse, da ich mindestens genauso neugierig war. "Wir können gehen.", erinnerte ich ihn. "Du warst voll schnell und siehst nicht mal schlimm aus.", sagte er und fing an zu lächeln. Er war der König der Komplimente. Durch seine Worte fühlte ich mich wie eine wunderschöne, unerreichbare Prinzessin, nicht. "Soll ich dich jetzt schlagen oder mich bedanken?", gab ich von mir und fing an zu grinsen. Er zuckte nur mit den Schultern und lächelte ebenfalls.

"Komm, Ibrahim wartete bestimmt schon.", versuchte ich daran zu erinnern, dass wir verabredet waren. "Das hätte ich fast vergessen.", sagte er und sprang förmlich vom Bett. Er richtete seine Hose und sein Oberteil und ging sich ein mal durch die Haare. Dann kam er mir auch schon nach und wir verließen gemeinsam die Wohnung. Zum Glück waren Leyla und Merve in ihren Zimmern und haben Ilyass und mich nicht zusammen gesehen, die beiden stellten nämlich schon komische Spekulationen auf, von wegen Ilyass und ich seien ein Paar, Astaghfirullah!

Wir gingen also zusammen die Treppen runter und Ilyass ging vor. Als uns eine ältere Frau begegnete und Ilyass sah, dass sie zwei schwere Tüten trug, fragte er sofort, ob er ihr helfen könnte, den es schien so als würden die beiden sich schon lange kennen. Die Frau nahm sein Angebot natürlich an und er nahm ihr die Tüten ab. Wir gingen also zu dritt die Treppen hoch. Die Dame wohnte im Dachgeschoss und hatte einige Stufen zu laufen. Der Aufzug war seit ich hier eingezogen war schon defekt. "Den Aufzug sollten sie aber langsam echt reparieren!", sagte ich dann, worauf die alte Frau nur lächelte und antwortete "Da hast du recht. Der ist schon seit fast 2 Monaten kaputt, der totale Horror!" Wir bzw. Ilyass trug ihre Einkäufe bis in die Wohnung. Wir halfen ihr schnell beim einräumen der Einkäufe und sie bot uns noch zu trinken an, was wir aber dankend ablehnten, da wir noch was vorhatten. "Wollt ihr wirklich nicht bleiben?", hakte sie nach. "Ja, wir wollen noch ins Kino, sonst wären wir sehr gerne geblieben Gustel.", antwortete Ilyass darauf. "Na dann viel Spaß euch beiden, ihr gebt echt ein zuckersüßes Paar ab!", sagte sie gutgläubig, als wir gerade ihre Haustür verließen.

"Sie ist nicht meine Freundin.", korrigierte Ilyass dann kleinlaut und lächelte verlegen, was ich von der Seite beobachten konnte. Die Frau lächelte ebenfalls sehr verlegen und schenkte mir einen beschämten Blick. Sie flüsterte Ilyass etwas zu und er ihr auch. Als sie sich trennten hatten beide ein schelmisches Lächeln auf den Lippen, was mich wirklich sehr beunruhigte. Ich verabschiedete mich von der Frau und lief die Treppen so schnell wie möglich runter. Unten angekommen wartete Ibrahim schon auf uns. Wir begrüßten uns mit einer Umarmung und er ließ einen Arm um mich liegen, was ich sehr komisch fand. Aber als ich mich kurz umschaute, bemerkte ich, wie eine Gruppe junger Männer auf der anderen Straßenseite standen und uns bzw. mich beobachteten. Den einen erkannte ich sogar wieder. Das war der Neffe meiner Stiefmutter. Warum sind die den hier? Irgendwie beunruhigte mich das. Als Ilyass auch rauskam, hatte er den direkten Blick auf die Gruppe und schenkte ihnen erstmal einen Killerblick. Er spannte seine Muskeln an und zog seine dunklen Augenbrauen zusammen, was ihn wirklich angsteinflößend aussehen ließ. "Lass uns los!" meinte Ibrahim, als er Ilyass Blick sah. Er wandte dann den Blick von der Gruppe ab und kam zu uns. Er begrüße meinen Bruder erstmal mit einem Handschlag und wir gingen zu Ibrahims Auto. Die beiden Jungs stiegen vorne ein und ich machte es mir auf der Rückbank bequem.

"Ich töte diesen Kerl noch!", sagte Ilyass und seinem Blick zu Folge guckte er wieder auf den Neffen meiner Stiefmutter. "Beruhig' dich Bruder! Wir gehen jetzt erstmal ins Kino! Also ignorier den einfach." sagte dann mein Bruder und startete den Motor. Die Fahrt dauerte gar nicht lange und wir kamen auch schon im Kino an. Die Jungs entschieden sich für "The Boy", ein Horrorfilm ab 12. Ich gab mich damit zufrieden und wir kauften dann noch Popcorn und Getränke. Als wir in den Kino Saal gingen setzten wir uns auf unsere Plätze. Ibrahim saß in der Mitte von uns dreien. Neben mir saß keiner, aber neben Ilyass saßen zwei überschminkte Mädchen. Eine von ihnen flirtete ganz offensichtlich mit ihm, was mich sehr anwiderte.

Ich versuchte mich einfach auf den Film zu konzentrieren und lehnte mich zurück. Erstmal kam gefühlte 2 Stunden Werbung, bevor der richtige Film anfing. In dieser Zeit hatte ich auch schon mehr als die Hälfte des Popcorns verdrückt. An sich war der Film gar nicht mal so schlimm, aber das unpassende Gekreische von dem Mädchen neben Ilyass regte mich richtig auf. "Kannst du nicht mal ruhig sein?", gaffte ich das Mädchen nach 20 Minuten der Spielzeit an. "Es ist einfach zu gruselig, verstanden?", sagte sie dann und fing an wie ein Kamel auf ihrem Kaugummi rum. Sie ließ mich richtig dabei zusehen, wie sie ihn von der einen zur anderen Zahnseite brachte und ich musste mich anstrengend, nicht sofort auf ihren Schoß zu kotzen. "Der Film ist ab 12!", sagte ich dann gereizt aus und wandte mich von ihr ab. Ich versenkte meinen Körper in den Stuhl auf dem ich saß und versuchte ihre unangenehme Stimme zu überhören. Als die Pause begann, informierte ich die Jungs darüber, dass ich auf die Toilette gehen würde. Ich guckte mich dort kurz im Spiegel an und richtete mein Kopftuch. Als ich raus ging, stand auf einmal ein riesiger Typ mit Glatze und richtig vielen Tattoos vor mir. Er sah beängstigend aus, bei der Größe und den vielen Totenköpfen auf seiner Haut. Zudem verdunkelte sich sein Blick und kurz darauf verstand ich erst wieso. Ich hatte es mit einem waschechten Nazi zu tun.

"Kopftuch schlam*e! Hast du hier etwa eine Bombe versteckt du Terroristin?", schrie der Mann und packte mich brutal am Oberarm. Er drückte mich hart gegen die nächstgelegene Wand und ich verzog vor Schmerzen mein Gesicht. Ich war wie in Trance und konnte einfach nichts sagen, weil ich mich nur auf den Schmerz konzentrierte. Alle Leute um uns herum schauten zu uns. "Geh doch in dein Land zurück du Terroristin! Verzieh dich doch mit deiner scheiss Religion! Kannst wo anders Menschen töten!" schrie er wie ein Verrückter und verfestigte seinen Griff, so dass ich mich gar nicht mehr bewegen konnte. Das Schlimmste war jedoch, dass keiner von diesen Leuten, die um uns rumstanden auch nur etwas sagten. Sie ignorierten uns einfach. "Lass sie sofort los!", schrie auf einmal eine mir zu bekannte Stimme. Der Mann drehte seinen Kopf etwas und bekam kurz darauf einen Schlag ins Gesicht. Es war glaub ich keine Faust, sondern nur die Flache Hand. Der Mann löste seinen Griff und stolperte zwei Schritte nach hinten. Der Mann guckte Ilyass geschockt an und hob schützend die Hände. 'Gegen Ausländer hast du halt keine Chance' , dachte sich meine Innerestimme. Kurz darauf, kamen auch schon die Securitys vom Kino und nahmen den Mann gegen seinen Willen mit. Einer von ihnen informierte sich, ob es mir gut ging und ich nickte nur.

Ich war immer noch wie in Trance und konnte gar nicht realisieren, was passiert war. Ich hielt mir aus Reflex meinen Oberarm und spürte, dass es dort sehr schmerzte. "Alles okay?", fragte Ilyass und brachte mich damit zurück in die Realität. Ich antwortete nicht darauf. "Ich geh kurz auf die Toilette, warte hier.", sagte er an und verschwand im Männer WC, das sich unmittelbar neben mir befand . Ich stand wie angewurzelt an der Wand und konnte mich nicht rühren. Ich starte Löcher in die Luft und war immer noch in Trance, bis mich jemand sanft an der Schulter packte.

Liebe auf Umwegen♡ أحبكWo Geschichten leben. Entdecke jetzt